Offener Brief an den neuen Berliner Senat: Holt uns endlich einen I-I-I-Booster!
Berlin bleibt deutlich unter seinem Potenzial, finden unsere Autoren aus der Berliner Wirtschaft. Hier ihre konstruktiven Vorschläge für ein Berlin, das funktioniert.

Wahlwiederholung wegen gravierender Mängel, monatelanges Warten auf Termine beim Bürgeramt, viel zu lange Planungs- und Genehmigungsprozesse – die Liste der Missstände in der Berliner Verwaltung ist lang und zu genüge bekannt.
Hinzu kommen ein bundesweit peinliches Niveau bei Digitalisierung und Breitbandversorgung sowie Überregulierungen in einer Vielzahl von Wirtschafts- und Lebensbereichen, die uns als Deutschland insgesamt lähmen und in unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit abrutschen lassen. Wir leben in Teilen von unserer wirtschaftlichen Substanz und gefährden die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Staat.
Behörden-Pingpong oder Politik-Bashing bringen uns nicht weiter
Was uns in dieser Situation nicht hilft, ist ein Spaß am Untergang, ein – von Stammtisch bis Hauptstadtjournalismus leider weit verbreitetes – schenkelklopfendes Delektieren an all dem, was in unserer Stadt nicht funktioniert. Auch Schwarze-Peter-Spiele, Verantwortungsdelegation (auf Neudeutsch auch gern „Behörden-Pingpong“ genannt) oder Politik-Bashing bringen uns keinen Schritt voran. Trotz der berechtigten Unzufriedenheit mit viel zu langen Prozessen und oftmals wenig leistungsfähigen Strukturen dürfen wir uns mit dem Status quo nicht arrangieren und uns resigniert in die innere Emigration zurückziehen.
Innovation, Investition und Identifikation
Was es stattdessen braucht, ist ein Dreiklang aus Innovation, Investition und Identifikation, oder I-I-I. Was meinen wir damit? Wir brauchen eine Aufbruchstimmung, in der wir unseren gesunden Menschenverstand nutzend Prozesse und Strukturen auf Bezirks- und Landes- (sowie Bundes-)ebene grundsätzlich hinterfragen. Warum sind Dinge so organisiert, wie sie es sind? Welche Alternativen gibt es dazu? An welchen Stellschrauben können wir digitale Lösungen oder Künstliche Intelligenz (KI) einsetzen?
Dazu drei konkrete Beispiele: Schon lange diskutieren wir in der Stadt ein rein digitales, landesweites Bürgeramt, das – gewissermaßen als 13. Bürgeramt – etwa die zehn häufigsten öffentlichen Dienstleistungen digital anbieten könnte. Dies würde die bezirklichen Bürgerämter deutlich entlasten und zugleich den Kundenservice massiv verbessern.

Zweites Beispiel Einbürgerung: Zigtausende zum Teil schon lange in unserer Stadt lebende Menschen wollen sich zu unserem Staat bekennen und einbürgern lassen, u.a. mit Blick auf unseren Fachkräftemangel eine überaus erfreuliche Tatsache. Vom Amt kommen dann jedoch Mails à la „man möge von weiteren Nachfragen absehen“. Nutzen wir in diesem Bereich doch verstärkt KI-Lösungen, die die Einbürgerungsanfragen vorscreenen, sodass nur die komplexeren Fälle einer intensiven Bearbeitung durchs Amt bedürfen!
Drittes Beispiel: Viele Verwaltungseinheiten arbeiten noch immer in Silos. Die immer komplexer werdenden Handlungserfordernisse bedürfen jedoch agiler sowie ressort- und ebenenübergreifender Projekt- und Arbeitsstrukturen. So hat sich etwa die neu eingerichtete, mehrstufig aufgebaute Senatskommission zum Wohnungsneubau bewährt, die Konflikte zwischen einzelnen Verwaltungen ausräumt und Prozesse somit beschleunigt. Dieser kooperative Weg sollte viel häufiger beschritten werden! Als Berliner Wirtschaft bieten wir gern an, unsere Erfahrungen und Erkenntnisse zu moderner Führungskultur und Arbeitsweise zu teilen.
