Nord-Stream-Anschläge: Wer ist der Enthüller Seymour Hersh?

Die Enthüllung, wonach die US-Regierung hinter den Anschlägen auf Nord Stream 2 stecken soll, ist Thema einer aktuellen Stunde im Bundestag.

Nord Stream nach der Explosion
Nord Stream nach der ExplosionDanish Defence/AFP

Der US-Journalist Seymour Hersh hat auf Substack eine Recherche veröffentlicht, in der Hersh berichtet, dass US-Marinetaucher für die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee verantwortlich gewesen sein sollen. Er berichtet, dass die Operation von den US-Stützpunkten Ryyge und Sola in Norwegen ausgeführt worden sein soll. Die US-Einheiten sollen von Norwegen unterstützt worden sein und die Sprengung über den Einsatz eines P8-Aufklärungsfluges ausgelöst haben. Dänemark und Schweden sollen laut Hersh informiert gewesen sein. Auch US-Präsident Joe Biden soll im Bilde gewesen sein und auf einer Fernzündung bestanden haben. Ob Bundeskanzler Olaf Scholz von der mutmaßlichen Operation Kenntnis hatte, geht aus dem Bericht nicht hervor. Offizielle Stellen in den USA dementierten den Bericht. Hersh schreibt: „Um einen Kommentar gebeten, sagte Adrienne Watson, eine Sprecherin des Weißen Hauses, in einer E-Mail: ,Das ist eine falsche und vollständige Fiktion.‘ Tammy Thorp, eine Sprecherin der Central Intelligence Agency, schrieb in ähnlicher Weise: ,Diese Behauptung ist vollkommen falsch.‘“

Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) schreibt zu dem Bericht: „Der Bericht zu Nord Stream scheint in weiten Teilen nur auf einer anonymen Quelle zu basieren. Seriöse US-Medien gingen zunächst nicht auf den Bericht ein.“ Die AFP schreibt: „Der 85-jährige Hersh gilt in den USA als erfahrener Investigativjournalist. In den vergangenen Jahren ist ihm jedoch vorgeworfen worden, Verschwörungstheorien zu verbreiten.“

Die Tagesschau befasst sich ausführlich mit dem Bericht und verlinkt sogar auf den Artikel - eine Praxis, die die Tagesschau bei unseriösen Quellen strikt ablehnt. Außerdem spricht die Tagesschau mit Julian Pawlak von der Universität der Bundeswehr in Hamburg, der Hersh eine selektive Auswahl von Fakten vorwirft. 

Pawlak bringt einen interessanten Einwand: Dass nach der Aktion eine Pipelineröhre unbeschädigt geblieben sei und somit die Gaszufuhr nach Deutschland zumindest theoretisch noch möglich gewesen sei, spreche „auch eher gegen eine Täterschaft der USA“. „Das Ganze weist mehrere Ungereimtheiten auf“, sagt Pawlak laut der Tagesschau.

Die offizielle Reaktion aus Norwegen wies den Bericht ebenfalls zurück: „Diese Anschuldigungen sind natürlich nur Unsinn“, sagte das Außenministerium am Mittwoch der norwegischen Zeitung Dagbladet. Laut Informationen der Berliner Zeitung aus Regierungskreisen in Oslo enthält der Artikel zahlreiche sachliche Fehler. So wird die Funktions-Bezeichnung eines Bootes in dem Artikel falsch angegeben. Die norwegischen Medien berichteten am Donnerstag nur sehr klein über Hershs Recherche. Der Journalist, der unter anderem den Pulitzer-Preis erhalten und im Vietnam-Krieg das Massaker von My Lai aufgedeckt hat, sagte der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass: „Es gibt einige Leute, die ziemlich viel darüber wissen, was vor sich geht. Natürlich kann ich nicht sagen, wer.“

Der Kreml hat nach Veröffentlichung des Berichts erneut eine Beteiligung an internationalen Ermittlungen gefordert. „Sie wissen, dass es auch von unserer Seite Erklärungen zu Informationen gab, die auf eine Beteiligung der Angelsachsen an der Organisation dieses Sabotageakts hindeuten“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag der dpa zufolge, die Interfax zitiert. Leider sei Russland nicht gehört worden, doch die neuen Informationen sollten als Grundlage für eine internationale Aufklärung dienen, forderte Peskow. „Einige Momente (in dem Artikel) kann man bestreiten, andere brauchen Beweise, aber er ist bedeutsam durch die Tiefe der Analyse und die Klarheit der Auslegung“, lobte Peskow die Recherche laut dpa. Gerade Deutschland als Geschädigter dürfe nicht über den Bericht hinwegsehen, zitiert die dpa den Kremlsprecher.

Die staatliche chinesische Zeitung Global Times schreibt: „Angesichts des früheren US-Verhaltens glauben chinesische Experten, dass der Hersh-Bericht höchst glaubwürdig ist und Russland trotz des Dementis aus Washington nicht gehindert werden kann, weitere Beweise für den Wert des Berichts als Hinweis zu finden.“

Hersh arbeitete als Journalist für renommierte Medien wie CBS, Associated Press und den New Yorker. Er ist unter anderem Autor in der London Review of Books. 2004 berichtete er über die Foltern in Abu-Ghraib.

Der Bundestag befasst sich am Freitag, 10. Februar 2023, im Rahmen einer Aktuellen Stunde mit dem Thema „Anschläge auf deutsche und europäische Infrastruktur“. Verlangt wurde die Debatte von der AfD-Fraktion.

Die AfD will offene Fragen rund um die Explosionen an den Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee von einem Untersuchungsausschuss im Bundestag klären lassen. AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla begründete seinen Vorstoß am Donnerstag mit den Recherchen von Hersh. Auch Abgeordnete der Linke-Fraktion wollen nach Informationen der Berliner Zeitung Fragen an die Bundesregierung stellen.

Chrupalla sagte laut dpa, es gehe um die Frage, ob „die Führungsmacht der Nato in europäischen Gewässern einen Anschlag auf lebenswichtige kritische Infrastruktur unseres Landes verübt“ habe, erklärte er. Sollte dies so sein, könnten US-Truppen nicht mehr in Deutschland bleiben: „Der Abzug aller US-Truppen wäre die Konsequenz.“ Der Bundestag habe „ein Recht zu erfahren, welche Kenntnisse die Bundesregierung hat“.

Insgesamt vier Explosionen hatten im September in den Wirtschaftszonen Schwedens und Dänemarks in der Ostsee mehrere Lecks in die Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 gerissen, die für den Transport von russischem Gas nach Deutschland gebaut worden waren. Die Pipelines waren zum Zeitpunkt der Explosionen nicht in Betrieb, enthielten aber Gas. Nach Angaben Schwedens steckt Sabotage hinter dem Vorfall. Demnach wurden Sprengstoffreste nachgewiesen.

Der Verdacht richtete sich laut AFP „umgehend gegen Russland, Moskau wies aber jede Verantwortung von sich“. Erst vor wenigen Tagen sagte Generalbundesanwalt Peter Frank in einem Interview laut AFP, es gebe bislang keine Beweise für eine Urheberschaft Russlands.