Bundesbank warnt: bei Energieembargo Rezession

Deutschland ist besonders abhängig von russischer Energie. Ein Einfuhrstopp werde die deutsche Wirtschaft daher hart treffen, so die Bundesbank.

Die Leuna-Raffinerie in Sachsen-Anhalt verarbeitet bisher zwölf Millionen Tonnen Rohöl aus Russland pro Jahr, um daraus Kraftstoffe wie Benzin und Diesel sowie chemische Grundstoffe wie Methanol herzustellen.
Die Leuna-Raffinerie in Sachsen-Anhalt verarbeitet bisher zwölf Millionen Tonnen Rohöl aus Russland pro Jahr, um daraus Kraftstoffe wie Benzin und Diesel sowie chemische Grundstoffe wie Methanol herzustellen.dpa/Jan Woitas

Eine Eskalation des Konflikts mit Moskau mit einem vollständigen Einfuhrstopp russischer Energie könnte die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr nach Modellrechnungen der Bundesbank in eine Rezession stürzen. „Im verschärften Krisenszenario würde das reale Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr gegenüber dem Jahr 2021 um knapp 2 Prozent zurückgehen“, hieß es im neuen Monatsbericht der Notenbank.

Die Wirtschaftsleistung könnte damit um bis zu 5 Prozent niedriger ausfallen als in der März-Prognose der Europäischen Zentralbank (EZB) angenommen. Umgerechnet in absolute Zahlen wären das ungefähr 165 Milliarden Euro. Da es kurzfristig kaum möglich wäre, Lieferausfälle aus Russland durch erhöhte Einfuhren aus anderen Förderländern komplett zu ersetzen, dürfte es vor allem bei der Gasversorgung zu Engpässen kommen. Die Bundesbank geht in ihrem Szenario davon aus, dass der Einsatz von Energie rationiert würde. Mehr als die Hälfte der Gasimporte in Deutschland stammen aus Russland.

Kein so starkes Schrumpfen wie im Corona-Jahr

Auch in den kommenden beiden Jahren würden die Folgen eines Lieferstopps die deutsche Wirtschaft belasten und zu Wachstumseinbußen führen, schrieben die Ökonomen der Deutschen Bundesbank. Sie schätzten den Absolutbetrag auf jeweils ungefähr 115 Milliarden Euro. Für diese beiden Jahre wurden keine Berechnungen zu Effekten möglicher Rationierungen von Energie angestellt.

Dennoch würde Europas größte Volkswirtschaft nach den im März erstellten Modellrechnungen in diesem Jahr nicht so stark schrumpfen wie im Corona-Krisenjahr 2020. Die Bundesbank-Volkswirte führten dies auf die „vergleichsweise dynamische Erholungsphase“ nach der Krise zurück. Im ersten Corona-Jahr 2020 war das Bruttoinlandsprodukt um 4,6 Prozent eingebrochen. Im vergangenen Jahr fasste die deutsche Wirtschaft aber wieder Tritt und wuchs um 2,9 Prozent. Die Bundesbank wies darauf hin, dass die Modellrechnungen erheblichen Unsicherheiten unterliegen und die künftige Entwicklung „sowohl über- als auch unterzeichnen“ können.

Ziel: Bis Ende 2022 ohne russisches Öl

Die Bundesregierung arbeitet nach eigenen Angaben mit Hochdruck an alternativen Quellen für eine sichere Energie- und Rohstoffversorgung der Industrie. „Wir wollen nie wieder so abhängig sein wie wir das waren, von Russland“, betonte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Kellner, am Freitag nach einem Besuch am Chemiestandort Leuna. Es gehe darum, den Ausbau alternativer Energie- und Rohstoffquellen zu beschleunigen und die Wertschöpfungsquelle stabil zu halten. Ein Ziel sei es, Ende 2022 unabhängig von russischen Öllieferungen zu sein. Zudem gehe es darum, Gasspeicher in Deutschland schneller und mehr als bisher mit Vorräten zu befüllen.

Ein sofortiger Lieferstopp, etwa von Gaslieferungen aus Russland, hätte nach Ansicht von Branchenvertretern existenzielle Folgen für Deutschland. „Wenn Gas fehlt, geht der Standort außer Betrieb und wir haben einen Zusammenbruch der Chemie, einen Zusammenbruch der gesamten deutschen Industrie“, sagte Christof Günther, Geschäftsführer der Infraleuna GmbH und energiepolitischer Sprecher der ostdeutschen Branche im Verband Nordostchemie. Er verwies auf Abhängigkeiten anderer Industriezweige von der Chemie, deren Produkte in nahezu allen Lebensbereichen wichtig seien, etwa in der Automobilbranche oder der Verpackungsindustrie für Lebensmittel. „Es ist unmöglich, kurzfristig den Hahn zuzudrehen“, sagte Günther. Die Chemie- und Pharmaindustrie ist in Ostdeutschland die drittgrößte Branche mit rund 65.000 Beschäftigten. Bundesweit hat die Chemie rund 465.000 Beschäftigte.

