Gas und Diesel könnten schon bald rationiert werden

Die deutschen Behörden haben die Unternehmen aufgefordert, sich auf Rationierungen oder die Abschaltung von Erdgas vorzubereiten. Auch Diesel wird knapp.

Die PCK-Raffinerie
Die PCK-Raffineriedpa/Jan Woitas

Deutsche Behörden bereiten die Wirtschaft auf eine mögliche Rationierung von Energie vor. Christian Hampel, Partner und Rechtsanwalt bei BDO Legal in Berlin sagte der Berliner Zeitung: „Zahlreiche Unternehmen haben sich an uns gewandt, weil sie von ihren Gasversorgungsunternehmen Briefe erhalten haben, in denen ihnen angekündigt wird, dass ihre Energielieferungen zukünftig rationiert oder abgeschaltet werden könnten.“ Die Maßnahmen erfolgen vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges.

Die Bundesnetzagentur bestätigte der Berliner Zeitung, dass Gespräche zur Krisenvorbereitung mit der Industrie und der Energiewirtschaft stattfinden. Ein Sprecher sagte: „Anlass der Gespräche ist die Vorbereitung für den Fall unvermeidbarer Abschaltungen der Industrie in einer Gasversorgungskrise. Haushaltskunden unterliegen in einer solchen Situation einem besonderen gesetzlichen Schutz und werden vorrangig versorgt.“ Zu Details wollte sich die Behörde nicht äußern. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sagte: „Es geht darum, vorbereitet zu sein für einen Fall, von dem wir hoffen, dass er nie eintritt.“

Die Lage ist offenkundig angespannt: „Wir stehen erstmals vor einer Situation, in der wir vom russischen Öl- und Gas abgeschnitten werden könnten – etwas, was es selbst im kältesten Kalten Krieg nicht gegeben hat“, sagt Hampel.

Ein noch vor wenigen Wochen für undenkbar gehaltenes Szenario könnte Realität werden: Dass nämlich deutsche Unternehmen nicht mehr produzieren können, weil die Behörde ihnen den Gashahn zudreht. Während offiziell von Planungen einer mittelfristigen Maßnahme die Rede ist, warnen die Fachleute vor falscher Zuversicht. Hampel: „Die Planungen zur Abschaltreihenfolge sollen nach Informationen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) spätestens für den nächsten Winter greifen. Angesichts der aktuellen Entwicklung könnte dies aber auch schon früher ein Thema werden.“ Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hat die Bundesregierung aufgefordert, die Frühwarnstufe im nationalen Notfallplan Gas auszurufen. BDEW-Chefin Kerstin Andreae sagte laut dpa: „Es liegen konkrete und ernstzunehmende Hinweise vor, dass wir in eine Verschlechterung der Gasversorgungslage kommen."

Die Rationierung oder Abschaltung des Gases für Unternehmen hätte eine breite Wirkung auf die deutsche Wirtschaft. „Eine mögliche Rationierung könnte in Deutschland tausende Unternehmen betreffen“, so Hampel. Der Stillstand könnte entweder durch die Sanktionen gegen Russland oder durch Russland selbst ausgelöst werden.

Am Mittwoch hatte die Regierung in Moskau verfügt, dass die Gas- und Ölimporteure aus „feindseligen“ Staaten ihre Rechnungen künftig in Rubel zu bezahlen haben. Es ist unklar, ob das überhaupt möglich ist. Betroffen sind hier deutsche Unternehmen wie Gazprom Germania oder WinGas. Sollte sich Russland darüber hinaus entschließen, nicht mehr zu liefern, träte das Szenario ein, auf welches sich die Unternehmen jetzt vorbereiten müssen. Denn das deutsche Energierecht sieht vor, dass es geschützte und nicht geschützte Kunden gibt. Zu den geschützten, als jenen, denen das Gas nicht abgedreht werden kann, gehören neben den privaten Haushalten soziale Einrichtungen, die Verwaltung und wichtige Behörden wie die Polizei.

Unternehmen dagegen müssen dem Staat klarmachen, dass sie in der sogenannten „Abschaltungsreihenfolge“ nicht ganz oben stehen. BDO-Anwalt Hampel ist der Auffassung, dass die Unternehmen deshalb jetzt tätig werden müssen: „Wir empfehlen allen Unternehmen, sich direkt an ihre Netzbetreiber und Lieferanten zu wenden, um auch als nicht per Gesetz geschützte Kunden eine Listung zu erreichen, mit der sie weiter Energielieferungen beziehen können.“

In der Priorisierung wird es unterschiedliche Gewichtungen geben, die sich nach Verhältnismäßigkeits-Gesichtspunkten richten. Der Antrag sollte die Dringlichkeit berücksichtigen: „Dies können vor allem Unternehmen machen, die klarmachen, dass sie für ihre Produktion auf Gas angewiesen sind, unter Hinweis auf drohende Schäden im eigenen Unternehmen und Folgen von Produktionsausfällen für die Allgemeinheit.“

Laut Hampel wäre es schwierig, sich auf den Klageweg zu verlassen. Abgesehen von der langen Dauer eines Verfahrens ist die Rechtslage für Unternehmen nicht besonders günstig: „Die Chancen auf Entschädigung sind schwer einzuschätzen, im Zweifel aber sehr begrenzt, weil die Voraussetzungen vom Gesetzgeber sehr restriktiv ausgestaltet sind.“

Neben Gas dürfte auch Diesel bald knapp werden, auch hier drohen Rationierungen. Die Chefs von drei der größten Rohstoffhändler – Vitol, Gunvor und Trafigura – schätzen laut der Financial Times (FT), dass als Folge der Sanktionen täglich bis zu 3 Millionen Barrel Öl und seiner Produkte aus Russland verloren gehen könnten. Diesel sei demnach am stärksten von einer „systemischen“ Verknappung bedroht. Russell Hardy, Chef des in der Schweiz ansässigen Ölhändlers Vitol, sagte, dass die Raffinerien zwar die Dieselproduktion stützen könnten, hält jedoch auch eine Rationalisierung für möglich.

Torbjorn Tornqvist von der Genfer Gunvor Group sagte der FT, die Diesel-Knappheit sei ein weltweites Problem, das nicht durch die Märkte und die Preisbildung reguliert werden könne. Amrita Sen, Chefölanalystin bei Energy Aspects, sagte, Diesel sei bei weitem am schlimmsten betroffen, weil Europa täglich fast eine Million Barrel russischen Diesels importiere und die Welt zu Beginn der Krise nur sehr geringe Ölvorräte auf Lager hatte. Fortune schreibt, die aktuelle Gas-Krise sei erheblich, doch der sich abzeichnende Engpass bei Diesel könnte sich als „Albtraum“ erweisen. Der britische Premier Boris Johnson sah sich dieser Tage veranlasst, die Bevölkerung zu beruhigen - nachdem Experten laut Guardian der britische Regierung eine Expertise vorgelegt hatten, die auch Rationierungen und drastische Preissteigerungen für Konsumenten beim Diesel als Möglichkeit ins Auge fasste.