„Gigantisches Potenzial“: Ingenieur wirbt für Photovoltaik in Berlin und den Klimavolksentscheid
Als Gründer eines Solar-Start-ups schwärmt Alexander Melzer von sauberer Energie. Für ihn ist China ein Mehrwert für die Welt, die Berliner dagegen im Klimaschutz „überhaupt nicht mutig“.

Alle wollen mehr erneuerbare Energien, zeigen die Umfragen, und dann hat nur ein Prozent der Berliner Solarmodule auf ihren Balkons. Warum kneifen wir, wenn es wirklich darum geht, umweltfreundlicher zu sein? Warum sind wir noch so weit von einem klimaneutralen Deutschland entfernt?
Alexander Melzer ist Gründer und Geschäftsführer des Berliner Start-ups Zolar. Sein Unternehmen bietet deutschlandweit schlüsselfertige Solaranlagen für Einfamilienhäuser an und ist exklusiver Toyota-Partner.
Die Idee entstand 2015 auf einer dreimonatigen Fahrradtour von Santiago de Chile nach Feuerland. Entlang des Weges fielen dem 38-jährigen Wirtschaftsingenieur zahlreiche schrumpfende Gletscher, ausgetrocknete Flüsse und abgestorbene Bäume ins Auge. 2600 Kilometer später war für ihn klar: Aus Liebe zum Planeten, möchte er mit sauberer Energie eine lebenswerte Erde für alle schaffen. Wie er das umsetzt und welchen Herausforderungen Berlin beim Klimaschutz noch entgegensteht, erzählt er im Interview mit der Berliner Zeitung.
Berliner Zeitung: Herr Melzer, mit welcher Intention haben Sie ein Solartechnik-Unternehmen gegründet?
Alexander Melzer: Mein Team und ich wollen mit unserem Start-up aktiv daran arbeiten, den Klimawandel aufzuhalten. Das werden wir natürlich nicht alleine schaffen, aber dafür kämpfen wir. Jeden Tag auf jedes Haus eine Solaranlage bauen und damit dem Hausbesitzer ermöglichen, seinen eigenen Strom herzustellen, Geld zu sparen und gleichzeitig mit sauberer Energie einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten – das ist unser Ziel. Wir wollen 100.000 Solaranlagen pro Jahr bauen, das reicht aber nicht aus. Deutschland braucht viel mehr mutige Gründer, um den Klimaschutz voranzutreiben.
Wie unterscheidet sich Ihre Technologie von anderen Solartechnologien auf dem Markt?
Wir unterscheiden uns zum einen durch unseren Online-Konfigurator. Wer eine Solaranlage kauft, macht das meistens zum ersten Mal. Das heißt, die Person hat gar keine Ahnung von dem Produkt. Anhand des Konfigurators kann man das sehr schnell verstehen und sich eine individualisierte Anlage konfigurieren lassen. Zum anderen unterscheidet uns unsere Transparenz. Wir zeigen den Kunden die Vor- und Nachteile. Außerdem versuchen wir, nicht eine Lösung auf ihn überzubügeln.
Nehmen Sie die Nachfrage nach Solaranlagen in Berlin wahr?
Wir arbeiten deutschlandweit und haben daher keine Region, auf die wir uns fokussieren. In Berlin denkt man natürlich in erster Linie an die Mehrfamilienhäuser und die großen Blocks. Berlin hat aber auch über 150.000 Ein- und Zweifamilienhäuser in den Randgebieten – und da nehmen wir seit dem Ukraine-Krieg eine verstärkte Nachfrage wahr.

Hat Berlin überhaupt ausreichend Potenzial für Solarenergie?
Nur jedes sechste Haus der Berliner Randgebiete ist mit einer Solaranlage ausgestattet. Das Potenzial, dass man dort mit Photovoltaik hat, ist gigantisch. Berlin als Gründungs- und Hauptstadt hat ein sehr gutes Ökosystem an Gründern, Mentoren, Kapital und Investoren, die sich sozusagen gegenseitig befruchten und unterstützen, um damit ein Unternehmen auszubauen. Was Technologieförderung und neue Geschäftsmodelle angeht, könnten wir in Berlin einen viel größeren Hebel auf ganz Deutschland oder Europa oder gar weltweit haben, als das jetzt der Fall ist – nicht nur durch die Installation der Photovoltaikanlagen.
Man hört immer wieder, dass sich Photovoltaik hier nicht lohnt, weil wir nicht das sonnenreichste Bundesland sind. Stimmt das?
Das ist eines der großen Irrtümer über die Solarenergie. Zu sagen, ein Standort brauche viel Sonne, ansonsten mache Photovoltaik keinen Sinn, stimmt nicht. In Berlin können wir beispielsweise mit einer Solaranlage auf dem Dach und dem Stromspeicher im Keller eines Einfamilienhauses am Stadtrand 85 Prozent des Stromes herstellen, den das Haus benötigt. Wir müssen demnach nicht in Spanien sein, damit die Photovoltaik funktioniert.
Wie viel Leistung hat man mit Solaranlagen im Winter?
In den Wintermonaten hat man tatsächlich weniger Leistung. Von Anfang März bis Ende Oktober erzeugt man circa 85 Prozent der Jahresleistung. Tatsächlich braucht man in den Wintermonaten noch das Stromnetz, um dann zusätzliche Energie zu liefern.
Also ist es mit Solaranlagen allein in Zukunft nicht getan?
Es ist keine Entweder-oder-Frage. Wir brauchen Solaranlagen auf den Dächern, wir brauchen einen Ausbau der Windkraft, wir brauchen einen Ausbau des Fernwärmenetzes. Wir brauchen einen Ausbau aller alternativen Energien, damit wir möglichst CO2-freie Energie in Deutschland herstellen können.

