Bäckereien in Berlin und Brandburg: Wie sich der Mindestlohn auf Bäckerei Steinecke auswirkt

Verkäuferinnen in Sachsen-Anhalt haben bis vor kurzem viel weniger verdient als in Berlin. Damit ist nun Schluss – jedenfalls in den Filialen der Bäckerei Steinecke. Seit 1. Januar gilt der gesetzliche Mindestlohn. Seither erhalten Verkäuferinnen in Sachsen-Anhalt rund 30 Prozent mehr Gehalt – und damit ebenso viel Geld wie ihre Kolleginnen in den Hauptstadt-Filialen der Bäckerei. In Berlin sind die Tarifgehälter von ungelernten Verkäuferinnen immerhin um zehn Prozent gestiegen.

Die Beschäftigten dürften sich darüber freuen. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute Deutschlands sehen den Mindestlohn dagegen mit Argwohn und warnen seit Jahren vor Jobverlusten, insbesondere in Ostdeutschland. Seit kurzem prophezeien sie zusätzlich steigende Preise.

Die Brotmeisterei Steinecke ist ein Familienbetrieb mit Ost-West-Erfahrung. Die 4700 Beschäftigten arbeiten in drei Bäckereien und in Filialen in Westdeutschland, Ostdeutschland und Berlin. Welche Folgen hat der Mindestlohn für das Unternehmen? Die Eigentümerin Katrin Steinecke überlegt eine Weile, als wir sie um ein Gespräch bitten, und kommt dann an einem Januarvormittag in der Berliner Zeitung vorbei.

5,80 Euro für Verkäuferinnen

„Mein Großvater hat die Bäckerei 1945 gegründet“, erzählt die Firmenchefin beim Kaffee im Konferenzraum. Sie selbst ist nach ihrer Banklehre 1989 in den Betrieb im niedersächsischen Mariental eingestiegen, hat Bäckerin gelernt, die Meisterprüfung absolviert und vor einigen Jahren die Geschäftsführung übernommen.

Nach dem Mauerfall übernahm der Familienbetrieb eine Bäckerei in Sachsen-Anhalt, in Bernburg, keine hundert Kilometer vom Stammsitz entfernt. In dem ostdeutschen Bundesland gibt es bis heute keinen Tarifvertrag für das Bäckerhandwerk, die Gehälter sind sehr niedrig, zuletzt hatte der Landesinnungsverband empfohlen, ausgebildeten Verkäuferinnen 5,80 Euro pro Stunde zu zahlen. Bei Steinecke waren die Verdienste etwas höher, ungelernte Mitarbeiterinnen erhielten im vorigen Jahr 6,40 Euro als Einstiegslohn. Seit Januar bekommen sie ein Drittel mehr: 8,50 Euro.

Doch damit ist das Thema Mindestlohn noch lange nicht erledigt. „Ich kann doch nicht erfahrenen und ausgebildeten Mitarbeitern das gleiche zahlen wie einem ungelernten jungen Menschen, der eben erst angefangen hat“, sagt die Firmenchefin. Also hat das Unternehmen die Gehälter von allen 1700 Beschäftigten in Sachsen-Anhalt angehoben: Bäckergesellen, Meistern, langjährigen Verkäuferinnen. Auch sie bekommen nun um die 30 Prozent mehr Geld. Steinecke hat sich entschlossen, die gesamte Berliner Tariflohn-Tabelle auf Sachsen-Anhalt zu übertragen. Jetzt erhalten Angestellte in Ostdeutschland und Berlin den gleichen Lohn, egal, ob sie in Halle, Zerbst oder Berlin-Marzahn hinter der Theke stehen.

Von heute auf morgen 30 Prozent höhere Personalkosten in Sachen-Anhalt – „das ist ein gewaltiger Sprung“, sagt die 47-Jährige. Dabei findet sie den Mindestlohn im Prinzip richtig: „Es kann nicht sein, dass ein System nur funktioniert, weil Vollzeit-Beschäftigte zusätzlich staatliche Leistungen erhalten.“ Sie hätte sich gewünscht, dass der Mindestlohn schon früher beschlossen und dann in mehreren Etappen umgesetzt wird.

Wegen der höheren Personalausgaben hat Steinecke die Preise in Sachsen-Anhalt um 20 Prozent angehoben. Damit ist nicht nur der Lohn-Unterschied Geschichte, sondern auch die Preis-Kluft geschlossen: Ein Brot in Halle kostet nun so viel wie in Berlin.

