China: Ein Friedensplan, der dem Westen nicht schmeckt

China hat einen 12-Punkte-Plan für die Ukraine vorgelegt. Dahinter versteckt sich eine Neuordnung der globalen Machtverhältnisse.

Chinas Außenminister Wan Yi in Moskau
Chinas Außenminister Wan Yi in MoskauAnton Novoderezhkin/AP

China hat einen 12-Punkte-Plan vorgelegt, um den Krieg zwischen der Ukraine und Russland zu beenden und die Basis für den Frieden zu legen. Dies ist jedenfalls der Anspruch, der sich aus der Interpretation durch chinesische Staatsmedien ergibt. Die zwölf Punkte sollen nach chinesischer Interpretation eine „Blaupause“ für eine „konstruktive Lösung“ des Konflikts liefern.

Es werden bestimmte Grundprinzipien genannt, deren Anwendung jedoch nicht ausschließlich in der Macht der beiden Kriegsparteien liegt. Von den Kriegsparteien gelöst werden könnten sieben Punkte: „Respektierung der Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität; Einstellung der Feindseligkeiten; Wiederaufnahme der Friedensgespräche; Lösung der humanitären Krise; Schutz von Zivilisten und Kriegsgefangenen; Sicherheit für Kernkraftwerke herstellen; Erleichterung des Getreideexports“. Fünf weitere essenzielle Punkte müssten dagegen zwischen den USA und Russland oder aber auf Ebene der globalen Großmächte verhandelt werden: „Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges; Reduzierung strategischer Risiken bei Atomwaffen; Beendigung einseitiger Sanktionen; Sicherung der Stabilität von Lieferketten; Wiederaufbau nach Konflikten“.

Im Kern zeigt das Papier, dass Peking doch sehr weit weg vom Kriegsgeschehen ist. Alle Punkte sind für sich genommen unstrittig und ehrenvoll. Allein die konkrete Umsetzung scheitert schon an Definitionen: Gilt als „territoriale Integrität“ nun die Ukraine in ihren Grenzen von vor 2014 oder sind es die Volksrepubliken im Donbass, die sich Russland am Vorabend der Invasion einverleibt hat? Auf welchen „Friedensgesprächen“ soll aufgebaut werden – die Minsker Vereinbarungen, die nach heutigem Kenntnisstand von keiner der beiden Seiten mit ehrlichen Absichten geführt wurden?

Der russische Präsident Wladimir Putin (rechts) und Chinas Außenminister Wang Yi
Der russische Präsident Wladimir Putin (rechts) und Chinas Außenminister Wang YiAnton Novoderezhkin/AP

Zum Punkt „Erleichterung des Getreideexports“: Die bestehende Vereinbarung läuft am 19. März aus. Russland gibt an, dass ein nur sehr kleiner Teil des Getreides in die armen Länder der Erde geht und signalisiert auf diplomatischer Ebene, dass unter diesen Umständen eine Verlängerung nicht sinnvoll sei. Selbst die Möglichkeiten der Mitwirkung der Vereinten Nationen (UN) im humanitären Bereich sind zweifelhaft, weil sich die USA und Russland auf UN-Ebene andauernd blockieren.

Somit bleibt es bei den übergeordneten Ideen, die allesamt dem Leitgedanken einer „multipolaren“ Welt folgen, in der sich die Großmächte Spielregeln geben, deren Einhaltung sie gegenseitig überwachen. Dies ist jedoch für den Westen aktuell kein Thema. Der Westen ist nicht willens, China als neutralen Vermittler zu akzeptieren, mehr noch: Nato-Generalsekretär Stoltenberg sagte am Freitag, dass es „Anzeichen“ gebe, wonach China plane, Russland „tödliche Hilfe“ zu geben. „China sollte dies nicht tun, denn damit würde es einen illegalen Angriffskrieg unterstützen, das Völkerrecht verletzen und gegen die UN-Charta verstoßen“, sagte Stoltenberg. „Das wäre ein sehr großer Fehler.“ Die dpa zitiert einen US-Strategieberater mit den Worten: „Das Dokument deutet an, dass Peking möchte, dass sich Friedensgespräche lieber um eine neue europäische Sicherheitsarchitektur drehen als über den Krieg selbst.“ Die Ukraine lehnte das Papier rundweg ab, weil es die für Kiew entscheidende Frage nicht einmal streife: Die Ukraine bestehe unverändert auf einen Abzug der russischen Truppen und ihre international anerkannten Grenzen von 1991, so ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Demnach stehen die Zeichen auch ein Jahr nach dem russischen Einmarsch auf Fortsetzung des Krieges, um sich militärisch günstigere Positionen für Verhandlungen zu sichern. Die New York Times schreibt, sollte „keine Seite in den kommenden Monaten signifikante Fortschritte erzielt haben, könnte der Konflikt auf einen Waffenstillstand zusteuern“. Die Ukrainer würden, obwohl sie ihre Gebiete vielleicht nicht vollständig zurückerobert haben, einen aggressiven Feind abgewehrt haben. Die Russen ihrerseits könnten ihre strategische Niederlage als taktischen Sieg tarnen. Der Konflikt würde eingefroren, ein alles andere als ideales Ergebnis. Das Fazit der New York Times: „Doch wenn wir etwas aus dem Koreakrieg gelernt haben, dann das, dass ein eingefrorener Konflikt besser ist als eine völlige Niederlage oder ein erschöpfender Zermürbungskrieg.“

