EU-Behörde hat Verdacht: Nachbarn helfen Russland, die Sanktionen zu umgehen

Westliche Exporte nach Russland sind 2022 gesunken, in russische Nachbarländer dagegen deutlich gestiegen. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sieht durch die Tendenz die Sanktionen ‚entkräftet‘.

Container im Hafen von St. Petersburg
Container im Hafen von St. PetersburgPeter Kovalev/imago

Westliche Exportverbote als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine haben den direkten Handel mit Russland in vielen Bereichen von Technologien bis hin zu Luxusgütern zum Erliegen gebracht. Einzelne Branchen wie die Automobilindustrie haben zudem selbstständig ohne direkte Sanktionen beschlossen, ihre Geschäfte mit Russland einzufrieren. Es wird jedoch derzeit ein neuer Trend erkennbar, der wohl auf das Umgehen der Sanktionen hindeutet: rasant steigende Importe in russische Nachbarstaaten.

Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) hat diesbezüglich einen stärkeren Verdacht entwickelt, seitdem länderspezifische Handelsdaten für die ersten sieben Monate des letzten Jahres vorliegen. Boomende Handelsströme mit Russlands Nachbarn könnten ein Zeichen dafür sein, dass Sanktionen umgangen werden, teilte die EU-Behörde dem US-Nachrichtenportal Bloomberg mit.

Deutsche Exporte nach Kirgistan haben sich mehr als verdreifacht

Zum Beispiel sind deutsche Exporte nach Russland alleine von Mai bis Juli 2022 gegenüber dem Durchschnitt des gleichen Zeitraums zwischen 2017 und 2019 auf 38 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig haben sich deutsche Exporte nach Armenien in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt und nach Kirgistan mehr als verdreifacht. Ein ähnlicher Trend lasse sich auch bei den europäischen, britischen und amerikanischen Handelsströmen in den Kaukasus und in die Türkei beobachten, so die EBWE.

Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan scheinen sich trotz des Ukraine-Krieges weiterhin gut zu verständigen, den 13.10.2020 in Astana, Kasachstan. 
Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan scheinen sich trotz des Ukraine-Krieges weiterhin gut zu verständigen, den 13.10.2020 in Astana, Kasachstan. Pool Sputnik Kremlin/AP

Laut der führenden Ökonomin der EBWE, Beata Javorcik, werden die Sanktionen so ‚entkräftet‘. Insgesamt sind die Exporte der EU nach Russland im besagten Zeitraum um 56 Prozent und die der USA um 88 Prozent zurückgegangen. Dagegen sind die EU-Exporte nach Armenien insgesamt um 72 Prozent und die der USA um 348 Prozent (!) gestiegen.

EU-Sanktionen machen Zahlungen über russische Konten unmöglich

Beata Javorcik verbindet diese Entwicklung auch damit, dass die westlichen Lieferanten auf diese Weise die Sorgfaltspflicht gegenüber ihren Geschäftspartnern vermeiden möchten. Auf der anderen Seite könnten die Kunden in Russland so versuchen, die Probleme bei den Zahlungen zu umgehen. Schließlich sind die Zahlungsabwicklungen über russische Geschäftskonten wegen der EU-Sanktionen gegen den russischen Banksektor fast unmöglich geworden. Armenien und Kirgistan sind zudem längst Teil der von Russland angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion mit zollfreiem Handel. Waren aus der EU, die in diese Länder sanktionsfrei eingeführt werden, können frei nach Russland umgeleitet werden.

Russische Unternehmen setzen längst auf Parallel-Importe

Die Berliner Zeitung hatte bereits berichtet, wie Unternehmen mithilfe sogenannter Parallel-Importe viele Verbraucherwaren von iPhones bis zum deutschen Bosch-Herd über ein Drittland, am besten ein Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion oder auch über die Türkei, nach Russland einführen. Die einen Hersteller bekommen diesen Trick nicht gleich mit, die anderen haben offenbar auch nichts dagegen.

Zum Beispiel plant die russische Investitionsfirma AFK Sistema, die am Kauf des stillgelegten VW-Werks im russischen Kaluga interessiert ist, die Produktion von VW-Modellen fortzusetzen, unter anderem durch die Zusammenarbeit mit VW-Zulieferern in der Türkei oder den Partnern des Konzerns in China.

Auf diesem Weg importierte Kleidung, Elektronik und andere Verbraucherwaren haben in Russland meist keine Garantie und sind deutlich teurer, sorgen aber für die scheinbare Normalität in einem Land, das vor allem im Technologiesektor stark von Sanktionen betroffen ist.

Europäische Beamte befürchten allerdings, dass neben den harmlosen Verbraucherwaren Güter nach Russland gelangen, die auch im Militärsektor verwendet werden können. Bereits im letzten Jahr gab es Berichte, dass Chips aus Kühlschränken, Waschmaschinen und sogar Milchpumpen, deren Importe in die Türkei und Länder in Zentralasien deutlich gestiegen sind, angeblich in Russland für die Reparatur von Militärtechnik eingesetzt werden.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de