Investieren in Köpfe und zukunftsgerechte Infrastrukturen
Neben dem Nachdenken über innovative Strukturen und Prozesse brauchen wir mehr Investitionen in die Funktionstüchtigkeit und Output-Orientierung unserer Verwaltung. Auch hierzu drei konkrete Anregungen: Ein großer Schatz ist für unsere Stadt noch nicht optimal gehoben, die Nutzung und Verwertung (öffentlichen) Daten. Zusammengeführt in einem noch aufzubauenden DataHub könnten sie Grundlage für bessere Planungen, neue Geschäftsmodelle und eine smartere Stadt sein. Die Potenziale unserer vibrierenden Start-up-Landschaft sollten wir dafür aktiv nutzen.
Zweitens ein kurzer Exkurs zum Thema Bezirke: Nicht selten wird ihnen angelastet, für all das, was in unserer Stadt nicht funktioniert, verantwortlich zu sein. Das ist – zumindest in Teilen – unfair, denn die Ursache liegt oftmals eher in den unklar geregelten Verantwortlichkeiten zwischen Land und Bezirk.
Zugleich kämpfen die Bezirke mit einer Reihe struktureller Nachteile: eine oftmals niedrigere Einstufung der Beschäftigten, die eine Tätigkeit bei Land oder Bund deutlich attraktiver macht; eine unzureichende Ausstattung der Stabsbereiche der Bezirksbürgermeisterinnen und -meister, die eine angemessene Begleitung strategischer und konzeptioneller Fragen erschwert sowie ein oftmals wenig attraktives Arbeitsumfeld. Auch hier – ebenso wie bei den Landesverwaltungen – sollten wir investieren. Drittens: Mit dem IT-Dienstleistungszentrum des Landes Berlin (ITDZ) verfügt Berlin über ein Landesunternehmen, das noch etwas unter seinen Möglichkeiten bleibt. Bei seiner geplanten Weiterentwicklung sollten wir es zu einem Innovationstreiber und Lösungsanbieter für den öffentlichen Sektor ausbauen.
Verwaltung als aktiver und verantwortlicher Mitgestalter unserer Stadt
Kommen wir abschließend zum Thema Identifikation: Was es jetzt vor allem braucht, ist nicht weniger als ein Kulturwandel in der Berliner Verwaltung einschließlich der Berliner Politik. Es bedarf einer Verantwortungsgemeinschaft, in der alle ihre jeweiligen Rollen wahrnehmen und ausfüllen: starke Bezirke und ein starkes Land Berlin, eine dienstleistungs- und lösungsorientierte Verwaltung und entscheidungsfreudige und mutige politische Leitungen.
Wir alle kennen diesen Effekt: Identifizieren wir uns mit unserer Arbeit und unserer „Institution“, haben wir Energie, produzieren Ideen und wachsen über uns hinaus. Hegen wir stattdessen Zweifel an Sinn und Zweck unserer „Institution“, machen wir eher Dienst nach Vorschrift. Lasst uns daher die kulturellen und praktischen Rahmenbedingungen in der öffentlichen Verwaltung so gestalten, dass sich auch die Bürgerinnen und Bürger wieder stärker mit unserer Verwaltung und unserer Stadt identifizieren!
Angestoßenen Reformprozess fortsetzen und erweitern
Einzelne in der laufenden Legislaturperiode begonnene Ansätze weisen bereits in die richtige Richtung – so etwa die Einrichtung der neuen Organisationseinheit eines Chief Digital Officers (CDO) oder die von ihm vorgelegten Eckpunkte einer Verwaltungsreform. Beziehen wir u.a. die oben gemachten Vorschläge darin mit ein, haben wir schon einen großen Schritt gemacht. Hoffen wir, dass das Thema in den beginnenden Koalitionsverhandlungen die ihm gebührende Priorität und Aufmerksamkeit erhält und gute Lösungen verabredet werden. Als VBKI unterstützen wir diesen Prozess gern!
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