Deutsche Industrie: „Sicherheit in Europa wird es nur gegen Russland geben“
Ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine übt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) scharfe Töne in Richtung Russland und fordert mehr „militärische Stärke“ für Deutschland.

Am 24. Februar jährt sich der russische groß angelegte Angriff auf die Ukraine zum ersten Mal. Alle Seiten ziehen Konsequenzen – auch deutsche Unternehmen.
Laut dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, einer großen Regionalinitiative für 29 Länder in Osteuropa, Mittelosteuropa, Russland, Südosteuropa und Zentralasien, hat sich die deutsche Wirtschaft etwa bereits vollständig aus Russland zurückgezogen und will lange Zeit nicht wiederkehren. Bis auf die Pharmaindustrie und Landmaschinen gäbe es kaum noch deutsche Geschäfte mit Russland, hieß es auf einer Veranstaltung am Mittwoch.
Deutsche Industrie fordert mehr Fokus auf Osteuropa ohne Russland
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gibt sich inzwischen noch unversöhnlicher. „Politik und Wirtschaft müssen sich darauf einstellen, dass Russland auf lange Sicht als Partner nicht mehr seine Rolle und Bedeutung der vergangenen Jahrzehnte zurückgewinnen wird“, äußert sich BDI-Präsident Siegfried Russwurm in einer Erklärung. „In den kommenden Jahren wird es in Europa Sicherheit nur gegen Russland geben.“ Deutschland müsse deswegen endlich anfangen, mehr in seine Sicherheit zu investieren.
Russwurm betont weiter, dass die deutsche Industrie fest an der Seite der Ukraine stehe und den „brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands“ verurteile. „Die militärische Aggression inmitten Europas zu dulden, würde das internationale regelbasierte System, auf dem Frieden, Sicherheit und Wohlstand gründen, irreparabel beschädigen“, heißt es weiter. Man brauche umso mehr einen engen Schulterschluss mit den Partnern in Europa und der Welt und ausdrücklich mit den Nachbarn in Mittel- und Osteuropa.
Der BDI-Präsident verweist darauf, dass gerade Länder aus Mittel- und Osteuropa in der Breite der Wirtschaftsbeziehungen wesentlich wichtiger für Deutschland seien, als es Russland je gewesen sei. Polen sei derzeit etwa der fünftwichtigste Handelspartner Deutschlands nach China, den USA, den Niederlanden und Frankreich.
Interessen der Rüstungsindustrie und Rufe nach militärischer Stärke
Der Verband, der auch Interessen der deutschen Rüstungsindustrie vertritt, fordert darüber hinaus, dass die Bundesregierung die Mittel aus dem auf den Weg gebrachten Sondervermögen Bundeswehr endlich konkret beplane und zügig einsetze, um „bestehende und seit Langem bekannte Lücken der Landes- und Bündnisverteidigung zu schließen“.
Der Verbandspräsident dringt deswegen darauf, dass Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zeitnah und dauerhaft erreiche, um die Bundeswehr für die Zeitenwende adäquat auszurüsten und den Bündnispflichten und internationalen Erfordernissen zu entsprechen. „Militärische Stärke ist notwendiger Teil jeder sicherheitspolitischen Gesamtstrategie“, so der Ton. Deutschland habe in den vergangenen Jahrzehnten von der Friedensdividende profitiert, jetzt müsse man aber sich eingestehen, dass die Hoffnung, dass dies der dauerhafte Normalzustand sei, nicht mehr trage.
Wenn Putin den Krieg beendet ...
Auch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) akzeptiert den allmählichen „Niedergang“ seiner Geschäfte mit Russland bereits seit 2014 und spricht sich für eine konsequente Durchsetzung der Russland-Sanktionen aus. In einer Erklärung stellt der VDMA-Präsident Karl Haeusgen zwar eine Rückentwicklung in Aussicht, wenn Präsident Putin den Krieg beendet. Doch die Rede Putins zur Lage der Nation gebe dafür keine Hoffnung, bedauert Haeusgen.
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) schätzt die Lage trotz Präsenz der deutschen Pharmaindustrie in Russland ähnlich pessimistisch ein. „Wir verurteilen den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine aufs Schärfste. Unsere Herzen sind bei den Menschen in der Ukraine, die seit einem Jahr unter dieser Gewalt leiden“, teilt der Geschäftsführer Wolfgang Große Entrup auf Anfrage der Berliner Zeitung mit.
Ein Ende des Kriegs nennt Große Entrup „unser dringlichstes Anliegen“. Politik und Wirtschaft müssten sich jedoch darauf einstellen, dass Russland auch in den kommenden Jahren eine Bedrohung für Sicherheit und Frieden in Europa bleibe.
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