Die Welt aus den Fugen: Wie sich der Westen darauf vorbereitet, China zu schlagen
Dokumente vom G7- und Nato-Gipfel zeigen: Der Westen rüstet sich auch für eine Konfrontation mit China. Und eine solche wäre deutlich dramatischer als jene mit Russland.

Es scheint, als würde sich die Geschichte wiederholen: Die staatliche chinesische Zeitung China Daily erinnert aus Anlass des Nato-Gipfels in Madrid an das Jahr 1997, als das Militärbündnis letztmalig in der spanischen Hauptstadt zusammenkam. Damals, so erinnert sich die Zeitung aus Peking, wurden Ungarn, Polen und Tschechien eingeladen, der Nato beizutreten. Diesmal waren es nicht nur die europäischen Staaten Finnland und Schweden, die im Fokus standen.
Für die chinesische Führung war die erstmalige Teilnahme von Japan, Australien, Neuseeland und Südkorea im Kreis der Nato-Mitglieder das wichtigere und zugleich beunruhigende Signal aus dem Westen. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, der sich mit dem russischen Angriff Russlands zu einem „heißen“ Krieg ausgewachsen hat, habe seine Ursache in einem „strategischen Ungleichgewicht, welches durch die von den USA angeführte Ost-Erweiterung der Nato ausgelöst wurde“, analysiert die staatliche chinesische Global Times. Geht es nun gegen China, mit der nächsten Nato-Erweiterung?
Die Konfrontation läuft auf Weltkriegsniveau hinaus
Peking teilt die russische Perspektive, der Krieg sei eine Folge der Nato-Osterweiterung. Moskau hat allerdings kein Argument auf seiner Seite, außer vielleicht dem, dass der Krieg eben die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. Der Angriff auf die Ukraine kam eindeutig von Russland, das damit seine jahrelange diplomatische Position preisgab, wonach das Völkerrecht zu achten sei.
Nun geht es weiter: Sowohl die Dokumente vom G7- und vom Nato-Gipfel als auch die Reaktionen aus Moskau und Peking zeigen, dass die Konfrontation auf Weltkriegsniveau hinausläuft. Stormy-Annika Mildner, die Direktorin des Aspen Institute Germany, sagte der Berliner Zeitung: „Eine Konfrontation mit China wäre um ein Vielfaches dramatischer als die Auseinandersetzung mit Russland.“
Was passiert, wenn es zu einer Invasion in Taiwan kommt
Es gibt allerdings kaum noch Verständnis für die jeweils andere Position. Beide Blöcke mauern sich immer stärker in ihren jeweiligen Blasen ein, oder wie Mildner sagt: „China und Russland haben eine andere Realität als der Westen: Wir glauben, dass eine wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeit das Risiko eines Kriegs reduziert. Russland und China sind imperiale Mächte mit Expansionsbestrebungen. Das geopolitische Klima ist konfrontativer geworden.“ Russland, das in der vergangenen Woche bei den West-Gipfeln nur auf den ersten Blick die Diskussion beherrschte, wird vom Westen als Junior-Partner Chinas gesehen: „China ist aus Sicht der westlichen Regierung eindeutig das größte Sicherheitsrisiko der Zukunft“, sagt Mildner.
Diesem Risiko will der Westen militärisch begegnen. Die chinesischen Medien weisen darauf hin, dass die Erweiterung der Nato nach Asien – wo es zusätzlich bereits das neue mächtige Bündnis AUKUS zwischen Großbritannien, den USA und Australien gibt – die Europäer für etwaige militärische Operationen im indo-pazifischen Raum in die Pflicht nehmen werde – militärisch und vor allem finanziell. Auch Stormy Mildner hat keinen Zweifel: Zwar wisse man nicht, wie der Westen reagiert, wenn China etwa Taiwan angreift. Doch sei klar: „Wenn es zu einer Invasion kommt, dann wird sich der Konflikt ausweiten. Deutschland wird sich dann nicht heraushalten können.“ Sein Sonderstatus als unpolitischer Export-Weltmeister wäre dann obsolet geworden.
