Euro-Krise im Norden: Finnland befindet sich in Abwärtsspirale
Helsinki - Das Fazit fällt vernichtend aus: Die Wettbewerbsfähigkeit ist schwach, die Wirtschaft leidet unter Bürokratie und Überregulation, Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit steigen immer höher, im Land herrschen „Apathie, Reformunfähigkeit und Vertrauensverlust“. Ist die Rede von Griechenland? Nein. Die Bilanz zieht die Regierung Finnlands. In den Griechenland-Verhandlungen der vergangenen Wochen stand sie fest an der Seite Deutschlands und der Niederlande, als Teil der kompromisslosen Nord-Euro-Fraktion. „Finnland und Deutschland befinden sich im gleichen Lager“, sagte kürzlich Finanzminister Alexander Stubb. Doch die Wahrheit ist: Mit Finnland geht es bergab. Nun plant die Regierung harte Einschnitte und droht den Gewerkschaften.
Im Streit mit Athen wusste Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Finnen stets auf seiner Seite. Die Regierung in Helsinki verfolgte ebenfalls eine harte Linie, „unsere Wirtschaftsphilosophie ist ähnlich“, sagte der Konservative Stubb, der im Frühjahr mit seiner Nationalen Sammlungspartei eine Koalition mit der rechtspopulistischen Partei der Finnen und den Liberalen eingegangen war. Schon 2011 zeigten sich die Finnen kompromisslos gegenüber Griechenland – als Sicherheit für weitere Kredite verlangten sie die Einrichtung eines Treuhandkontos, sollte Athen am Ende nicht zahlen können.
Lange Zeit nordisches Vorzeigemodell
Schaut man auf die globalen Wettbewerbs-Rankings der Standorte, so scheint Finnland ein Musterschüler zu sein. Im Doing-Buisiness-Report der Weltbank steht es auf Platz 9 von 189 Ländern, noch vor Investorenparadiesen wie Schweden, Deutschland, Irland oder der Schweiz. Das World Economic Forum setzt Finnland in seiner Global-Competitiveness-Liste sogar auf Platz 4 vor Deutschland, Japan und Hongkong. Doch macht das Land seit einiger Zeit die Erfahrung, dass alle Wettbewerbsfähigkeit nichts hilft, wenn die Konkurrenz noch stärker ist und wenn veränderte Marktbedingungen der Wirtschaft den Boden entziehen. Seit drei Jahren schrumpft das Bruttoinlandsprodukt, ein Drittel aller Jugendlichen ist ohne Job. Wegen des steigenden Haushaltsdefizits droht dem Land eine verschärfte Kontrolle der EU-Kommission. „Finnland ist in einer Abstiegsspirale“, warnt ein Bericht der Regierung.
Lange galt das Land als nordisches Vorzeigemodell – innovativ, sozial, unbürokratisch. Doch der Aufschwung des kleinen Fünf-Millionen-Einwohner-Landes beruhte auf einer schmalen Basis: Handys und Papier. Beide Exportindustrien sind weggebrochen.
Den Niedergang der Elektronik-Industrie symbolisiert der Niedergang des einst stolzen Nokia-Konzerns. Zwischen 1998 und 2007 sorgte Nokia für ein Fünftel aller Exporte Finnlands, für ein Viertel des finnischen Wirtschaftswachstums und für ein Drittel der landesweiten Forschungsausgaben. 2007 lag der globale Marktanteil Nokias bei 50 Prozent. Doch dann verlor es den Smartphone-Krieg gegen die Konkurrenz aus Apple, Samsung und den chinesischen Herstellern. Heute spielt Nokia auf dem Markt keine Rolle mehr, seine Handysparte wurde 2014 von Microsoft übernommen, das nun weitere Jobs abbaut.
Zweites Standbein Finnlands waren Papier und Zellstoff. Vor zehn Jahren war das waldreiche Land zweitgrößter Papierexporteur hinter Kanada, Finnlands Ausfuhren bestanden zu einem Viertel aus Papier. Doch die Digitalisierung ließ die Papiernachfrage schrumpfen. Zudem gingen Marktanteile an billigere Standorte verloren. Zwischen 2006 und 2013 verlor die Branche mehr als ein Drittel aller Jobs. Im nordfinnischen Olulu, einst Nokia-Hochburg und Standort der Zellstoffindustrie, liegt die Arbeitslosenquote heute bei 17 Prozent.
Sanierung von Staat und Wirtschaft
Nun schlägt Helsinki Alarm. „Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist zehn bis 15 Prozent schlechter als die unserer Wettbewerber“, so ein Bericht der Regierung. Bis Ende Juli will sie einen detaillierten Plan vorlegen, um Staat und Wirtschaft zu sanieren. Bereits jetzt ist klar: Dafür müssen die Finnen verzichten.
Vier Milliarden Euro sollen in den nächsten Jahren eingespart werden, vor allem durch Kürzung der Sozialleistungen und Erhöhung der Steuern, allerdings nicht für die Unternehmen. Der Druck auf Arbeitslose, eine freie Stelle anzunehmen, wird erhöht. Die Ladenöffnungszeiten werden liberalisiert.
Daneben hat Juha Sipila, Millionär und Premierminister, den Gewerkschaften den Kampf angesagt. Wie in Südeuropa greift die Regierung zur Strategie der „inneren Abwertung“, sprich: zur Verbilligung der Arbeit. Zwar steigen in Finnland die Löhne bereits seit drei Jahren nicht mehr. Dennoch fordert die Regierung mehr Bescheidenheit von den Arbeitnehmern, damit bis 2019 die Lohnstückkosten Finnlands um mindestens fünf Prozent sinken.
Dafür will der Staat die Tarifparteien entmachten, die bislang über Löhne, Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen autonom verhandeln durften. Künftig will die Regierung dies koordinieren. Zusätzlich will Sipila die landesweite Konkurrenz um die besten Bedingungen für Unternehmen anheizen, indem den verschiedenen Regionen des Landes erlaubt wird, mit Sonderkonditionen bei Bezahlung, Arbeitszeiten, Kündigungsschutz für sich zu werben.
Bis 21. August haben die Gewerkschaften Zeit, die Forderungen Helsinki anzunehmen. Lehnen sie ab, so droht die Regierung mit zusätzlichen Einsparungen über 1,5 Milliarden Euro. „Die goldenen Jahre sind vorbei“, mahnte Anfang Juni Finanzminister Stubb.