Inflation und Schulden: Auf dem Weg zum wertlosen Geld?

Die EU versucht, mit neuen Billionen-Schulden die Wirtschaft in Gang zu bringen - ein hoch riskantes Manöver. Die Inflation könnte angeheizt werden.

Die Inflation beschleunigt sich in Deutschland.
Die Inflation beschleunigt sich in Deutschland.imago/Thomas Imo

Die EU-Kommission hat ihre Prognose für die Inflation in Europa deutlich angehoben. Die Kommission geht in ihrer Frühjahrsvorhersage von einer Inflation von 6,1 Prozent im Jahr 2022 im Euroraum aus. In Deutschland soll die Inflation sogar auf 6,5 Prozent steigen. Noch zu Jahresbeginn hatte die EU eine Inflation von 3,5 vorhergesagt. Nun erwarte die Brüsseler Behörde, dass die Teuerungsrate im zweiten Quartal dieses Jahres einen Höhepunkt von 6,9 Prozent erreichen und dann langsam sinken soll. Mit einem Jahresdurchschnitt von 2,7 soll die Rate im Jahr 2023 wieder in die Nähe der von der Europäischen Zentralbank (EZB) angestrebten 2-Prozent-Marke. In der gesamten EU geht die Kommission sogar von einer durchschnittlichen Teuerung von 6,8 Prozent dieses Jahr und 3,2 Prozent im nächsten Jahr aus. Selbst diese Schätzungen sind noch optimistisch, wie die Kommission einräumt: Sollte die EU wie geplant ein vollständiges Öl- und Erdgas-Embargo gegen Russland verhängen und sollten sich die Rohstoffpreise weiter nach oben bewegen, dann könnte es in einigen Staaten zu einer „Inflationsrate im zweistelligen Bereich“ kommen, so die EU-Kommission.

Einige Ökonomen haben der EU-Kommission daher laut Financial Times (FT) empfohlen, die Aussetzung der Schulden- und Defizit-Regeln über die Corona-Pandemie hinaus zu verlängern. Bereits jetzt liegen die Schuldenstände der meisten EU- und Eurostaaten signifikant über der in den Verträgen von Maastricht festgelegten Obergrenze von 60 Prozent.

Um die Haushalte in den einzelnen Staaten nicht überzustrapazieren, plant die EU daher die Fortsetzung der Gemeinschaftsschulden – eine Entwicklung, die eigentlich laut den EU-Verträgen streng verboten ist. Doch angesichts der Corona-Pandemie sah sich die EU gezwungen, eine Ausnahme zu machen, und legte das mit 700 Milliarden Euro bezifferte Kreditpaket „NextGen EU“ auf.

Mit diesen Krediten können die EU-Staaten Unternehmen finanzieren, die wegen Corona Schaden genommen haben. In Brüssel wird diese Woche die nächste Ausnahme diskutiert: Mit einer vor einem Jahr für Rüstungsausgaben eingerichteten „Friedensfaszilität“ von fünf Milliarden Euro sollen unter anderem die Kosten wegen des Ukraine-Kriegs nach dem russischen Angriff beglichen werden. In Brüssel wird in diesem Zusammenhang auch darüber diskutiert, dass der Wiederaufbau der Ukraine vermutlich auch am sinnvollsten mit gemeinsamen Schulden finanziert werden könnte.

Die Kosten des Wiederaufbaus belaufen sich nach Schätzungen der FT auf mindestens 600 Milliarden Euro. Sollte sich das Vehikel bewähren, ist zu erwarten, dass auch für die Schulden für die ökologische Transformation in der EU eine gemeinsame Haftung angestrebt wird. Die Kosten für diese Maßnahmen liegen aktuell laut EU-Kommission bei mindestens 700 Milliarden Euro. Damit könnte sich die Neuverschuldung in Richtung von 2.000 Milliarden Euro bewegen.

Allerdings haben die neuen Schulden den Nachteil, dass sie vermutlich die Inflation weiter anheizen werden. Anders als die Billionen, die nach der Banken-Krise von 2007 ins System gepumpt wurden, würden die neuen Gelder in die reale Wirtschaft fließen. Bisher hatte das durch Anleihekäufe und Negativzinsen geschaffene Geld vor allem dazu gedient, die Preise in allen Assetklassen – von Aktien bis Immobilien – in die Höhe zu treiben. Mit einer steigenden Inflation können sich die Staaten elegant entschulden. Für die privaten Haushalte und Unternehmen wäre die Entwicklung ausgesprochen unvorteilhaft.

