Christliche Kirchen fordern Ende der EU-Sanktionen gegen Syrien

Der Kirchenrat des Nahen Ostens sagt, wegen der EU-Sanktionen gegen Syrien sei die Erdbebenhilfe massiv erschwert. 

Eine Straße in Aleppo nach dem Erdbeben. 
Eine Straße in Aleppo nach dem Erdbeben. AFP

Nach dem verheerenden Erdbeben in Syrien und der Türkei ruft der Generalsekretär des in Beirut ansässigen Kirchenrats des Nahen Ostens (MECC), Michael Abs, zur sofortigen Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Syrien auf. Der Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe, der der griechisch-orthodoxen Kirche von Antiochien angehört, sagte der Berliner Zeitung: „Die Sanktionen treffen seit Jahren die Bevölkerung schwer und nicht die herrschenden Gruppen. Wegen der Sanktionen kommt nun auch die Erdbebenhilfe nicht in Syrien an, weil wir keine Gelder aus dem Libanon nach Syrien überweisen können. Die Menschen leiden unter Armut, Hunger und Krankheiten. Es ist menschenunwürdig, dass wird den Menschen nicht helfen können.“ Der Kirchenrat im Nahen Osten umfasst etwa 30 Kirchen und kirchliche Gemeinschaften, darunter Katholiken, Orthodoxe, Ostkirchen und Protestanten. Er vertritt alle Kirchen des Nahen Ostens und ist unter anderem mit allen großen christlichen Kirchen in Europa und Nordamerika verbunden.

Der MECC kritisiert seit Jahren die drakonischen Sanktionen der EU gegen Syrien. Abs: „Die Menschen leiden massiv und sterben. Wir können wegen der Sanktionen keine Medikamente oder lebenswichtige Güter an unsere Brüder und Schwestern schicken. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschlands muss sich als Regierung des wirtschaftlich stärksten Landes in Europa dafür einsetzen, dass die Sanktionen sofort aufgehoben werden.“ Abs betont, dass der MECC keinerlei politische Tätigkeit entfalte, man halte strikte Distanz zu allen politischen Playern und wolle auch „keinerlei politische Konnotation“ mit dem Hilferuf verbinden. „Wir dürfen Politik und Menschlichkeit nicht vermischen: Die Menschen in Syrien haben größte Schwierigkeiten, Baumaterialien und andere wichtige Dinge zu kaufen – wie soll da der Wiederaufbau gelingen?“, fragt Abs. Er verweist auf die Türkei: „Dort sehen Sie, wie gut Rettung und Hilfe in diesem Land funktionieren, weil es keine Sanktionen gibt. Die Menschen in Syrien befinden sich dagegen in einer ausweglosen Lage.“ Abs sagt, der Westen müsse erkennen, dass Syrien ein Teil des Westens sei und sich nicht als Feind sehe: „Wir haben höchste Wertschätzung für den Westen, wie sprechen dieselbe Sprache, wir teilen die Kunst und Kultur. Wir können nicht verstehen, dass der Westen sich immer wieder auf das Christentum und auf die Bibel beruft und dann ein ganzes Volk einfach im Stich lässt. Das ist nicht christlich!“ Abs sichert zu, dass das MECC und die Kirchen in Syrien dafür garantieren könnten, dass die Hilfe auch an den für sie bestimmt Orten ankommt: „Wir liefern geprüfte Berichte und vollständige Dokumentationen über alle Spendengelder.“ Noch lebe eine Million Christen in Syrien, und die wollten auch in Syrien bleiben. Eine massive Fluchtbewegung sei in niemandes Interesse. Doch um eine Entvölkerung zu verhindern, müssten sich die Lebensbedingungen für die Menschen in Syrien ändern.

Der Hilferuf der christlichen Kirchen aus Syrien an den Westen kommt in einer Zeit eines gravierenden Umbruchs: Russland kontrolliert Syrien militärisch als Unterstützer der Regierung von Präsident Baschar al-Assad. Auch China hat in den vergangenen Jahren seinen Einfluss in Syrien ausgebaut. Ned Price, Sprecher des US-Außenministeriums, sagte am Montag auf die Frage, ob die US-Regierung die Sanktionen lockern könnte, um der Bevölkerung zu helfen, die USA setzten auf „humanitäre Partner vor Ort“. Man werde „weiterhin das tun, was sich im Laufe der letzten zwölf Jahre als effektiv erwiesen hat: erhebliche Beträge an humanitärer Hilfe für Partner vor Ort bereitzustellen“. Diese Partner seien „anders als das syrische Regime dazu da, den Menschen zu helfen, anstatt sie mit Gewalt zu unterdrücken“, so Price.

Die USA und die EU hatten nach Beginn des Kriegs in Syrien im Jahr 2011 - also vor zehn Jahren - massive Sanktionen gegen Syrien verhängt. Diese sollten die Regierung von Präsident Baschar al-Assad unter Druck setzen und ihr die Einnahmequellen entziehen. Allerdings ist die Regierung immer noch im Amt.  Hilfsorganisationen stehen trotz einiger Ausnahmen bei den Sanktionen für humanitäre Hilfe immer wieder vor Problemen. Sie riskieren Strafen bei der direkten oder indirekten Zusammenarbeit etwa mit Unternehmen, die die Assad-Regierung unterstützen. Viele Banken, Transportunternehmen, Versicherungen und andere Dienstleister arbeiten überhaupt nicht mehr mit oder in Syrien.