Robert Habeck: Wir müssen mehr Gas sparen als die anderen

Deutschland muss jetzt mehr sparen als die anderen EU-Staaten: Robert Habeck sagt, dies sei „keine Schande“. Konsumenten und Unternehmen müssen sich wappnen.

Die spanische Transformationsministerin Teresa Ribera Rodriguez mit Robert Habeck beim Energie-Ministertreffen am 26. Juli in Brüssel.
Die spanische Transformationsministerin Teresa Ribera Rodriguez mit Robert Habeck beim Energie-Ministertreffen am 26. Juli in Brüssel.AP/Virginia Mayo

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will in diesem Winter mehr Gas einsparen als die von der EU vorgesehenen 15 Prozent. Habeck plädierte am Dienstag in Brüssel nach einem Treffen der EU-Energieminister für ein höheres nationales Sparziel: „Wenn Deutschland mehr macht als 15 Prozent, dann ist es ja auch keine Schande“, so Habeck. Vielleicht seien je nach Härte des Winters „16 oder 20 Prozent“ zu schaffen, sagte Habeck. Das ursprünglich von der EU geplante Gesamteinsparziel von 45 Milliarden Kubikmetern Gas könne aktuell nicht erreicht werden, sagte Habeck. Habeck hatte zuvor gefordert, dass alle Staaten in gleicher Proportion sparen sollten, um Deutschland zu helfen. Die anderen EU-Staaten hatten dieses Ansinnen im Vorfeld bereits abgelehnt.

Die Energieminister der EU-Staaten hat sich folglich bei einem Sondertreffen in Brüssel lediglich auf eine „politische Einigung zur Reduzierung der Gasnachfrage“ verständigt, wie der tschechische EU-Ratsvorsitz mitteilte. Ungarn stimmte nach Angaben Luxemburgs als einziges Land gegen den Kompromiss, berichtet die AFP.

Entscheidend ist, dass Einsparungen der Mitgliedsländer lediglich auf rein „freiwilliger Basis“ erfolgen sollen. Auch die Möglichkeit der EU-Kommission, Zwangsmaßnahmen gegen sparunwillige Länder zu verhängen, ist in ihrer direkten Form vom Tisch: „Die Hürden für die Einführung der verbindlichen Einsparziele sind durch das Erfordernis eines EU-Ratsbeschlusses hoch“, sagte Christian Hampel, Partner und Rechtsanwalt bei der Beratungsgesellschaft BDO Legal in Berlin, der Berliner Zeitung (ganzes Interview hier).

Mitgliedsstaaten lehnen Sondervollmacht für EU-Kommission ab

Die Mitgliedstaaten lehnten eine Sondervollmacht für die EU-Kommission, wie von Präsidentin Ursula von der Leyen gefordert, ab. Die Verordnung sieht außerdem zahlreiche Sonderregeln und Ausnahmen vor. Ausnahmen gelten etwa für Länder mit geringem Anschluss an das Verbundnetz wie Spanien und Portugal oder Inseln wie Irland, Zypern oder Malta. Sie können beantragen, von verpflichtenden Einsparzielen ausgenommen zu werden. Auch Polen, das bereits völlig aus russischem Gas ausgestiegen ist, kann vom Sparziel befreit werden. Zufrieden äußerten sich auch Länder wie Griechenland oder Spanien, die auf Ausnahmen gepocht hatten.

Für die deutsche Wirtschaft stellt sich das Problem, dass die EU-Kommission entscheiden soll, welche Industrien wichtig sind bzw. abgeschaltet werden könnten. Matthias Zelinger, Leiter des Kompetenzzentrums Klima und Energie beim Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), sagte der Berliner Zeitung: „Es ist für uns ein Problem, wenn auf EU-Ebene entschieden werden soll, welche Unternehmen rationiert werden sollen. Es fehlt für eine solche Entscheidung eine verlässliche Datengrundlage. Bei allen Kürzungen muss jedoch sichergestellt werden, dass die Lieferketten weiter funktionieren. Wir sind daher für eine proportionale Kürzung für alle Unternehmen, weil so sichergestellt ist, dass nicht irrtümlich einem Unternehmen das Gas abgedreht wird, das für die Lieferketten entscheidend ist.“

