Berliner Gashändler: „Die Leute können raus und protestieren – das ist ihr Recht“

Aykan Kütük verkauft Propangas in Berlin und im Umland. Mit Russland hat das nur bedingt zu tun. Wer ihm zuhört, fragt sich: Jammern Deutsche zu viel?

Propangashändler Aykan Kütük
Propangashändler Aykan KütükVolkmar Otto

„Was Baerbock und Habeck hierzulande anrichten, ist doch ein Witz!“, flucht ein Kunde, der auf seine Propangasflaschen im Hof einer Lieferfirma im Städtchen Falkensee im Berliner Umland wartet. Er hält mit seinen politischen Ansichten nicht hintern Berg. Vielleicht auch, weil er weiß, dass eine Journalistin gekommen ist, um seinen Lieferanten zu porträtieren. „Die beiden ruinieren die Grundlage, auf der unser Wohlstand aufgebaut wurde! Sie wollen komplett auf die Kraftstoffe verzichten und auf die Atomkraft … Wir brauchen eine Revolution!“

Kaum hat die Journalistin darauf erwidert, dass der Ausstieg aus der Atomkraft eigentlich längst vor den Grünen in der Bundesregierung beschlossen wurde, ist der Geschäftsführer der Firma mit seinem weißen Mercedes-Benz GL C-Klasse schon in den Hof eingefahren. Er ist durchtrainiert, trägt eine weiche Sportjacke und einen kurzen Bart. Sein Name ist Aykan Kütük, er ist Sohn türkischer Eltern und 33 Jahre alt. Er wurde in Deutschland geboren und hat hier auch den Großteil seines Lebens verbracht. Nachdem er mit der Berliner Zeitung über Gasgrills gesprochen hatte, stimmte er einem persönlichen Gespräch über seine Geschäfte zu.

„Jetzt ist Propangas günstiger als Erdgas – früher war es umgekehrt“

Kütük hat sich zum Geschäftsführer der Firma hochgearbeitet, weil er ein gutes Verständnis von Geschäften habe und, wie er sagt, das Geschäft vorangebracht habe. Vor sechs Jahren habe er bei der Firma als Arbeiter angefangen, erzählt er. Anfang dieses Jahres habe er das Geschäft anvertraut bekommen, weil die Besitzer Großeltern wurden und aussteigen wollten. Die Firma besteht seit über 40 Jahren und versorgt Gastronomie und Baufirmen, aber auch Kleingartenanlagen und Privathaushalte mit Propangas für die Heizung und kleinere Angelegenheiten wie fürs Grillen. Kütük hat sieben Mitarbeiter.

„Die Nachfrage nach Propangas ist seit Beginn des Ukraine-Krieges enorm gestiegen, weil auch viele vom Erdgas auf Propangas umsteigen“, sagt Kütük. „Man kann die Heizgeräte ja umrüsten. Erdgas war früher etwas günstiger als Propangas. Jetzt ist es umgekehrt.“

Dieses verflüssigte Propangas hat allerdings nichts mit russischem Pipelinegas oder LNG zu tun. Denn es ist ein Produkt aus der Erdölherstellung. Kütük kauft es zwar von Großlieferanten, aber es kommt ursprünglich aus der PCK-Raffinerie in Schwedt: aus der Ölraffinerie, die Berlin und Brandenburg mit Benzin, Diesel und sonstigen Kraftstoffen versorgt und noch zu 95 Prozent auf russisches Öl aus der Druschba-Pipeline angewiesen ist.

„Das Einzige, was mir Sorgen macht …“

Im Zuge des Ölembargos gegen Russland soll die Raffinerie Ende des Jahres auf russisches Öl verzichten. Einen konkreten Plan für die Zeit danach hat die Bundesregierung noch nicht vorgelegt. Seine Zwischenhändler, sagt Kütük, würden noch keine Engpässe erwarten, und so dramatisch sei die Lage nicht.

„Es gibt immer eine Lösung“, gibt er sich optimistisch. „Kasachstan will ja auch mehr Öl nach Deutschland exportieren.“ Sollte das schlimmste Szenario eintreten, könnte man den Bedarf bei anderen deutschen Raffinerien decken – nur nicht so reibungslos. Die Transportkosten würden steigen.

