Drei Monate Mindestlohn: Unternehmen beweisen schier grenzenlose Fantasie
Berlin - Seit drei Monaten ist das Mindestlohngesetz in Kraft, das von einigen Ausnahmen abgesehen jedem Beschäftigten in Deutschland einen Stundenlohn von wenigstens 8,50 Euro garantiert. Für 3,7 Millionen Menschen bringt die Lohnuntergrenze höhere Entgelte, während in zigtausenden Unternehmen die Arbeitskosten steigen. Nicht wenige Betriebe versuchen, ihre Ausgaben zu begrenzen, etwa in dem die Arbeitszeit neu definiert wird oder Zuschläge mit dem Mindestlohn verrechnet werden. Im Schnitt gehen bei der Mindestlohn-Hotline des Deutschen Gewerkschaftsbundes rund 100 Anrufe pro Tag ein, in denen es um Versuche geht, den Mindestlohn zu kompensieren oder zu umgehen. Einige dieser Methoden sind legal, die meisten aber sind es nicht, wie DGB-Arbeitsrechtsexpertin Marta Böning im Gespräch mit dieser Zeitung erläutert. Eine Übersicht:
Dürfen Zuschläge mit dem Mindestlohn verrechnet werden?
Grundsätzlich nicht. Arbeitgeber vergüten mit dem Zuschlag eine Arbeit unter besonderen Umständen, also zum Beispiel nachts, an Sonn- oder Feiertagen. Der Mindestlohn ist hingegen für die vertraglich geschuldete Normaltätigkeit zu zahlen. Arbeitgeber zahlen aber nur dann Zuschläge, wenn es einen Anspruch darauf gibt. Aus dem Arbeitszeitgesetz ergibt sich ein Anspruch auf den Nachtarbeits- Sonntags- und Feiertagszuschlag. Allerdings besteht der Anspruch auf diese Zuschläge nur dann, wenn keine tarifvertragliche Ausgleichsregelung gilt oder der Arbeitgeber keine bezahlten Ausgleichstage gewährt. Die Höhe ist im Gesetz jedoch nicht geregelt.
Was ist mit Zuschlägen für Tätigkeiten, die mit Lärm, Gefahren oder Schmutz verbunden sind?
Sie sind nicht gesetzlich vorgeschrieben, aber in zahlreichen Tarif- und Arbeitsverträgen enthalten. Auch diese Leistungen dürfen nicht mit dem Mindestlohn verrechnet werden. Das gilt auch für Überstunden-Zuschläge, wobei Mehrarbeit unabhängig von Sonderzahlungen grundsätzlich mit mindestens 8,50 Euro je Stunde entlohnt werden muss.
Welche Regelungen gelten für Urlaubs- und Weihnachtsgeld?
Während die Entgeltfortzahlung in der Urlaubszeit gesetzlich vorgeschrieben ist, bleibt die Zahlung eines 13. und 14. Gehalts tarifvertraglichen oder individuellen Vereinbarungen überlassen. Ob die Leistungen auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen, hängt davon ab, wofür sie gezahlt werden. Der Arbeitgeber darf Leistungen, die nicht der Arbeitsvergütung dienen, nicht anrechnen Dient das Urlaubsgeld der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, ist es kein Bestandteil der Leistungsvergütung und darf daher nicht mit dem Mindestlohn verrechnet werden. Das gilt auch für das Weihnachtsgeld, sofern es als leistungsunabhängige Prämie – etwa für die Treue zum Betrieb – gezahlt wird. Wenn die 13. und 14. Monatsgehälter aber als Teil des Leistungslohns gewährt werden, kann eine Anrechnung als Bestandteil des zu zahlenden Mindestlohnes zulässig sein.
Wie stellt man fest, ob die Leistungen verrechnet werden dürfen?
Einen Anhaltspunkt liefert der Umgang mit diesen Leistungen, wenn das Arbeitsverhältnis endet: Wird dem Arbeitnehmer, der zum 31. Oktober das Unternehmen verlässt, ein zehnmonatiger Anteil am Weihnachtsgeld ausgezahlt, spricht das für den Vergütungscharakter dieser Leistung.
Zählen Trinkgelder zum Mindestlohn?
