EZB nervös: Ist die Inflation noch zu bändigen?

Die EZB will die Zinsen schneller erhöhen als geplant. Doch es könnte nicht reichen: Neben steigenden Preisen drohen vielen Arbeitnehmern Einbußen beim Lohn.

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), steht im Plenarsaal des Europäischen Parlaments und spricht.
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), steht im Plenarsaal des Europäischen Parlaments und spricht.dpa

Nach Einschätzung von Ökonomen müssen sich Verbraucher auch in den kommenden Monaten auf Teuerungsraten von mehr als 7 Prozent einstellen. Im April lagen die Verbraucherpreise um 7,4 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Das Statistische Bundesamt bestätigte damit am Mittwoch eine erste Schätzung.

Angesichts der steigenden Inflation stellt die EZB nun überraschend einer Zinserhöhung im Euroraum bereits im Juli in Aussicht. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte, eine Erhöhung könnte wenige Wochen nach dem Ende der Anleihenkäufe erfolgen, so die Chefin der Europäischen Zentralbank in Ljubljana. EZB-Direktor Frank Elderson sprach von der Möglichkeit, dass die Leitzinsen im Juli steigen könnten. Bundesbankpräsident Joachim Nagel äußerte sich ähnlich.

Im April war die Inflationsrate im gemeinsamen Währungsraum auf 7,5 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit der Euro-Einführung gestiegen. Die Teuerung liegt damit deutlich über dem von der EZB angepeilten Ziel. Die Notenbank strebt mittelfristig eine Inflationsrate von zwei Prozent an, bei der sie Preisstabilität gewahrt sieht.

Allerdings deutet sich in Europa die Möglichkeit einer sogenannten Stagflation an. In diesem Fall würde die Wirtschaft stagnieren, und die Inflation bliebe trotzdem hoch. Ein ähnliches Phänomen gab es bereits in den 1970er-Jahren im Zug des Ölpreisschocks. Im Fall einer Stagflation hat eine Zentralbank wenig Möglichkeiten, um ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Wegen der hohen Schulden und der gestiegenen Rohstoffpreise im Zuge des Ukraine-Kriegs und der Pandemie sowie wegen der unterbrochenen Lieferketten und den damit zusammenhängenden Produktionsausfällen ist eine Stagflation möglich.

Eine solche trifft die Arbeitnehmer besonders hat, weil ihnen neben höheren Preisen Einkommenseinbußen oder gar der Jobverlust drohen. So wird in der Automobilindustrie erwartet, dass die Aufträge deutlich zurückgehen, weil etwa der Automarkt in Russland vollständig zusammengebrochen ist. Wegen fehlender Lithium-Lieferungen ist die Produktion von Elektroautos ebenfalls ins Stocken geraten.

Klaus Rosenfeld, CEO des Autozulieferers Schaeffler, sagte CNBC: „Wir müssen uns auf das Szenario einer Stagflation vorbereiten.“ EZB-Chefin Lagarde schloss eine Stagflation nicht aus, sagte jedoch laut Bloomberg, dieser Fall sei „nicht das Basis-Szenario“ der EZB.

Das Problem für die Bundesregierung: Eine Stagflation kann nur bedingt mit weiteren öffentlichen Ausgaben bekämpft werden: Das zusätzlich in den Markt gepumpte Geld könnte leicht dazu führen, dass die Inflation außer Kontrolle gerät . In den 1970er-Jahren leitete aus diesem Grund die Federal Reserve unter ihrem Chef Paul Volcker eine Notbremsung ein, die zwar zu erheblichen Folgen für die Unternehmen und die Arbeitnehmer führte, das System insgesamt jedoch stabilisierte und einen neuen Aufschwung möglich machte.

Viele Konsumenten wollen laut einer Umfrage auf nicht notwendige Anschaffungen verzichten, um mit den steigenden Preisen zurecht zu kommen.

Im April verteuerte sich Energie gegenüber dem Vorjahresmonat um 35,3 Prozent. Die Preise für leichtes Heizöl verdoppelten sich nahezu. Auch für Sprit (38,5 Prozent) und Erdgas (47,5 Prozent) mussten Verbraucher deutlich mehr zahlen. Nahrungsmittel kosteten 8,6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Daneben verteuerten sich auch andere Waren deutlich, etwa Fahrzeuge (8,9 Prozent).

Mehr als vier von fünf Menschen in Deutschland (85 Prozent) sind aufgrund der hohen Preissteigerungen besorgt. Viele von ihnen wollen ihre Ausgaben für Möbel, Elektronik, Schmuck und Sportartikel reduzieren, um mit den steigenden Preisen zurecht zu kommen, wie aus einer repräsentativen Umfrage der Beratungsgesellschaft PwC hervorgeht.

„Viele Haushalte werden aufgrund der höheren Lebenshaltungskosten auf Anschaffungen verzichten, die nicht unbedingt notwendig sind. Das betrifft insbesondere langlebige Konsumgüter, die nicht hauptsächlich dem Ersatz dienen, wie z.B. Möbel oder bestimmte Elektronikartikel“, erläuterte PwC-Handelsexperte Christian Wulff.

Für das Gesamtjahr rechneten Volkswirte zuletzt mit einer durchschnittlichen Teuerungsrate von mehr als 6 Prozent in Deutschland. Die Bundesbank geht inzwischen von nahezu 7 Prozent aus. Im Jahr 2021 lag die Inflationsrate im Schnitt noch bei 3,1 Prozent.

Trotz eines leichten Rückgangs ist die Inflation in den USA weiter höher als im Euroraum. Im April lagen die Verbraucherpreise um 8,3 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats, wie das Arbeitsministerium in Washington mitteilte. Im März hatte die Teuerungsrate 8,5 Prozent betragen.

Die US-Notenbank steht jedoch laut CNBC vor einem ähnlichen Problem wie die EZB, nämlich vor einer Stagflation: Die Federal Reserve erhöht demnach die Zinssätze, um ein explosives Jahr der Preisinflation zu entschärfen. Doch „globale Kräfte könnten die Auswirkungen dieser Straffung der Geldpolitik neutralisieren und die Inflation hoch halten“, analysiert der US-Wirtschaftssender. (mit dpa)