Flaschen mit Propangas bei Händler Aykan Kütük.
Flaschen mit Propangas bei Händler Aykan Kütük.Volkmar Otto

Es ist 10.00 Uhr am Freitagmorgen und langsam kommen immer mehr Kunden in sein Geschäft: mit Kastenwagen und Pkw. Kütük begrüßt viele persönlich, man kennt sich ja schon länger – er bleibt aber sitzen, seine Mitarbeiter schaffen das allein. „Das Einzige, was mir Sorgen macht“, führt er nach einer Pause aus, „ist nicht die mögliche Gasknappheit, sondern die Preise, die auf uns zukommen könnten und wahrscheinlich auch kommen werden. Die Nachfrage wird ab Oktober steigen, und noch mehr Leute werden von Erdgas auf Propan umsteigen. Mit steigender Nachfrage werden auch die Preise steigen.“

„Es kann jede Sekunde krachen“

Die Ein- und Verkaufspreise sind nach Kütüks Worten im Vergleich zum letzten Jahr um 50–60 Prozent gestiegen, die Gasfüllung einer Flasche kostet gerade 26 Euro. Dann ist es doch offensichtlich, dass er bei der gestiegenen Nachfrage auch mehr Geld verdient?

Bei der Antwort weicht der Gasverkäufer zweimal aus, zum dritten Mal korrigiert er sich: Er habe jetzt doch einen deutlich teureren Einkauf und müsse ja noch die Folgen der Pandemie tragen, als die Gastronomie zu war. „Und manchmal passt es einem nicht, wenn man mehr verdient.“ Er habe auch keine Vorkasse eingeführt, wie es bei Verkäufern von Heizöl im Frühling oft der Fall war, sondern liefere auf Rechnung. „Ich gehe nicht darauf ein, was ich am Ende nicht einhalten kann“, betont Kütük. „Es sind außergewöhnliche Zeiten. Wir fahren gerade auf der Autobahn mit 200, aber die Sicht ist benebelt. Ja, wir verkaufen gut. Aber es kann jede Sekunde krachen. Deswegen ist es so unangenehm.“

Unangenehm, um es vorsichtig zu formulieren, wird es dank der Inflation auch für eine fünfköpfige Familie mit 4844 Euro netto, die bereits auf Butter verzichtet. Oder für eine Frührentnerin mit 1700 Euro, die schon bei Frühstück und Abendbrot massiv spart. Sind wir eigentlich schon so weit, dass selbst Leute mit normalen Einkommen Angst vor Armut kriegen müssen?

„Eine gewisse Verarmung wird es allerdings geben“, gibt Kütük zu. „Aber es ist nur eine Krise, die wir durchmachen werden. Wir sind ja wirtschaftlich gesehen nach wie vor eines der stärksten Länder.“ Unter echter Armut verstehe er jedoch was anderes, sagt Kütük. Er wird ganz persönlich und fragt selbst:

„Woher kommst du, aus Russland? Gut, denn ich komme aus der Türkei. Ich weiß, wie hart es da ist. Die inoffizielle Inflation liegt bei über 150 Prozent. Meine Verwandten in der Türkei müssen damit leben, ich habe da auch eine Zeit gelebt. Ich bin abgehärtet.“

Kütük will jedoch nicht missverstanden werden. Es sei in Deutschland auf jeden Fall schwieriger als vor einem Jahr, sagt er. Aber er nehme das anders wahr: „Wenn der FC Bayern zwei Spiele unentschieden spielt, dann ist das eine Krise. Bei Hertha ist das Alltag. Wir in Deutschland wissen also gar nicht, was wirklich Armut ist. Wir müssen das aber auch nicht mit der Türkei vergleichen. Vergleichen wir es mit einem noch ärmeren afrikanischen Land, da haben die in der Türkei ihren Mund nicht aufzumachen.“

„Wenn man protestieren möchte, darf man protestieren“

Müssen die Deutschen also nicht jammern? Nein, erwidert der Deutschtürke. Er meine nur, die derzeitige Krise sei kein Weltuntergang. Aber die grüne Außenministerin Annalena Baerbock fürchtet schon Volksaufstände, wenn Deutschland kein Gas aus Russland bekommt. Laut einer Insa-Umfrage würden rund 44 Prozent der Befragten in Deutschland auch an Energie-Protesten teilnehmen.

Kütük hat Verständnis dafür. „In der Türkei trauen sich die Menschen wohl nicht auf die Straßen.“ Aber jeder Mensch dürfe seine Meinung äußern. „Und wenn man protestieren möchte, darf man protestieren, ob gegen steigende Energiepreise, für Menschenrechte oder für Rechte der Homosexuellen. Und wenn die Leute nicht 50 Prozent mehr oder für Erdgas nicht doppelt oder sogar dreifach so viel zahlen wollen und erwarten, dass die Bundesregierung etwas dagegen tut, dann ist es ihr Recht. Es geht den Leuten in Deutschland um ihren Wohlstand, sie wollen ihn nicht verlieren.“

Er als Chef der Firma wolle seinerseits vorerst Ruhe bewahren, denn er trage auch Verantwortung für seine Mitarbeiter. „Ich manipuliere mich selbst, indem ich sage: Alles ist gut, wir arbeiten weiter.“ So bleibe er kühl im Kopf und könne seine Firma weiter gut organisiert führen.