Nicht nur im Pflegeheim: Fördert der Staat dubiose Geschäfte mit Flüchtlingen?
In Berlin-Wedding muss ein Pflege- einem Flüchtlingsheim weichen. Lässt sich mit Geflüchteten mehr Geld verdienen? Die Behörden widersprechen mit Zahlen.

Ein Vorfall in Berlin-Wedding sorgt seit vergangener Woche für Schlagzeilen: Senioren müssten das Pflegeheim „Wohnen und Pflege am Schillerpark“ für Geflüchtete räumen. 126 Menschen aus der Ukraine sind nach Angaben des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) schon im Februar ins Gebäude des Paul-Gerhardt-Stifts gezogen.
Das Kirchenstift wehrt sich als Inhaber und Vermieter des Gebäudes gegen die Vorwürfe, dass es mit Geflüchteten mehr Geld machen wolle als mit den Alten. Die zuständige Diakonie Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz schlägt stattdessen vor, die Realität zu akzeptieren und „nach vorne zu blicken“. Doch wer garantiert, dass sich so etwas nicht wiederholt?
Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten sieht in dem Fall nichts Besonderes
Auch die Stadt Berlin zuckt auf Nachfrage lediglich mit den Schultern. Dass das Pflegeheim einem Flüchtlingsheim weichen solle, sei „so nicht korrekt“, kommentiert die LAF-Sprecherin Monika Hebbinghaus auf Nachfrage der Berliner Zeitung. Denn das Paul-Gerhardt-Stift habe sich „bereits vor einigen Jahren“ entschlossen, den Mietvertrag mit einem ebenfalls kirchlichen Pflegeheimbetreiber vorzeitig zu beenden und „den dort untergebrachten Senioren zu kündigen“. Lediglich nach dem Teil-Leerzug des Gebäudes habe das Landesamt freie Plätze zur Unterbringung von Geflüchteten bekommen. Sonst hätten die Plätze danach leer gestanden, betont die LAF-Sprecherin.
In der Tat hatte das Kirchenstift nach eigenen Angaben schon 2021 den Wunsch geäußert, die Immobilie künftig selbst nutzen zu wollen. Der Betreiber des Pflegeheimes, Johannesstift Diakonie, begründete die darauf erfolgte Kündigung mit „unterschiedlichen Vorstellungen bezüglich der nach den Miet- und Pachtverträgen vereinbarten Pachtzinserhöhungen“. Die Miete sollte also deutlich erhöht werden, was sich das Pflegeheim wohl nicht leisten konnte. Das LAF kann diese mit staatlichem Geld dagegen gut finanzieren.
Mit anderen Worten: Mieter raus für mehr Gewinn. Oder doch eine wohltätige Geste aus Nächstenliebe zu Kriegsflüchtlingen? Nach LAF-Angaben hat das Kirchenstift bereits seit Jahren in einem anderen Teil des Gebäudes an der Müllerstraße im Auftrag der Behörde Geflüchtete untergebracht und betreut. Jetzt wird dieser Teil halt größer.
2015 haben Geschäftemacher bis zu 50 Euro pro Person am Tag kassiert
Das Ganze erinnert ein wenig an die Vorfälle nach der Flüchtlingswelle 2015, als einige dubiose Geschäftemacher und Hostelbetreiber sich mit der Unterbringung von Flüchtlingen eine goldene Nase verdienen konnten. Damals zahlte der Berliner Senat durch sogenannte Blanko-Kostenübernahmen für jeden Flüchtling, der nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden konnte, bis zu 50 Euro pro Nacht.
Mit einem typischen Hostelzimmer mit sechs Betten oder einer Vier-Zimmer-Wohnung konnte man so deutlich mehr Geld verdienen als mit einer normalen Miete. Allerdings nur eine Zeit lang, denn nach LAF-Angaben wurde der größte Teil der bis zu 89.000 Geflüchteten, die 2015 in Berlin teils vorübergehend aufgenommen wurden, langfristig nicht in Hostels, sondern in staatlichen Notunterkünften untergebracht, darunter in Turnhallen. Dort wurde den Betreibern damals stattdessen ein Tagessatz von 15 Euro pro Kopf für Betreuung plus zehn Euro für Verpflegung gezahlt.