Australien macht 40 Prozent seines Handels mit China
In der Konfrontation mit China haben sicherheitspolitische Erwägungen Vorrang. Kim Catechis, Investmentstratege vom Franklin Templeton Institute, gibt im Gespräch mit dieser Zeitung ein Beispiel, wie brachial die Einschnitte sind: „Australien macht 40 Prozent seines Handels mit China. Aber als die USA gesagt haben, dass Huawei ein Risiko ist, haben sich die Australier sofort von Huawei getrennt – ohne jede Entschädigung.“ Er sieht eine Verschärfung des Klimas: „Bis vor etwa 16 Jahren dachte ich, Russland würde Mitglied einer europäischen Zollunion werden oder sogar EU-Mitglied. Alle Winde wehten damals in dieselbe Richtung – und dieses Fenster hat sich nun geschlossen.“
Aus Washington kommt der Druck, den auch Europa spürt. In den USA wird politisch zwar über fast alles gestritten. Aber in zwei Punkten seien sich sogar die erbittertsten Gegner einig, so Catechis: „China ist ein strategischer Wettbewerber und Putin ein Bösewicht.“ Aus wirtschaftlicher Sicht sei die Situation für alle Beteiligten unsinnig: „Russland und China schneiden sich von den europäischen und den US-Märkten ab – jeder von beiden macht 16 Prozent der chinesischen Exporte aus! Die EU muss höhere Preise für ihre Energie-Exporte zahlen.“
Kosten und Preise werden steigen
Doch die Entwicklung hat eine Eigendynamik bekommen: „Die Staaten nutzen die Wirtschaft als Munition gegen andere Staaten, mit denen sie sich im Konflikt befinden“, sagt der Templeton-Vordenker, dessen Fondsmanager ein Billionen-Vermögen verwalten – und zwar nicht nur die Gelder der Reichen: Viele Renten- und Pensionsfonds müssen darauf achten, dass sie nicht auf dem falschen Fuß erwischt werden. Die Sanktionen gegen Russland, aber auch die Beschlagnahmung der Moskauer Zentralbank-Reserven können Märkte über Nacht für Anleger zu Hochrisiko-Gebieten machen. Catechis beobachtet, dass die Anleger vorsichtig geworden sind: „Ein skandinavischer Pensionsfonds hat mir berichtet, sie seien dabei, die Investments in Regionen zu verringern, die geografisch weit entfernt sind.“
Diese Situation führt zu einer Neubewertung der globalen Lage. „Wir müssen die Länderrisiken neu definieren. Früher haben das die Ratingagenturen gemacht, aber das funktioniert nicht mehr“, sagt Catechis. Auch die Überzeugung, dass man sich nicht ins eigene Knie schießen sollte, ist weg. Catechis: „Es wird keine Rücksicht auf die eigene Wirtschaft genommen: Die US-Zölle auf Komponenten aus China haben dazu geführt, dass die US-Hersteller das Endprodukt teurer machen mussten.“ Stormy Mildner sagt: „Wir haben lange eine Stabilitätsdividende bezogen. In der neuen Realität werden die Kosten und Preise steigen.“
Unabhängigkeit von China
Inwieweit der Wirtschaftskrieg eine Vorbereitung zu einer globalen militärischen Auseinandersetzung ist oder ob sich am Ende die Angst vor der gemeinsamen Vernichtung durchsetzen wird, ist schwer zu sagen. In jedem Fall führt die konfrontative Haltung zu autoritären und zentralistischen Tendenzen. Catechis sieht ein Problem mit China: „Die Unterschiede zwischen dem privaten Sektor und dem Staat verschwimmen.“ Doch auch im Westen ist die staatliche Intervention mittlerweile alltäglich geworden und verändert die Kultur einer auf Innovation und fairen Wettbewerb ausgerichteten Wirtschaft.
Der Handelsdeal, den Präsident Donald Trump mit den Chinesen geschlossen hatte, sei „wie ein planwirtschaftlicher Deal zu Sowjetzeiten“ gewesen, sagt Catechis: „Es ging nur um Mengen, nicht mehr um Preise. Es war eine direkte staatliche Intervention.“ Auch Großbritannien erhebe Sondergewinnsteuern und störe damit „das Gleichgewicht des Marktes“. Für Mildner steht fest: „Wir müssen unsere Abhängigkeit von China schleunigst reduzieren. Wir dürfen unsere kritische Infrastruktur nicht von staatlichen Stellen Chinas abhängig machen.“
Eine Reihe von Ländern sei prinzipiell gegen Sanktionen
Kim Catechis sieht auch eine systemisch-kapitalistische Eigendynamik in dem Prozess: „Der militärisch-industrielle Komplex ist zurück als ein wichtiger Booster für die Wirtschaft.“ Das sei natürlich „ein Problem aus nachhaltiger und sozialer Sicht“. Aber es stünden eben „russische Panzer auf ukrainischem Territorium – und die Ukraine grenzt an die EU“. Zugleich gibt es Zielkonflikte, weil es massive Unterschiede beim Wohlstand gäbe. Das zeigte sich auch am G7-Gipfel, wo es nicht gelang, Länder wie Argentinien, Indien, Indonesien, Senegal und Südafrika deutlich gegen Russland zu positionieren. Mildner sagt, eine Reihe von Ländern sei prinzipiell gegen Sanktionen, weil sie fürchten, „selbst einmal Ziel von Sanktionen zu werden“. Sie werden alles tun, um in einer globalen Konfrontation nicht unter die Räder zu kommen. Wer künftig Freund, wer Feind ist, wird sich zeigen.
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