Nein. Das Trinkgeld erhalten Beschäftige als Ausdruck der Zufriedenheit des Kunden. Trinkgelder dürfen nicht vom Arbeitgeber einbehalten werden und sind nicht Teil des Arbeitslohns. Das gilt auch für Trinkgeldkassen, in denen Belegschaften, zum Beispiel in der Gastronomie, ihre Trinkgelder sammeln, um sie dann zu verteilen.
Sind Leih-, Abnutzungs- oder Reinigungsgebühren für Arbeitsgeräte und Arbeitskleidung zulässig?
Nein. Arbeitsgeräte und Textilien, die für die Arbeit erforderlich oder vorgeschrieben sind, müssen vom Arbeitgeber kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Ein „Messergeld“, das vereinzelt in Schlachthöfen von Beschäftigen verlangt wurde, ist ebenso illegal wie das Umlegen von Reinigungskosten für die Arbeitsuniform im Schnellrestaurant. Anders verhält es sich bei Dienstwagen oder Mobil-Telefonen des Arbeitgebers, die auch privat genutzt werden und deren Gewährung den Interessen des Arbeitnehmers dient. Die Parteien des Arbeitsvertrages können diese Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts vereinbaren, allerdings nur oberhalb der so genannten Pfändungsgrenze, die derzeit für Alleinstehende ohne Kinder bei netto 1049,99 Euro monatlich liegt. Das bedeutet: Netto-Arbeitseinkommen bis zu diesem Betrag muss in Geld ausgezahlt werden. Für Arbeitnehmer, die den gesetzlichen Mindestlohn erhalten, dürften Dienstwagen und Co. in der Regel aber sowieso kein Thema sein.
Können Kost und Logis den Mindestlohn mindern?
Nein, sie dürfen weder den Mindestlohn pro Stunde noch das ausgezahlte Monatseinkommen mindern. Es gilt auch hier, dass der Lohn bis zu der gesetzlichen Pfändungsfreigrenze ausgezahlt werden muss. Allerdings dürfen sich Arbeitgeber mit Beschäftigten darauf einigen, dass diese im Betrieb verpflegt werden und in einer Betriebsunterkunft wohnen. In diesem Fall agiert der Arbeitgeber als Gastwirt und kann entsprechende Dienstleistungen anhand gesetzlich festgelegter Sachbezugswerte in Rechnung stellen. Für das Frühstück beträgt die Pauschale 49 Euro im Monat, für Mittag- und Abendessen jeweils 90 Euro, der Wert für freie Unterkunft liegt – je nach Zahl der Personen pro Zimmer und Art der Unterkunft - bei monatlich zwischen 50, 75 und 223 Euro.
Ist der Mindestlohn auch für Stand- und Bereitschaftszeiten, etwa im Taxigewebe, zu zahlen?
Ja. Leerlaufzeiten gelten grundsätzlich als Arbeitszeit, sofern sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort – also etwa im Betrieb oder auf den Straßen einer Stadt – zur Aufnahme der Arbeit einzufinden hat. Arbeitszeit ist unterschiedslos mit dem Mindestlohnsatz zu vergüten. Versuche einzelner Taxiunternehmen, nur noch die Fahrzeiten zu bezahlen, sind mithin nicht rechtens. Dies gilt selbstverständlich ebenso für andere Bereiche, etwa für Restaurantpersonal, das auch nur dann tätig wird, wenn Gäste kommen. Auch Fahrtzeiten vom Firmensitz zur Baustelle gelten - anders als der Weg von der Wohnung zum Betrieb - als Arbeitszeiten und müssen bezahlt werden.
Welche Methoden gibt es noch, um den Mindestlohn zu umgehen?
Der Phantasie sind offenbar kaum Grenzen gesetzt. Vereinzelt sollen Mitarbeiter entlassen worden sein, um sie anschließend als „freiwillige Helfer“ weiter zu beschäftigen und ihnen anstelle des Mindestlohns eine deutlich niedrigere „Motivationszulage“ anzubieten. Solche Praktiken sind ebenso ungesetzlich wie zum Beispiel die Scheinbeschäftigung Minderjähriger (die vom Mindestlohngesetz ausgenommen sind), um tatsächlich Erwachsene den Job verrichten zu lassen.