Berlin hat im vergangenen Jahr aber rund 100.000 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen - deutlich mehr als vor sieben Jahren. Wegen fehlender Unterkünfte wurden diese Menschen direkt in Hotels untergebracht: Der Senat zahlte dafür schon zwischen 40 und 50 Euro pro Nacht bei Unterbringung mit Selbstversorgung und zwischen 60 und 70 Euro pro Nacht bei Zimmern inklusive Verpflegung und Hygieneprodukten.
Das Gebäude eines Pflegeheims ist aber kein Hotel, sondern ein Wohnhaus, das teils an das LAF vermietet wird. Zu welchem Preis diesmal? Es bleibt ein Geheimnis. „Zu Tagessätzen mit Betreibern erteilt das LAF prinzipiell keine Aussagen“, so die LAF-Sprecherin. Der Tagessatz, der für das Objekt Müllerstraße bezahlt werde, bewege sich aber „im absolut üblichen Rahmen“. Die Mietkosten seien im Tagessatz auch enthalten. Mit Betreuungskosten dürfte der Staat also noch mehr an das Kirchenstift überweisen. Die Geflüchteten müssen sich aber auch an die Regeln halten: „Wenn Bewohner länger als drei Tage in der Unterkunft abwesend sind, müssen die Betreiber uns den Platz frei melden“, so die Sprecherin.
Wie werden die Geflüchteten sonst untergebracht?
Von den rund 66.000 Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis als Sonderstatus sind die meisten Erwachsenen nach Angaben der Agentur für Arbeit Berlin-Brandenburg nach einem Jahr noch nicht erwerbstätig. Sie beziehen also soziale Leistungen, während sie Sprachkurse besuchen oder Jobcenter für sie nach einem der Qualifikation entsprechenden Job suchen. „Denn eine ukrainische Physiotherapeutin muss auch als Physiotherapeutin arbeiten können und nicht irgendwo im Hotel an der Rezeption sitzen“, so die Sprecherin der Arbeitsagentur.
Wie das LAF weiter mitteilt, bekommt ein ukrainischer Flüchtling mit einem automatischen Aufenthaltsrecht vom Jobcenter Bürgergeld, wenn er noch nicht arbeitet. Dies ist genauso hoch wie bei einem Arbeitslosen mit deutscher Staatsangehörigkeit oder einem anerkannten Flüchtling mit Asylstatus: 502 Euro im Monat für Alleinstehende, 451 Euro pro Person für volljährige Partner und „etwas weniger“ für Kinder. Die Kosten für die Unterkunft werden darüber hinaus vom Jobcenter übernommen.
In einer staatlichen Unterkunft wie in einem Wohnheim werden diese Kosten automatisch zwischen dem Jobcenter und dem LAF abgerechnet. Man darf aber auch ganz normal alleine wohnen. Dafür muss zum Beispiel eine Geflüchtete sich selbst eine Wohnung suchen, deren Miete aus Sicht des Jobcenters angemessen ist. Aber selbst wenn sie nicht angemessen ist, kann das Jobcenter die Miete trotzdem für einige Monate übernehmen, bis die Person in eine günstigere Wohnung umzieht. Bei dem Miet-Wahnsinn der Berliner Verhältnisse dürfte das wohl öfter der Fall sein.
Es gelten allerdings weitere Regeln. Als CDU-Chef Friedrich Merz die ukrainischen Geflüchteten im September 2022 des Sozialtourismus bezichtigte, dürfte er außer Acht gelassen haben, dass eine langfristige Abwesenheit auf deutschem Boden ein Grund für den Stopp der Leistungen ist. Eine Weile abwesend zu sein, ist allerdings nach Angaben der Arbeitsagentur erlaubt. Man müsse dem Jobcenter nur Bescheid sagen.
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