Die Unternehmen in Deutschland versuchen zwar bereits auf Hochdruck, auf die Situation zu reagieren, stoßen jedoch auf grundsätzliche Schwierigkeiten. Zelinger: „Viele Unternehmen im Maschinenbau stellen jetzt schon ihre Wärmeerzeugung um, etwa indem sie von Gas auf Öl rückrüsten oder auf Strom umsteigen. Weil aber viele Technologieelemente kurzfristig nicht lieferbar sind, ist eine Umrüstung für diesen Winter für viele kaum zu schaffen.“ Deutschland befinde sich wie Österreich und Ungarn in einer schlechteren Lage als andere EU-Staaten: „Wir haben uns in eine besondere Abhängigkeit von russischem Gas begeben, daher haben wir eine deutlich schlechtere Ausgangsposition als andere Länder.“

Viele Unternehmen hätten aktuell ihren Gasbedarf für das Jahr 2023 noch nicht vollständig eingekauft, sagte BDO-Experte Hampel. Sie werde dieser Preisanstieg besonders treffen. Zudem sei es aktuell äußerst schwierig, überhaupt noch einen Lieferanten für große Gasmengen zu finden.

Konsumenten in Deutschland müssen sich auf Preiserhöhungen einstellen

Die Konsumenten in Deutschland müssen sich trotz des Notfallplans auf saftige Preiserhöhungen einstellen. Hampel sagte, Konsumenten und Unternehmen würden „ab 1.9.22 oder 1.10.22 die sogenannte Putin-Gasumlage in Höhe von voraussichtlich zwei bis drei ct/kWh zahlen“ müssen. Rationierungen seien für Haushalte zwar nach aktueller Gesetzeslage noch nicht zu befürchten, da sie zu den „geschützten Kunden“ gehörten. Diskutiert werde aber aktuell, diesen „generellen Vorrang für Konsumenten abzuschaffen“.

Der Vorsitzende der Internationalen Energie-Agentur (IEA), Fatih Birol, sieht Europa trotz des Gasnotfallplans nicht ausreichend auf den kommenden Winter vorbereitet. „Wenn wir keine ernsthaften Maßnahmen ergreifen, könnten wir mit einer großen Gasversorgungskrise konfrontiert werden“, sagte Birol dem Nachrichtenportal ZDFheute am Dienstag. Um eine größere Krise zu verhindern, müsse Europa seinen Gasverbrauch um 20 Prozent verringern.

Den von den EU-Energieministern beschlossenen Notfallplan halte er zwar für „einen Schritt in die richtige Richtung“, sagte Birol weiter. Neben einem ambitionierteren Sparziel bräuchte es jedoch auch eine große Solidarität. Der kommende Winter werde „ein historischer Test“ für Europa. Scheitere Europa mit der Gasversorgung, so werde dies „Auswirkungen weit über den Energiesektor hinaus haben“, warnte Birol.

Insbesondere die niedrigen Speicherstände in der EU bereiteten ihm Sorge, sagte Birol weiter. Für einen „komfortablen, normalen Winter“ müssten die Speicher in der EU vor Wintereinbruch zu 90 Prozent gefüllt sein – aktuell stehen die Füllstände laut Birol jedoch im Schnitt bei lediglich rund 60 Prozent.

Finanzminister Christian Lindner rechnet damit, dass Deutschland angesichts der Energiekrise noch für längere Zeit auf Atomenergie zurückgreifen muss. „Es geht nicht um viele Jahre, aber möglicherweise müssen wir uns mit dem Gedanken anfreunden, auch im Jahr 2024 etwa noch Kernenergie zu brauchen“, sagte der FDP-Politiker am Dienstag beim TV-Sender ntv. (mit dpa und AFP)