Crowdfunding: Umschwärmte Bürger
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Ihr Pilotprojekt haben die drei Gründer von LeihDeinerStadtGeld gestemmt: Der Bürgermeister der hessischen Kommune Oestrich-Winkel warb über ihre Plattform bei Bürgern 83.200 Euro in Form von Krediten ein, um Digitalfunkgeräte für die Feuerwehr anzuschaffen. In nur drei Wochen, noch vor Ende der Laufzeit, kam das Geld zusammen – wenn auch nur von 13 Kapitalgebern. Die Verzinsung liegt bei 0,67 Prozent auf sechs Jahre. Weitere Geräte sollen in einer zweiten Tranche über Bürgerkredite finanziert werden.
Die Idee, dass sich eine Kommune von Bürgern Geld pumpt, um Infrastruktur zu finanzieren, verursachte bundesweit Aufsehen. Der Bürgermeister lobte neben dem wirtschaftlichen den gemeinschaftlichen Gewinn des Projekts – es habe die Identifikation der Bürger mit der Stadt gefördert.
Konferenz zu staatlichem Crowdfunding
Doch bis aus der Idee Wirklichkeit wurde, waren etliche Hürden zu meistern. Steffen Boller wird an diesem Mittwoch darüber berichten: Auf der ersten Crowdfunding-Konferenz, die den Schwerpunkt auf die Finanzierung von öffentlicher Infrastruktur setzt. Referenten aus zwölf Ländern hat das Berliner Institut für Kommunikation in sozialen Medien (Ikosom) in die Berliner IHK geladen, um über die Zukunft des Crowdfunding zu debattieren, also der Schwarmfinanzierung von Projekten durch viele verschiedene Kapitalgeber. Sie werden auch die Frage nach den rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen thematisieren, um Crowdinvesting in öffentliche Infrastruktur zu ermöglichen.
Denn längst sind es nicht mehr nur Künstler, Filmemacher oder Journalisten, die bei Fans und anderen Geldgebern Kapital einsammeln, um ihr erstes Buch oder ein Filmprojekt zu verwirklichen. Auch Unternehmen und Kommunen entdecken die Schwarmfinanzierung als Alternative zum Bankdarlehen. Unter anderem die verschärften Eigenkapitalvorschriften (Basel III) für die Banken sorgten dafür, dass sich die Kreditbedingungen für Städte und Kommunen verschlechtern, sagt Steffen Boller. Dies mache im Gegenzug die Kollektivfinanzierung attraktiver.
Allerdings dauerte es anderthalb Jahre, bis die entscheidende regulatorische Hürde genommen war. Während dieser Zeit bastelten die Geschäftsführer von LeihDeinerStadtGeld mit der Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin an einem tragfähigen Rechtsmodell für die Bürgerkredite. Denn eine Kommune darf keine Kreditgeschäfte tätigen. Deshalb holten sich die drei Betriebswirtschaftler von LeihDeinerStadtGeld die noch junge Fidor Bank ins Boot, die zwischengeschaltet wird und damit den Rechtsrahmen vorgibt.
Hessen ist Vorreiter
Doch noch lassen neue Projekte mit Städten auf sich warten. „Wir sind derzeit in Gesprächen oder Vertragsverhandlungen mit sechs bis sieben Kommunen, davon vier in Hessen“, sagt Boller. „Es ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig“, räumt er ein. So herrsche bei vielen Kämmerern zunächst Skepsis gegenüber der immer noch relativ unbekannten Kollektivfinanzierung. Den zeitlichen Rahmen, den es brauche, um Projekte ins Rollen zu bringen, habe er unterschätzt, sagt Boller rückblickend.
Auch deshalb haben die drei Gründer ihre zweite Plattform für privatwirtschaftliche Unternehmen geöffnet: Auf LeihDeinerUmweltGeld können sich Bürger an Umweltprojekten von Solar über Wind bis Biomasse beteiligen. Aktuell geht es um einen Solarstrompark im brandenburgischen Liebenthal. Bürger können das Projekt über Nachrangdarlehen unterstützen. Die Firma SolarArt will so gut 640000 Euro zu einem Zinssatz von fünf Prozent bei verschiedenen Laufzeiten einsammeln.
Erst die Idee, dann die Plattform
Crowdfunding-Experte Michael Gebert hat schon einige Plattformen für Schwarmfinanzierung mit aus der Taufe gehoben . Auch er zählt zu den Rednern der Konferenz. Ein großes Risiko beim Crowdfunding öffentlicher Infrastruktur bestehe darin, dass die Idee nicht frühzeitig genug kommuniziert werde, sagt er. „Dann ist plötzlich eine Plattform da, und viele Leute fühlen sich in ihrer Kompetenz übergangen.“ Deshalb sei es äußerst wichtig, von Anfang möglichst viele verschiedene Parteien, etwa auch Stadtplaner, zu involvieren. Gebert plädiert außerdem dafür, bei kommunalen Crowdfunding-Projekten auch Alumni-Netzwerke und Universitäten miteinzubinden. Denn dort gebe es nicht nur genug Ideen und Geld, sondern auch einen organisatorisch-strukturellen Rahmen, der zur Sicherheit der Projekte beitragen könne.
Ein weiteres Risiko sei die zeitliche Umsetzung. Denn die europaweite Ausschreibungspflicht für öffentliche Projekte macht die Sache komplex. Ist das Geld schon eingesammelt, und die Kosten – etwa für ein Bauprojekt – gehen später in die Höhe, sei die Frage, was mit der Nachfinanzierung passiert. „Über solche Fragen ist bisher noch gar nicht gesprochen worden“, sagt Gebert.