Der chinesische Plan im Wortlaut:

1. Respektierung der Souveränität aller Länder. Das allgemein anerkannte Völkerrecht, einschließlich der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, ist strikt einzuhalten. Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder müssen wirksam gewahrt werden. Alle Länder, groß oder klein, stark oder schwach, reich oder arm, sind gleichberechtigte Mitglieder der internationalen Gemeinschaft. Alle Parteien sollten gemeinsam die Grundnormen der internationalen Beziehungen wahren und internationale Fairness und Gerechtigkeit verteidigen. Die gleiche und einheitliche Anwendung des Völkerrechts sollte gefördert werden, während Doppelmoral abgelehnt werden muss.

2. Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges. Die Sicherheit eines Landes sollte nicht auf Kosten anderer verfolgt werden. Die Sicherheit einer Region sollte nicht durch die Stärkung oder den Ausbau von Militärblöcken erreicht werden. Die legitimen Sicherheitsinteressen und Bedenken aller Länder müssen ernst genommen und angemessen berücksichtigt werden. Es gibt keine einfache Lösung für ein komplexes Problem. Alle Parteien sollten gemäß der Vision einer gemeinsamen, umfassenden, kooperativen und nachhaltigen Sicherheit und unter Berücksichtigung des langfristigen Friedens und der Stabilität der Welt dazu beitragen, eine ausgewogene, wirksame und nachhaltige europäische Sicherheitsarchitektur zu schmieden. Alle Parteien sollten sich dem Streben nach eigener Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer widersetzen, Blockkonfrontationen verhindern und sich gemeinsam für Frieden und Stabilität auf dem eurasischen Kontinent einsetzen.

Russlands Präsident Wladimir Putin im Gespräch mit Wang Yi 
Russlands Präsident Wladimir Putin im Gespräch mit Wang Yi Anton Novoderezhkin/AP

3. Einstellung der Feindseligkeiten. Konflikte und Krieg nützen niemandem. Alle Parteien müssen rational bleiben und Zurückhaltung üben, ein Anfachen der Flammen und eine Verschärfung der Spannungen vermeiden und verhindern, dass sich die Krise weiter verschärft oder sogar außer Kontrolle gerät. Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine dabei unterstützen, in die gleiche Richtung zu arbeiten und den direkten Dialog so schnell wie möglich wieder aufzunehmen, um die Situation schrittweise zu deeskalieren und schließlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen.

4. Wiederaufnahme der Friedensgespräche. Dialog und Verhandlungen sind die einzig gangbare Lösung für die Ukraine-Krise. Alle Bemühungen zur friedlichen Beilegung der Krise müssen gefördert und unterstützt werden. Die internationale Gemeinschaft sollte sich weiterhin für den richtigen Ansatz zur Förderung von Friedensgesprächen einsetzen, den Konfliktparteien helfen, die Tür zu einer politischen Lösung so schnell wie möglich zu öffnen, und Bedingungen und Plattformen für die Wiederaufnahme von Verhandlungen schaffen. China wird in dieser Hinsicht weiterhin eine konstruktive Rolle spielen.

