Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser kontert Gazprom-Vorwürfe und gibt Bundesregierung Tipp

Gazprom gibt Siemens Energy die Schuld an gedrosselten Gaslieferungen über die Nord Stream 1. Der langjährige Siemens-Chef bricht nun das Schweigen.

Joe Kaeser, damals Vorstandsvorsitzender der Siemens AG.
Joe Kaeser, damals Vorstandsvorsitzender der Siemens AG.AP/Matthias Schrader

Seit Mitte Juni kommen in Deutschland nur noch 40 Prozent der vertraglich vereinbarten Gasmengen aus Russland an. Wer hat Schuld daran?

Der Chef des russischen Staatskonzerns Gazprom, Alexei Miller, begründete die Drosselung mit der Wartung einer notwendigen Gasturbine der Siemens-Tochter Siemens Energy, die Siemens in Kanada überholte und die jetzt wegen der kanadischen Sanktionen gegen Gazprom nicht nach Russland ausgeliefert werden kann. Es liege am „Sanktionswirrwarr“, oder vielleicht doch an „einer absolut zielgerichteten Entscheidung von irgendeiner Person“ im Westen, beklagte Miller weiter.

„Erst handeln und dann reden“

Doch kann nur eine Turbine solch eine massive Drosselung verursachen? Der Siemens-Konzern bestätigte zuvor die Probleme bei der Auslieferung, weigerte sich aber, die möglichen politischen Gründe hinter der Gazprom-Entscheidung zu kommentieren. Nun hat der langjährige Siemens-Chef, heute der Aufsichtsratschef bei Siemens Energie, Joe Kaeser, auf die Vorwürfe direkt geantwortet.

„Es ist sehr bequem, ein Unternehmen mit reinzuziehen, das in Russland bekannt ist“, sagte Kaeser in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. „Selbst wenn es so wäre, würde das niemals rechtfertigen, den Gasfluss so stark zu drosseln. Da muss es einfach eine politische Motivation geben, das geht gar nicht anders.“

Ja, man habe sich mit Russland als einem Gas-Lieferanten geirrt, stimmte Kaeser zu. Niemand habe mit einem solch ideologischen Krieg gerechnet. Jetzt liege es an der Bundesregierung, beim Abbau der Energieabhängigkeit von Russland taktisch vorzugehen, nach dem Motto: erst handeln und dann reden.

„Das heißt, man erhöht erst mal die Liefermengen und füllt die Lager voll“, sagte Kaeser. „Und während die Lager sich schön füllen, sucht man diskret einen neuen Lieferanten. Still, behutsam, ohne viel darüber zu reden. Erst danach geht man zum Despoten-Lieferanten und sagt: „Sorry, geht nicht weiter.“

Wenn man Putin stattdessen ankündige, so Kaeser, dass man bald komplett bei ihm aussteigen werde, ohne dass man bereits Alternativen habe oder zumindest die Gasspeicher vorher gefüllt habe, dann sei das auch eine Einladung, diese Abhängigkeit auszunutzen. Vor diesem Hintergrund lobte Joe Kaeser den Bundeskanzler Olaf Scholz für seine Deeskalierungsversuche und dafür, dass er in der Krise „sachlich und besonnen“ bleibe. Denn aufgeregt seien schon genug Leute.

„Da bin ich mir gar nicht so sicher, ob man wirklich immer alles ankündigen soll, was man vorhat. Vielleicht ist man dabei besser beraten, die Dinge erst mal zu machen und dann darüber zu reden“, so der Siemens-Funktionär.

Siemens in Russland

Der deutsche Konzern Siemens hat sich wegen des Ukraine-Krieges vor einigen Wochen nach 170 Jahren komplett aus Russland zurückgezogen. Schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts war das damalige Unternehmen Siemens & Halske im Russischen Reich präsent und kontrollierte vor dem ersten Weltkrieg fast Zwei Drittel der Russischen Energiewirtschaft. 1916 im Ersten Weltkriegs wurden alle Siemens-Unternehmen auf Beschluss der zaristischen Regierung in Russland verstaatlicht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Sowjetunion die Zusammenarbeit mit dem deutschen Konzern allerdings wieder aufgenommen. 1971 eröffnete Siemens die erste Vertretung in Moskau.