Neben der Schuldenpolitik ist auch ein drastischer Anstieg der Lebensmittelpreise zu erwarten – eine Entwicklung, die die EU-Prognose noch nicht im vollen Umfang in ihre Kalkulation einbezogen hat. Der durch den Krieg in der Ukraine ohnehin schon hohe Weizenpreis wird durch die Hitzewelle im wichtigen Anbauland Indien weiter nach oben getrieben. Im europäischen Handel an der Börse Euronext erreichte eine Tonne Weizen am Montagmorgen 435 Euro. Das bisherige Rekordhoch von 422 Euro für eine Tonne des Brotgetreides war erst am Freitag verzeichnet worden.

Indien hatte Ende vergangener Woche auf die kritische Lage reagiert und ein Exportverbot für Weizen verkündet. Das Land ist der zweitgrößte Weizenproduzent der Welt – 2021 waren es knapp 110 Millionen Tonnen – und verfügt über große Vorräte. Die Regierung in Neu-Delhi sagt, sie werde der Versorgung der eigenen Bevölkerung Vorrang geben. Handelsminister BVR Subrahmanyam betonte, dass Exporte künftig nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung der Regierung erlaubt seien.

In Indien selbst war die Inflation zuletzt deutlich in die Höhe geschnellt. In einigen Landesteilen zogen die Preise für Weizen und Mehl nach Angaben des Handelsministers in den vergangenen Wochen um 20 bis 40 Prozent an. Zudem verkauften einige Landwirte wegen des starken Preisanstiegs auf den Weltmärkten an Händler und nicht an die Regierung.

Die EU-Kommission senkte am Montag auch ihre Wachstumsprognose für die Eurozone auf 2,7 Prozent in diesem Jahr. Der Krieg in der Ukraine habe „neue Herausforderungen mit sich gebracht, gerade als sich die Union von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie erholte“, erklärte die EU-Kommission zu ihrer am Montag veröffentlichten Frühjahrsprognose. Besonders die steigenden Energiepreise spielten eine Rolle bei der neuen, pessimistischen Einschätzung der Kommission.

Die mit zwei Prozentpunkten weniger Wachstum ebenfalls deutlich nach unten korrigierte Prognose für die deutsche Wirtschaft begründete EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni vor allem mit den Auswirkungen des Krieges und den massiven Corona-Lockdowns in einigen Industriezentren Chinas.

Manfred Schlumberger, Leiter Portfoliomanagement der StarCapital AG, kommentiert die aktuelle Marktlage: „Europa ist  aus wirtschaftlicher Sicht der Hauptleidtragende des Kriegs in der Ukraine. Das geplante Öl-Embargo gegenüber Russland wird die Energiepreise weiter verteuern und Wachstum kosten. Kommt es gar zu einem Gas-Embargo, egal von welcher Seite, ist mit einer schweren Rezession, wenn nicht sogar einer Depression zu rechnen. Energieintensive Branchen wie die Chemieindustrie müssten in Deutschland um ihre Existenz bangen. Beruhigenden Prognosen von sogenannten Wirtschaftsweisen, die lediglich eine kurze Rezession erwarten, sollte man ein gesundes Maß an Misstrauen entgegenbringen.“

Schlumberger weiter: „Die USA sind in wirtschaftlicher Hinsicht eher ein Profiteur des Krieges in Europa. Die Gewinne von Rüstungs-, Agrar- und fossilen Energiekonzernen werden weiter massiv steigen. Gleichzeitig trifft jedoch die Verteuerung der Kreditkosten viele wenig oder gar nicht profitable Wachstumsunternehmen. Die US-Konjunktur insgesamt wird vermutlich auf einem moderaten Pfad weiter wachsen. Die Eintrübung des weltwirtschaftlichen Wachstums wird jedoch die aktuell noch sehr hohen Unternehmensgewinne sinken lassen.“ (mit AFP)