Deutsche Bahn: Bahnchef Lutz schreibt Brandbrief an Vorstand

Düsseldorf - Der unabhängige Fahrgastverband „Pro Bahn“ sieht angesichts der Krise der Deutschen Bahn vor allem die Politik in der Pflicht. Einen mahnenden Brief über verfehlte Ziele bei Pünktlichkeit und Gewinn von Bahn-Chef Richard Lutz an die Führungskräfte, der am Sonntag bekanntgeworden war, lobte der Ehrenvorsitzende von Pro Bahn, Karl-Peter Naumann, am Montag im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. „Wir sehen diesen Brandbrief als sehr mutig an, weil er wirklich die Probleme beschreibt“, sagte Naumann. „Jetzt ist sowohl das Unternehmen als auch die Politik gefordert, hier zu Lösungen zu kommen.“ Aus Sicht von Pro Bahn sei die Politik dafür verantwortlich, dass sich der Staatskonzern im Wettbewerb mit   anderen Verkehrsunternehmen schwer tue.  

Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft der Lokomotivführer begrüßte im Gespräch mit der FR den selbstkritischen Ton des Vorstandsbriefs. Sparpotential sieht er vor allem bei Prestigeprojekten wie Stuttgart21: „Wir bekommen vor lauter Vorausschau in die Zukunft offensichtlich die Gegenwart nicht in den Griff.“ Weselsky mahnte, nicht etwa bei der Einstellung von dringend benötigten neuen Lokführern, der Qualität der Ausbildung oder Investitionen in Gerät und Infrastruktur zu sparen. In Bezug auf kommende Tarifverhandlungen gab er sich gelassen: „Ich will mal nicht hoffen, dass der Vorstandsvorsitzende darauf abzielt, dass die Tarifrunde 2018 ausfällt wegen anstehender Sparmaßnahmen. Das wäre nicht produktiv und würde dazu führen, dass die beteiligten Zugbegleiter und Lokführer den letzten Rest ihres Glaubens an das Management auch noch verlieren.“

Brief zeichnet erschütterndes Bild des Konzerns

Naumann und Weselsky reagierten damit auf einen Brandbrief von Bahn-Vorstandschef Richard Lutz an die Führungskräfte des Konzerns. Das Schreiben war am Sonntag bekannt geworden, das Handelsblatt veröffentlichte es auch online. In dem Brief zeichnet Lutz ein erschütterndes Bild über den Zustand des Konzerns und verwies auf unpünktliche Züge, hohe Kosten, verfehlte Gewinnziele und einen steigenden Schuldenberg. Es gebe „nichts zu beschönigen“ an der Situation des Konzerns, betont der Vorstandsvorsitzende. Lutz kündigt zugleich drastische Maßnahmen an, die die Gewinnerwartung von 2,1 Milliarden Euro bis zum Jahresende sichern sollen: „Ab sofort“ und unbefristet soll der Konzern mit einer „qualifizierten Ausgabensteuerung“ operieren.

Das bedeutet, dass jede größere Ausgabe bis auf weiteres von der Konzernleitung genehmigt werden muss. „Sinnvolle und notwendige Ausgaben für den laufenden Betrieb und für alle Anstrengungen, die wir im Sinne Kunde, Qualität, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit unternehmen, laufen selbstverständlich weiter“, so der Bahnchef. Dem Konzern steht also ein harter Sparkurs bevor. Angeblich ist auch die Unternehmensberatung McKinsey wieder im Haus – wie schon beim ersten Sanierungsversuch 2012.

Selbstkritische Töne zu Pünktlichkeit und Geldnot

Während der Fahrgastverband die Politik in der Pflicht sieht, schlägt der Bahnchef vor allem selbstkritische Töne an, etwa in Bezug auf das alte Bahnproblem „Pünktlichkeit im Fernverkehr“: Dies liegt im laufenden Jahr bei 82 Prozent – vier von fünf Fernzügen sollen weniger als sechs Minuten Verspätung haben. Im August 2018 waren aber nur 76 Prozent der Fernzüge pünktlich, was laut Lutz jetzt schon bedeutet, dass weder die Vorjahreswerte noch das eigentlich gesteckte Ziel erreicht werden können. „Natürlich hat auch die Hitzewelle der letzten Wochen ihren Einfluss gehabt“, schreibt der Vorstandschef. „ Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört aber auch, dass wir unsere eigenen Themen wie z.B. die Fahrzeugverfügbarkeit schlicht nicht im Griff haben."

Die drängendste Sorge des Vorstands ist allerdings die finanzielle Lage des Konzerns. Der Bahn rinnt das Geld durch die Finger. Die aktuelle Gewinnerwartung von 2,1 Milliarden Euro für das Jahr 2018 ist bereits zweimal nach unten korrigiert worden. Laut Lutz‘ Brief liegt die Bahn hier 160 Millionen Euro unter Plan. Ein Hauptgrund ist die schwächelnde Fracht-Tochter DB Cargo, der es einfach nicht gelingen will, vom Boom der deutschen Logistikbranche zu profitieren. Auch gebe es „allen Grund, manche Kostenentwicklung der letzten Jahre und unser aktuelles Ausgabeverhalten kritisch zu hinterfragen“, schreibt der Bahn-Chef in seinem Brandbrief. Verwaltungskosten hätten sich seit 2015 drastisch erhöht, um einen „deutlichen dreistelligen Millionenbetrag“.

Schuldengrenze rückt gefährlich nahe

Versickert ist anscheinend auch die Finanzspritze von einer Milliarde Euro, die der Bund dem Konzern 2016 zugesagt hatte. Das Ergebnis: Zum Halbjahr 2018 lag die Nettoverschuldung der Deutschen Bahn bei 19,7 Milliarden Euro, wovon sich allein drei Milliarden Euro in den vergangenen Jahren angesammelt haben. Die Schuldengrenze von 20,4 Milliarden Euro, die der Bund dem Staatskonzern vorgegeben hat, rückt damit gefährlich nahe.