Am Montag ist aus dem ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa das unter der Flagge von Sierra Leone fahrende Frachtschiff „Razoni“ mit 26.000 Tonnen Mais an Bord in Richtung Libanon aufgebrochen. Nach Angaben des gemeinsamen Koordinierungszentrums (JCC) soll das Schiff zunächst am 2. August einen Zwischenstopp in türkischen Gewässern einlegen, wo es überprüft werden soll. So soll auf Verlangen Russlands sichergestellt werden, dass die Schiffe keine Waffen oder Ähnliches an Bord haben. Russland befürchtet, dass die Ukraine aus dem Erlös des Getreideverkaufs Waffen beschafft.
Danach soll es nach Tripoli weiterreisen. Das Koordinierungszentrum, das aus Vertretern Russlands, der Ukraine, der Türkei und der Vereinten Nationen besteht, hatte dem Schiff die Erlaubnis erteilt, aus dem Hafen von Odessa auszulaufen. Das JCC hat den spezifischen Koordinaten und Beschränkungen des Hilfskorridors zugestimmt und die Einzelheiten gemäß den internationalen Navigationsverfahren den Behörden mitgeteilt. Das JCC forderte alle Teilnehmer auf, ihre jeweiligen Militär- und anderen relevanten Behörden über diese Entscheidung zu informieren, um die sichere Passage des Schiffes zu gewährleisten. Das JCC hat auch die Seetüchtigkeit des Schiffes und die Hafenbereitschaft in Odessa vor der Genehmigung überprüft.
Eine Sprecherin des JCC sagte der Berliner Zeitung am frühen Montagnachmittag, das Schiff befinde sich auf Kurs wie geplant. (Update 18:30: Wegen schlechten Wetters komme das Schiff langsamer voran. Es wird erwartet, dass die Inspektion am Mittwoch stattfinden werde, sagte die Sprecherin.) Der Zwischenstopp zur Inspektion werde am nordwestlichen Ende der Bosporus-Meerenge stattfinden. Wie lange die Überprüfung dauern werde, könne in diesem speziellen Fall noch nicht gesagt werden. Üblicherweise betrage der Aufenthalt für eine solche Überprüfung drei bis vier Stunden, so die Sprecherin.
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Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge am Montag: „Das ist eine gute Möglichkeit, die Effektivität der Arbeit von Mechanismen zu testen, die bei den Verhandlungen in Istanbul vereinbart wurden.“ Russland hoffe, „dass die Vereinbarungen von allen Seiten erfüllt werden und dass die Mechanismen wirksam arbeiten“, sagte Peskow.
Es wird erwartet, dass das Abkommen hält – weil es allen Beteiligten nützt: Die Ukraine braucht die Exporterlöse aus den rund 22 Millionen Tonnen Weizen, Mais und anderen Produkten in ihren Lagern und muss diesen Überschuss loswerden, um Platz für die diesjährige Ernte zu machen. Die Türkei verdient an den Gebühren für Transport und Verkauf der Waren. Russland wird im Rahmen eines Parallelabkommens Sanktionserleichterungen für seine eigenen Agrarexporte erhalten, die angesichts der Rekordernte Russlands und der hohen globalen Lebensmittelpreise Milliarden von Dollar einbringen werden.
Allerdings werde es Monate dauern, bis die Lebensmittelexporte aus der Ukraine wieder das Vorkriegsniveau erreichen werden, so der ukrainische Infrastrukturminister Oleksander Kubrakov laut Financial Times.
Daher erwarten Lebensmittelexperten nicht, dass die Öffnung des Korridors zu einer Entspannung bei den Preisen für landwirtschaftliche Produkte führen wird: „Dieses Abkommen wurde zur Lösung für die weltweite Nahrungsmittelknappheit aufgebauscht, und das ist es einfach nicht“, sagte Tracey Allen, Agrarrohstoffstrategin bei JPMorgan Chase, der New York Times. „Die Preise werden höher bleiben, und die Verbraucher werden dies am Preis der Produkte spüren, die sie aus den Supermarktregalen einkaufen“, sagte Allen.
Andere Faktoren wie hohe Preise für Düngemittel und Energie sowie der Klimawandel hätten einen größeren Einfluss auf die Lebensmittelproduktion. Insbesondere die Spekulationen auf Lebensmittelpreise gelten als Unsicherheitsfaktor. So stiegen die Preise sowohl während der Finanzkrise 2007 und 2008 als auch nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine. Für den Herbst zeigen die Terminkontrakte allerdings eine fallende Tendenz. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Spekulanten von einer Rezession und damit einer sinkenden Nachfrage ausgehen. Dies könnte die Spekulanten vorübergehend bremsen. Doch sogar der Vatikan fordert, dass die G7- und die G20-Staaten die Spekulation auf Lebensmittel weltweit verbieten sollten.
Außerdem sind die geopolitischen Spannungen ein Unsicherheitsfaktor, wie ein Vorfall vom Sonnabend zeigt: Im Libanon wurde ein unter syrischer Flagge fahrendes Schiff mit einer Ladung Getreide auf Antrag der ukrainischen Botschaft in Beirut festgesetzt. Der Staatsanwalt Ghassan Queidat habe die Polizei mit Ermittlungen zur Ladung der im Hafen von Tripoli eingelaufenen „Laodicea“ beauftragt, sagte ein Justizbeamter. Er „ordnete die Beschlagnahme des Schiffes an, bis die Untersuchung abgeschlossen ist“.
Laut dem ukrainischen Botschafter Ihor Ostasch stammt das geladene Getreide aus von Russland besetzten Gebieten seines Landes. Der Diplomat hatte sich am Donnerstag wegen der „illegalen“ Ladung des Schiffes an den libanesischen Präsidenten Michel Aoun gewandt. Dem Justizbeamten zufolge wurde die libanesische Polizei angewiesen, für ihre Ermittlungen mit der ukrainischen Botschaft zusammenzuarbeiten.
Ersten Erkenntnissen zufolge gehört die Reederei der „Laodicea“ einem türkischen Staatsangehörigen und das Getreide einem syrischen Händler, wie der Beamte ausführte. Ein Teil der Ladung sollte demnach im Libanon ausgeladen werden, der Rest war für Syrien bestimmt. Nach Angaben des libanesischen Außenministeriums handelt es sich um „Gerste und Mehl“.
Ein Zollbeamter sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Schiffspapiere seien „in Ordnung, und es gibt keinen Beweis dafür, dass die Waren gestohlen wurden“. Die türkischen Behörden hätten das Schiff bereits beschlagnahmt, „sollte es unter Sanktionen fallen“. Im wirtschaftlich schwer angeschlagenen Libanon herrscht derzeit eine große Brotknappheit.
Die Ukraine wirft Russland regelmäßig vor, landwirtschaftliche Produkte und insbesondere Getreide aus besetzten Gebieten zu „stehlen“. Zugleich bereitet die Ukraine derzeit die Wiederaufnahme seiner Getreideexporte im Rahmen eines unter UN-Aufsicht ausgehandelten Abkommens mit Moskau vor. Millionen Tonnen ukrainischen Getreides können derzeit wegen einer russische Seeblockade und ukrainischer Seeminen nicht ausgefahren werden. (mit AFP und dpa)