Die Kunden reagierten unterschiedlich, erzählt Steinecke, die selbst mit einigen telefoniert hat: „Die einen sagen: Gut, dass Sie Ihren Leuten mehr zahlen. Die anderen sagen: Ich kann mir das nicht mehr leisten.“ Sie selbst könne nur hoffen, „dass uns möglichst viele Kunden treubleiben.“ Und wenn nicht? Wenn viele nun Billig-Brötchen beim Discounter kaufen? „Wir müssen das schaffen“, sagt die Firmenchefin. „Wir sparen jetzt an allen Ecken und Enden. Wir verschieben Umbauten und Renovierungen. Keine einzige Führungskraft hat eine Gehaltserhöhung erhalten. Wir brauchen jetzt Geduld. In zwei Monaten wissen wir mehr.“

Auch andere Bäcker in Ostdeutschland haben die Preise massiv erhöht, berichten Innungs-Vertreter. Ob sich die Kunden das teurere Brot leisten können und wollen, mögen Forscher noch nicht einschätzen. Bislang sind die Ausgaben der Bürger für Backwaren überschaubar. Nach Daten des Statistischen Bundesamts gibt ein Durchschnittshaushalt weniger als zwei Prozent seiner Gesamtausgaben für Brot, Brötchen, Kuchen, Kekse, Nudeln und Reis aus. Die Aufwendungen für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke machen demnach rund zehn Prozent der Gesamtausgaben aus.

In Berlin und Brandenburg hat Steinecke ebenfalls Löhne und Preise angehoben, wobei das Ausmaß viel geringer ist als in Sachsen-Anhalt. In der Hauptstadtregion profitieren rund 200 von 1 400 Mitarbeitern vom Mindestlohn: Ungelernte Verkäuferinnen verdienten nun zehn Prozent mehr, berichtet die Firmenchefin: 8,50 Euro im ersten Jahr, 8,70 Euro im dritten Jahr. Die anderen Angestellten erhielten eine reguläre Tariferhöhung von drei bis vier Prozent. Deshalb habe sie in Berlin und Brandenburg die Preise um fünf bis sieben Prozent erhöht.

In westdeutschen Niedersachsen sind die Auswirkungen des Mindestlohns am geringsten, weil hier die Tariflöhne seit Jahren höher sind als in Berlin. Nur etwa 100 von 1 500 Steinecke-Mitarbeitern erhielten bis Dezember weniger als 8,50 Euro, wie es der Tarifvertrag vorsah. Ihr Lohn stieg nun im Schnitt um etwa fünf Prozent.

Entlassen will Katrin Steinecke wegen der gesetzlichen Lohnvorschrift niemanden, weder im Osten noch im Westen noch in Berlin. „Wir werden wegen des Mindestlohns kein Personal abbauen“, stellt die Unternehmerin klar. Im Gegenteil. Steinecke sucht Leute. Sie würde auch gern mehr Migranten einstellen, doch bislang bewerben sich nur wenige. „Vielleicht vermuten sie, dass wir sie nicht nehmen würden.“ Deshalb hat sie nun in der Deutschland-Ausgabe der türkischsprachigen Zeitung Hürriyet Stellenanzeigen geschaltet.

In Westdeutschland und Berlin hat der Mindestlohn für das gesamte Bäckerhandwerk keine signifikanten Auswirkungen, heißt es bei den Innungen. In Ostdeutschland planten Betriebe dagegen Filialschließungen. Die Stendaler Landbäckerei hat laut Stendaler Volksstimme bereits sieben von 130 Filialen geschlossen und sich von 100 Minijobbern getrennt. Die Bäckerei habe die Preise erhöht. Das helfe aber nicht viel, weil er mit einem Kundenrückgang rechnen müsse, sagte Inhaber Andreas Bosse dem Blatt. Sind bereits Kunden weggeblieben? Der Betrieb wolle zu alldem derzeit nichts sagen, heißt es auf Nachfrage.

Bürokratie-Monster?

Steinecke findet es falsch, pauschal zu sagen: Der Mindestlohn ist schuld an Filialschließungen. Zwar müssten manche Geschäfte jetzt höhere Umsätze machen, um rentabel zu sein. Deshalb hat sie die Preise erhöht. Die Probleme der handwerklichen Bäckereien seien aber viel älter: Die Konkurrenz werde härter, das Backwaren-Angebot immer größer, weil es immer mehr Backshops und Supermärkte mit Öfen gebe, die industriell gefertigte Waren verkaufen. Auch ihr Betrieb habe deshalb schon Filialen schließen müssen.

Und wie kommt Steinecke mit der Bürokratie zurecht, über die Arbeitgeber-Verbände derzeit klagen? Sie kritisieren, dass Firmen die Arbeitszeiten von Minijobbern aufzeichnen und zwei Jahre aufbewahren müssen. „Davon sind wir nicht so stark betroffen“, erklärt Katrin Steinecke. „Wir haben nur eine Handvoll Minijobber.“

Andere Bäcker halten die Aufzeichnungspflicht für überzogen. Die entscheidende Frage ist für einen Vertreter der Bäcker-Innung in Sachsen-Anhalt aber: „Wird es gelingen, die Preise zu erhöhen?“

Weitere Artikel zum Mindestlohn finden Sie unter: www.berliner-zeitung.de/mindestlohn