Büromieten in Berlin explodieren: Warum Coworking Spaces Teil des Problems sind

Berlin - Johannes Reck ist kurz vor dem Ziel. An der Kopenhagener Straße in Prenzlauer Berg wird gerade ein altes Umspannwerk schick hergerichtet. Im Sommer will Reck mit seinem Start-up Getyourguide dort einziehen. Mehr als 400 Mitarbeiter werden dann aus verschiedenen Büros in der Stadt in die frühere Bewag-Immobilie wechseln. Die Suche war schwierig, sagt der 34-Jährige. Zwei Jahre hätten sie nach einer größeren Unterkunft gesucht. Das noch junge Ausflugsvermittlungsunternehmen soll weiter wachsen. 150 Mitarbeiter will Reck bis Jahresende allein in Berlin rekrutieren. Der edelsanierte Backsteinbau aus den 20er-Jahren mit Platz für mehr als 750 Leute hat allerdings seinen Preis. Lag die Miete in den bisherigen Unterkünften von Getyourguide noch bei etwa zehn Euro je Quadratmeter, so sind im neuen Domizil schätzungsweise gut 35 Euro fällig.

Längst nicht mehr unüblich in Berlin. Der Raum ist knapp, die Preise explodieren. Nicht jeder kann sie zahlen. Von seinem Büro im Upper Westan der Kantstraße aus analysiert Marc Vollmer schon seit einiger Zeit den Berliner Büroimmobilienmarkt. „Wer in Berlin vor vier Jahren Büroraum zu vermieten hatte, brauchte in der Regel drei bis fünf Monate, bis ein passender Mieter gefunden war“, sagt der Direktor im Bereich Office Leasing des Immobiliendienstleisters CBRE. Heute gebe es 15 Besichtigungen in zehn Tagen. „Dann ist das Geschäft gemacht.“

Tatsächlich hat die Stadt allerorten mit Wachstumsschmerzen zu kämpfen. Immer neue Firmen wurden in Berlin gegründet, große Unternehmen eröffnen hier Dependancen. Erfolgreiche Start-ups expandieren und brauchen mehr Fläche. Inzwischen ist die Leerstandsquote bei Büroflächen in Berlin so niedrig wie nirgendwo sonst im Land. Der Immobilienberater Cushman & Wakefield hat für das erste Quartal dieses Jahres eine Quote von 1,3 Prozent ermittelt. Das ist ein neues Rekordtief. Und von dem, was noch zu bekommen ist, liegt kaum mehr als ein Fünftel im Innenstadtbereich.

Knappheit an Gewerbeimmobilien wird zum Standortnachteil von Berlin

Zusammenhängende Flächen mit mehr als 3000 Quadratmeter sind gar nicht mehr zu bekommen. Tatsächlich tobt insbesondere in den Innenstadtbereichen ein erbitterter Kampf um Arbeitsraum. Gewinner ist der mit der fettesten Kriegskasse. Denn während es auf dem Wohnungsmarkt wenigstens noch einen Mietspiegel gibt, gelten im Geschäft mit Büroflächen allein die Gesetze des Marktes. So ist die Spitzenmiete in Berlin binnen eines Jahres um elf Prozent auf 35 Euro pro Quadratmeter und Monat gewachsen. Eine weitere Steigerung auf 36 Euro bis Jahresende gilt als sicher.

Bei diesem Preis ist Getyourguide bereits angekommen. Zwar steckt das ursprünglich in Zürich gegründete Buchungsportal noch immer in den roten Zahlen, aber Investoren glauben an die Geschäftsidee. In mehreren Finanzierungsrunden hat das Start-up bislang 170 Millionen Euro eingesammelt. So sind dann auch teure Büros in Citylage machbar. Andere haben das Nachsehen. 

Start-ups wie Glispa, der Ferienhausvermittler Home to go oder der Umzugsservice Movinga, die bis vor einem Jahr im Umspannwerk saßen, haben sich eine neue Bleibe suchen müssen. Movinga etwa zahlte dort durchschnittlich 21 Euro je Quadratmeter. Dann sollte draufgelegt werden. „Wir wollten die radikal höheren Preise nach Auslaufen unseres Mietvertrages nicht mittragen“, sagt Movinga-Chef Finn Age Hänsel. Inzwischen hat er für sein knapp 300-köpfiges Unternehmen ein neues Quartier in Moabit bezogen. Ein Jahr habe er gesucht. „Zu lange“, sagt er. Die Knappheit an Gewerbeimmobilien und die zögerliche Entwicklung freier Flächen wird aus seiner Sicht mehr und mehr zum Standortnachteil von Berlin. „Die Start-up-Hauptstadt hat ein ernsthaftes Problem, Unternehmen ihren Raum zum Wachsen zu geben“, so Hänsel.