Ist die Energiewende in Berlin schon ausreichend im Gang?
Nein. Berlin muss beim Klimaschutz noch ganz viel machen. Die stumpfe Botschaft der Wahl für die CDU ist gewesen, Berlin wieder besser für den Autoverkehr zu machen. Wenn wir aber eines wissen, dann, dass wir in unseren Städten den Autoverkehr reduzieren müssen – nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen. Bei den Berlinern ist lange noch nicht angekommen, welche Herausforderungen in den heißen Sommermonaten in den nächsten 20, 30 Jahren auf uns zukommen. Aber auch in ganz Deutschland sieht es nicht besser aus: Noch 87 Prozent der Energie, die wir jedes Jahr verbrauchen, ist fossil.
Sind Sie demnach der Auffassung, dass die künftige Berliner Regierung die dezentrale Energiewende noch mehr vorantreiben müsste?
Die Berliner Netze sind bemüht, mehr Solar und erneuerbare Energien in das Netz zu integrieren. Ich würde mal sagen: Berlin ist stets bemüht, hat bisher aber nicht den Mut gehabt, da wirklich voranzugehen. Berlin ist überhaupt nicht mutig, was das angeht. Sätze wie „Wir bauen jetzt unsere Stadt nachhaltig um“ oder „Wir beginnen jetzt und gehen massive Schritte, um den Autoverkehr zu reduzieren“, bleiben aus.
Viele Menschen leben in Berlin in Mietwohnungen. Wenn ihr Vermieter nicht in Dachmodule investieren möchte und für Balkonmodule kein Platz ist, können sie keine Solarenergie betreiben. Welche Lösung schlagen Sie ihnen vor?
Am besten beim Volksentscheid Ende des Monats wählen gehen. Dann zwingt man die Politik zu handeln. Ansonsten kann man immer noch seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem man sich den Ökostromtarif holt, mit dem Fahrrad fährt oder Vegetarier wird. Der Beitrag zum Klimaschutz endet ja nicht mit der Solaranlage.

Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, ist Berlin im Bundesländervergleich lediglich auf Platz 12 von 16, wenn es um die installierte Leistung von Photovoltaikanlagen pro Einwohner geht. Warum wird das Potenzial nicht beansprucht?
Das liegt am fehlenden Verständnis der Bevölkerung, wie viel Geld man mit Solarmodulen einspart. Unser durchschnittlicher Kunde kann seine Stromkosten de facto auf null reduzieren. Er macht sich damit zu 85 Prozent unabhängig vom Stromnetz und kann damit auch noch das E-Auto laden. Der breiten Masse der Bevölkerung ist das nicht bewusst.
Laut einer Schätzung des Berliner Senats im Jahr 2021 gibt es etwa 9000 bis 10.000 Berliner Haushalte, die Solaranlagen auf ihren Dächern installiert haben, oder nur ein Prozent aller Berliner Haushalte. Währenddessen befürworten laut einer Forsa-Umfrage im Jahr 2020 95 Prozent der Berliner den Ausbau erneuerbarer Energien. Überrascht Sie dieses paradoxe Verhältnis?
Bei solchen Studien muss man vorsichtig sein. Fragen Sie 100 übergewichtige Menschen, ob sie abnehmen wollen, dann werden das erst mal viele von ihnen mit Ja beantworten. Am Ende des Tages nimmt aber dann nur ein Bruchteil von ihnen wirklich ab. Ich glaube dennoch, dass mit der Zeit immer mehr Menschen auf erneuerbare Energien umsteigen. Je höher die Stromkosten, je höher der Schmerz für den Kunden – und desto schneller wird er nach alternativen Lösungen suchen.
Sind Sie der Meinung, dass das Land Berlin den Kauf von Solaranlagen schon ausreichend subventioniert?
Viel wichtiger als Fördermittel ist die Sicherstellung der Berliner Regierung, die Solaranlagen schneller an das Netz anzuschließen. Dafür wird eine Genehmigung vom Netzbetreiber benötigt. Aktuell sind die Berliner Netze sehr stark überfordert mit der Masse an Anträgen. Demnach braucht es mehr Investition, um diese Verwaltungsprozesse zu beschleunigen.