5. Lösung der humanitären Krise. Alle Maßnahmen zur Linderung der humanitären Krise müssen gefördert und unterstützt werden. Humanitäre Operationen sollten den Grundsätzen der Neutralität und Unparteilichkeit folgen, und humanitäre Angelegenheiten sollten nicht politisiert werden. Die Sicherheit von Zivilisten muss wirksam geschützt werden, und es sollten humanitäre Korridore für die Evakuierung von Zivilisten aus Konfliktgebieten eingerichtet werden. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um die humanitäre Hilfe in relevanten Gebieten zu verstärken, die humanitären Bedingungen zu verbessern und einen schnellen, sicheren und ungehinderten humanitären Zugang zu ermöglichen, um eine humanitäre Krise größeren Ausmaßes zu verhindern. Die Vereinten Nationen sollten dabei unterstützt werden, eine koordinierende Rolle bei der Lenkung humanitärer Hilfe in Konfliktgebiete zu spielen.

6. Schutz von Zivilisten und Kriegsgefangenen (POWs). Konfliktparteien sollten sich strikt an das humanitäre Völkerrecht halten, Angriffe auf Zivilisten oder zivile Einrichtungen vermeiden, Frauen, Kinder und andere Opfer des Konflikts schützen und die Grundrechte von Kriegsgefangenen respektieren. China unterstützt den Austausch von Kriegsgefangenen zwischen Russland und der Ukraine und fordert alle Parteien auf, hierfür günstigere Bedingungen zu schaffen.

7. Kernkraftwerke sicher halten. China lehnt bewaffnete Angriffe auf Kernkraftwerke oder andere friedliche Nuklearanlagen ab und fordert alle Parteien auf, das Völkerrecht, einschließlich des Übereinkommens über nukleare Sicherheit (CNS), einzuhalten und von Menschen verursachte nukleare Unfälle entschlossen zu vermeiden. China unterstützt die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) dabei, eine konstruktive Rolle bei der Förderung der Sicherheit friedlicher Nuklearanlagen zu spielen.

8. Reduzierung strategischer Risiken. Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt und Atomkriege nicht geführt werden. Die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen sollte bekämpft werden. Die Verbreitung von Kernwaffen muss verhindert und eine Nuklearkrise vermieden werden. China lehnt die Erforschung, Entwicklung und den Einsatz chemischer und biologischer Waffen durch jedes Land unter allen Umständen ab.

9. Erleichterung des Getreideexports. Alle Parteien müssen die von Russland, der Türkei, der Ukraine und den Vereinten Nationen unterzeichnete Schwarzmeer-Getreideinitiative vollständig und wirksam in ausgewogener Weise umsetzen und die Vereinten Nationen dabei unterstützen, in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle zu spielen. Die von China vorgeschlagene Kooperationsinitiative zur globalen Ernährungssicherung bietet eine praktikable Lösung für die globale Ernährungskrise.

Verhandlungsgespräche zwischen China und Russland
Verhandlungsgespräche zwischen China und RusslandAnton Novoderezhkin/AP

10. Beendigung einseitiger Sanktionen. Einseitige Sanktionen und maximaler Druck können das Problem nicht lösen; sie schaffen nur neue Probleme. China lehnt einseitige Sanktionen ab, die vom UN-Sicherheitsrat nicht genehmigt wurden. Relevante Länder sollten aufhören, einseitige Sanktionen und „langarmige Gerichtsbarkeit“ gegen andere Länder zu missbrauchen, um ihren Teil zur Deeskalation der Ukraine-Krise beizutragen und Bedingungen für Entwicklungsländer zu schaffen, damit sie ihre Wirtschaft wachsen und das Leben ihrer Bevölkerung verbessern können.

11. Industrie- und Lieferketten stabil halten. Alle Parteien sollten ernsthaft das bestehende Weltwirtschaftssystem aufrechterhalten und sich dagegen wehren, die Weltwirtschaft als Werkzeug oder Waffe für politische Zwecke zu benutzen. Gemeinsame Anstrengungen sind erforderlich, um die Auswirkungen der Krise abzumildern und zu verhindern, dass sie die internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Finanzen, Lebensmittelhandel und Transport stört und die weltweite wirtschaftliche Erholung untergräbt.

12. Förderung des Wiederaufbaus nach Konflikten. Die internationale Gemeinschaft muss Maßnahmen ergreifen, um den Wiederaufbau nach Konflikten in Konfliktgebieten zu unterstützen. China ist bereit, bei diesem Unterfangen Hilfe zu leisten und eine konstruktive Rolle zu spielen.