Grüne Lang gegen sofortiges Gasembargo gegen Russland

Grünen-Chefin Ricarda Lang hat sich gegen ein sofortiges Gasembargo gegen Russland ausgesprochen. Sie sagte am Freitag beim Ludwig-Erhard-Gipfel in Gmund am Tegernsee, es gehe darum, möglichst schnell aus fossilen russischen Energien auszusteigen. Deutschland habe sich aber in den vergangenen Jahren „unfassbar abhängig“ gemacht von Russland. „Diese Abhängigkeit lässt sich nicht so schnell einfach rückgängig machen.“

Lang machte deutlich, dass etwa die Chemieindustrie massiv von einem Gasembargo betroffen wäre. „Wir reden über Hunderttausende von Arbeitsplätzen, wir reden von explodierenden Preisen und die damit einhergehenden sozialen Unruhen. All das sind Kosten, über die wir ehrlich sprechen müssen.“ Deutschland müsse außerdem die Sanktionen gegen Russland dauerhaft aushalten können. „Wir können nicht jetzt Schritte gehen, die bei uns zu einer Destabilisierung führen, wo wir in drei oder in vier Monaten sie wieder zurücknehmen müssen. Weil das wäre das größte Fiasko, wenn wir dann wieder bei Putin anklopfen müssen“, sagte Lang. „Wenn das Gas nicht mehr fließt aus Russland, dann darf es auch nie wieder fließen.“

Auch Baerbock gegen zeitlich befristetes Gasembargo

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat einem vorläufigen Energie-Embargo gegen Russland wegen des Ukraine-Krieges eine Absage erteilt. Einen von mehreren Partnerstaaten vorgeschlagenen befristeten Importstopp für russisches Gas halte sie für „nicht richtig“, sagte Baerbock bei einer Pressekonferenz in Litauens Hauptstadt Vilnius. Bei den Sanktionen gegen Russland müsse es um Langfristigkeit gehen: „Wenn wir diesen Schritt jetzt gehen, uns unabhängig zu machen von russischen fossilen Importen, dann muss das der Schritt für immer sein.“

Ein sofortiges Embargo für russisches Öl und Gas bezeichnete Baerbock als nicht umsetzbar. Auch der Vorschlag einiger Partner, ein solches Embargo auf einen Monat zu begrenzen, habe Tücken: So dürften die Europäer nicht in eine Situation kommen, in der die Brutalität in der Ukraine zunehme, man aber sagen müsse: „Leider können wir unsere Sanktion nicht durchhalten, wir machen eine Rolle rückwärts.“

Bereits Mitte März habe die Bundesregierung zugesagt, dass sie „den Komplettausstieg aus russischer Energieabhängigkeit“ wolle, betonte Baerbock. Bei Kohle sei dies bereits beschlossen, einen Zeitplan gebe es auch für den Ausstieg aus russischem Öl und Gas. „Und ich will, dass die Bundesrepublik Deutschland diesen Weg durchhalten kann“, sagte Baerbock. Die EU-Staaten hatten Anfang April ein Kohle-Embargo gegen Russland beschlossen. Bis Jahresende hält es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auch für möglich, „nahezu unabhängig“ von russischem Öl zu sein. Bei Gas sieht das sein Ministerium erst „bis Mitte 2024“.

Ifo-Institut: EU bei Öl-Embargo „in der Zwickmühle“

Die Europäische Union befindet sich nach Einschätzung des Münchner Ifo-Instituts bei der Frage eines Öl-Embargos gegen Russland in einer „Zwickmühle“. Mehr Zeit verstreichen zu lassen, würde der EU die Möglichkeit geben, „sich besser vorzubereiten“, erklärte das Münchner Forschungsinstitut. So könnten alternative Energiequellen organisiert, die Nachfrage gesenkt und die Logistik optimiert werden.

„Andererseits sollte ein Ölembargo auch nicht ewig aufgeschoben werden“, fuhren die Experten fort. Sonst könnte nicht nur Russland andere Abnehmer finden, „während die Einnahmen aus der EU weiter fließen“ sondern es würden auch die Anreize in den EU-Staaten verringert, sich auf einen Stopp der russischen Energieversorgung vorzubereiten.

„Bei Öl gehen wir davon aus, dass ein Rückgang der russischen Lieferungen durch andere Quellen ausgeglichen werden kann“, erklärte das Ifo. Dies für Kohle und Öl gleichzeitig zu ermöglichen, während Engpässe bei russischem Gas drohen, sei jedoch „eine Herausforderung“. Ein Öl- oder Gasembargo würde indes Russland „wesentlich härter treffen als das Kohle-Embargo“.