„Es ist zu bezweifeln, dass sich Indien und China das gefallen lassen“
Der G7-Gipfel will Russlands Öl-Exporte kappen. Dazu es muss dem Westen gelingen, Russland noch stärker zu isolieren. Ein riskantes Manöver.

Über dem G7-Gipfel in Elmau wehte mehr als nur ein Hauch von Gosplan, des sowjetischen Komitees für die Planung der sozialistischen Wirtschaft, spottet das US-Magazin Politico: Die Idee von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, einen weltweit geltenden Preisdeckel auf russische Öllieferungen zu verhängen, würde das Ende der freien Marktwirtschaft bedeuten.
Macron hatte eine Idee der amerikanischen Finanzministerin Janet Yellen aufgegriffen, die einen Preisdeckel ins Spiel gebracht hatte – allerdings nicht so weitgehend, dass andere Staaten mit Zwang dazu gebracht werden sollten, sich den Maßnahmen gegen Russland anzuschließen. „Natürlich hat eine solche Maßnahme nichts mit Marktwirtschaft zu tun, aber wir haben aktuell mit dem Krieg eine außergewöhnliche Situation“, sagt Alexander Sandkamp, Ökonom und Experte für Handel vom Institut für Weltwirtschaft Kiel (ifw), der Berliner Zeitung.
Die G7-Staaten hatten sich am Dienstag darauf verständigt, einen Preisdeckel für russisches Öl auszuarbeiten. Der Gipfel werde die zuständigen Fachminister beauftragen, „sich in Absprache mit Drittländern und dem Privatsektor dringend um die Entwicklung einer Preisobergrenze für Öl zu bemühen“, sagte ein US-Regierungsvertreter am Dienstag laut AFP. Ziel der Maßnahme sei es, Moskau Einnahmen zu entziehen, die den Krieg in der Ukraine finanzieren. Ökonom Sandkamp: „Es ist eine interessante Idee, weil man die russischen Öl-Einnahmen treffen würde und zugleich die Verbraucher entlasten kann.“
Russland verkauft ungehindert weiter Öl
Der Vorschlag ist auch als Eingestehen des Scheiterns der Öl-Sanktionen gegen Russland zu sehen: Während der Westen die Ölimporte reduziert hat, verkauft Russland ungehindert weiter Öl an andere Staaten. Auch wenn diese einen Preisnachlass erhalten, stellt der Handel noch immer ein gutes Geschäft dar. Auch andere verdienen an den Folgen der Sanktionen: In zahlreichen Ländern wird russisches Erdöl entweder verarbeitet oder einfach nur umdeklariert, um es dann mit einem Preisaufschlag in den Westen zu verkaufen: „Der Versuch, die russischen Öl-Einnahmen durch Sanktionen zu reduzieren, hat nicht funktioniert“, sagt Sandkamp.
Die Sanktionen haben sogar den gegenteiligen Effekt erzeugt: Eine ifw-Untersuchung von Vincent Stamer hat ergeben, dass die Menge der russischen Importe in die EU im April 2022 im Vergleich zum April 2021 im Umfang zwar um etwa 20 Prozent abgenommen hat. Der Wert der Importe ist jedoch zugleich um 75 Prozent gestiegen. Daher wollen die westlichen Industriestaaten nun auch jene ins Boot holen, die sich an den Sanktionen nicht beteiligt haben – und nur dann hätte die Maßnahme auch einen Effekt, sagt Sandkamp: „Funktionieren würde ein solcher Preisdeckel nur, wenn alle mitmachen – Indien, Brasilien, Südafrika, China und Indonesien müssten überzeugt werden. Das scheint momentan eher illusorisch.“ Das Problem ist jedoch, dass der Effekt begrenzt bleibt, „wenn es nur der Westen macht“.
Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Umsetzung, die in jedem Fall einen erheblichen bürokratischen Aufwand nach sich ziehen würde. So sind Vertreter der EU-Kommission bereits höflich auf Distanz gegangen und haben in mehreren Medien durchklingen lassen, dass man jede Idee prüfe, die aus dem Élysée komme. Hier sei jedoch noch viel Arbeit nötig, um zu solch einer zentral gesteuerten und kontrollierten Maßnahme kommen zu können. Auch politisch dürfte es schwerfallen, die großen Nationen gegen Russland aufzubringen, die sich bisher neutral verhalten oder Russland gar offen unterstützt haben. Denn der Vorschlag wird ohne Druck nicht zu verwirklichen sein. Sandkamp: „Es ist zu bezweifeln, dass sich Indien und China das gefallen lassen werden.“
Preisdeckel soll dämpfende Wirkung auf Inflation haben
Eine Variante, die aktuell kursiert, ist, dass der Spezialpreis über die Versicherungen für Schiffe überwacht werden könnte. Tanker mit russischem Öl würden nicht mehr versichert werden, wenn sie sich nicht an den vorgeschriebenen Preis halten. Die Versicherer sind mit der überwiegenden Mehrheit in Europa ansässig und haben eine entsprechende Marktmacht. Doch Sandkamp meint, es gäbe dann „das Problem von Umgehungskonstruktionen, wie wir es schon bei den Sanktionen gesehen haben“. Immerhin: Über die Versicherer könnte der Westen wirksamen Zwang auf die anderen ausüben: „Nachdem man gesehen hat, dass im Öl-Bereich die Sanktionen nicht wie erhofft gewirkt haben, könnte man mit diesem Instrument Länder zum Mitmachen zwingen, die keine Sanktionen verhängt haben.“
Ein Nebenaspekt, den sich die G7-Chefs vom Preisdeckel erhoffen, ist seine dämpfende Wirkung auf die Inflation. Dieser Gedanke ist ökonomisch nicht stichhaltig: Denn entweder ist die Inflation durch eine zu hohe Nachfrage bedingt, dann müssen die Zentralbanken eingreifen. Oder sie ist durch ein zu geringes Angebot bedingt, dann muss das aktuelle Problem mit den Lieferketten gelöst werden. In jedem Fall ist für Ökonom Sandkamp klar: „Ein auf den Westen begrenzter Preisdeckel hätte vermutlich keine positiven Auswirkungen auf die Inflation in Deutschland.“