Start-up-Vertreter Sascha Schubert: In Berlin buhlen 30 bis 40 Firmen um ein Talent

Im Berliner Senat hat man das Problem offenbar erkannt und will den Flächenkampf mit dem Wohnungsbau per „Stadtentwicklungsplan Wirtschaft 2030“ entscheiden, der am vergangenen Dienstag vorgestellt wurde. Demnach sollen in der Stadt jährlich 40 Hektar Gewerbefläche zusätzlich für Unternehmen bereitgestellt werden. Das soll einerseits aus dem Bestand eigener Grundstücke geschehen.

Darüber hinaus sollen Flächen gekauft werden, wofür 50 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Zudem will das Land Berlin, das seine 1965 gegründete Gewerbesiedlungsgesellschaft GSG übrigens vor zwölf Jahren samt einer Million Quadratmeter Gewerbefläche (und 30 Prozent Leerstand) privatisiert hatte, zunächst zwei neue Gewerbehöfe schaffen. „Wir werden mit einer strategischen Flächenvorsorge die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Berlin langfristig erhalten“, verspricht Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Grünen.

Derweil tobt in der hiesigen Start-up-Szene der Verdrängungswettbewerb um die knappen Flächen. Sascha Schubert vom Start-up-Bundesverband schätzt, dass allenfalls 150 der 3000 Berliner Start-ups die Preisexplosion vor allem innerhalb des S-Bahn-Rings mitgehen können. „Die Gründerstadt hat ihren Vorteil günstiger Mieten verloren“, sagt er. Dabei gilt dies keineswegs stadtweit. In Marzahn etwa, wo die GSG zwei Gewerbehöfe betreibt, ist die Lage weniger angespannt. Dort hat sich der Leerstand in den vergangenen drei Jahren zwar ebenfalls halbiert, dennoch sind dort aktuell noch 17.000 Quadratmeter zu bekommen. Dies sogar ab vier Euro pro Quadratmeter. Der Höchstpreis liegt bei zehn Euro.

Also alles halb so schlimm? Besteht das eigentliche Problem darin, dass sich die hippen Start-ups zu fein sind für die Stadtrandlagen? Ist vielleicht die Versorgungsinfrastruktur für Latte Macchiato und vegane Burger deren wichtigstes Kriterium für die Standortwahl? Ja, so ist das, bestätigt Start-up-Vertreter Sascha Schubert. Allerdings sei man sich nicht zu fein, sondern stehe im harten Wettbewerb um die talentiertesten Köpfe. In Berlin buhlen nach seiner Einschätzung 30 bis 40 Firmen um ein Talent. Da spiele die Lage eine entscheidende Rolle.

Coworking-Space-Anbieter gelten bereits als die Luxussanierer des Büromarkts

Tatsächlich war das auch für das Unternehmen Getyourguide ausschlaggebend, das viele Mitarbeiter aus dem Ausland rekrutiert. „Das bedeutet, wir holen unsere Top-Talente nicht nur zu Getyourguide, sondern auch nach Berlin“, sagt CEO Johannes Reck. Die neuen Büros in Prenzlauer Berg seien „definitiv ein starkes Argument im Kampf um Fachkräfte“. Folge andererseits: Wer wegen steigender Mieten an den Stadtrand umziehen muss, riskiert, seine besten Leute an die Konkurrenz zu verlieren. Als Alternative empfehlen sich seit Jahren Anbieter sogenannter Coworking Spaces. Dort kann man für einen Monatsbeitrag Schreibtische und Infrastruktur in bester Citylage nutzen. Die großen Anbieter heißen Rent24, Wework aus den USA und Mindspace aus Tel Aviv. In Berlin sind sie alle vertreten. Insgesamt 200.000 Quadratmeter Bürofläche sind derzeit als Coworking Space im Angebot. 

Allein die Berliner Wework-Flächen summieren sich auf 65.000 Quadratmeter. Aber dabei wird es nicht bleiben. Immobilienunternehmen gehen davon aus, dass sie zuschlagen werden, sollte die Wirtschaft weniger stark wachsen und Flächen zum Angebot kommen. Beim Immobiliendienstleister JLL schätzt man, dass 2030 schon 30 Prozent aller Büroflächen auf flexible Konzepte wie Coworking entfallen könnten. Das Konzept wird allerdings längst auch kritisch betrachtet.

Coworking-Space-Anbieter gelten bereits als die Luxussanierer des Büromarkts und in jedem Fall als Preistreiber. Für Start-up-Lobbyist Sascha Schubert ist die Sache klar: „Coworking Spaces sind nicht die Lösung des Büroraummangels. Sie sind Teil des Problems.“