Wären vielleicht Balkonkraftwerke eine schnellere Lösung?
Nein. Tatsächlich stehe ich den Balkonkraftwerken kritisch gegenüber. Es ist zwar gut, dass die Menschen das machen, es löst aber nicht unsere Energieprobleme. Auch in meinem Wohnkomplex haben wir jetzt die Diskussion, ob Dachanlage oder Balkonkraftwerk. Eigentlich stellt sich diese Frage nicht, denn die Balkone sind 80 Prozent des Tages verschattet. Dadurch können die Menschen weder ihren Stromverbrauch massiv reduzieren, noch löst es unser Klimaschutzprogramm in Berlin.
Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein und setzt dabei vor allem auf den Ausbau erneuerbarer Energien, einschließlich Solarenergie. Glauben Sie, dass dieses Ziel erreichbar ist?
Ich würde es mal anders formulieren: 2050 ist zu spät. Das Ziel, klimaneutral zu werden, kommt aus einer Zeit, als man noch versuchte, die 1,5-Grad-Klimaerwärmung zu begrenzen. Das 1,5-Grad-Ziel haben wir bereits überschritten. Wenn das so weitergeht, werden wir als Menschheit bei 3,5 Grad landen. Ein Politiker im Jahr 2023 kann leicht sagen, dass wir in 30 Jahren klimaneutral sind, denn zu diesem Zeitraum ist er schon längst pensioniert. Dass wir als Gesellschaft, als Land Berlin, die Diskussion führen, ob wir den Autoverkehr verbessern in der Stadt, ist klimapolitisch totaler Schwachsinn.
Sie sagten, dass sich mit dem Ukraine-Krieg die Nachfrage nach Solarpanels erhöht hat. Dann waren die Abhängigkeiten vom russischen Gas für Ihren Sektor ja von Vorteil?
Naja, die Abhängigkeit von russischem Gas hat uns eigentlich gezeigt, dass wir uns auch bei erneuerbaren Energien nicht an einen nahezu globalen Solar-Monopolisten binden dürfen. Aktuell kommen 90 Prozent der Wertschöpfungskette in der Solarindustrie aus China.
Und wie können wir uns davon unabhängig machen?
Indem wir wieder eigene Produktionen in Europa aufbauen. Als ich 2007 im ersten Boom der Solarenergie angefangen habe, war Deutschland Weltmarktführer bei der Herstellung von Photovoltaik. Im Jahr 2012 hat dann die CDU-Regierung unter Altmaier entschieden, die Vergütungssätze für die Photovoltaik so drastisch zu reduzieren, dass die gesamte deutsche Industrie bankrottgegangen ist. Gleichzeitig hat China in seinem Zehnjahresplan festgelegt, Weltmarktführer in der Photovoltaik zu werden. Daraufhin hat die chinesische Regierung die Solarindustrie mit Milliarden gefördert. Ohne China wäre die Photovoltaik heute nicht so günstig. Das Land hat mit der Unterstützung dieser Technologie einen absoluten Mehrwert für die Welt beigetragen. Übrigens haben sie im letzten Jahr genauso viele Solaranlagen gebaut, wie Deutschland in den letzten 25 Jahren.
Wie sieht Ihr Vorschlag aus, die Solarindustrie wieder nach Europa zu holen?
Wir brauchen einen Airbus-Moment. Airbus ist ein deutsch-französischer Mischkonzern, der von der Regierung aufgesetzt wurde, um der amerikanischen Boeing Konkurrenz zu machen. Man war sich bewusst, dass ein kleines Unternehmen keine Chance hätte und es eine staatliche Förderung für ein Riesenunternehmen braucht. Genauso sehe ich das mit der Photovoltaik. Es sollte ein europäisches Unternehmen geben wie EADS, was die Photovoltaik-Komponenten herstellt.
Wie sieht die Zukunft für die Photovoltaik aus? Womit können die Verbraucher rechnen, vielleicht auch mit 1 Cent pro Kilowattstunde wie in den Golfstaaten?
Die Kosten der Photovoltaik werden langfristig weiter sinken, weil die Technologie voranschreitet. Die Energie, die wir auf einem Quadratmeter Dachfläche herstellen, betrug vor zehn Jahren noch die Hälfte – wohingegen die Kosten noch zehnmal so hoch waren im Vergleich zu heute. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Auch in Deutschland werden wir irgendwann auf 1 Cent kommen.
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