Abzocke trotz Gaspreisbremse: Wie aus 235 plötzlich 1340 Euro Abschlag werden

Es musste eine Entlastung sein, doch selbst die Briefe der bewährten Versorger wie Gasag oder Vattenfall sorgen für Unmut. Wir haben uns drei Fälle angeschaut.

Eine Frau lehnt sich an die Heizung.
Eine Frau lehnt sich an die Heizung.Westend61/Imago

Ist es Ihnen auch passiert? Sie öffnen den Brief Ihres Versorgers zur Gaspreisbremse, hoffen, dass der Abschlag kleiner geworden ist – oder sich zumindest nicht verändert hat, aber was Sie sehen, entzieht sich jeglicher Logik.

Der Abschlag hat sich plötzlich verdoppelt oder sogar verdreifacht, und das mit der Preisbremse. Ohne die Bremse müssten Sie monatlich fast das Fünffache zahlen. Sie rufen den Kundenservice an – vergeblich, weil die Hotline überlastet scheint, und selbst auf eine schriftliche Nachfrage haben Sie noch keine Aufklärung bekommen.

Die positive Nachricht: Sie sind nicht alleine. Die Berliner Zeitung erhält von den Lesern viele Hinweise darauf, dass die Gaspreisbremse nicht so funktioniert, wie man es von ihr erwartete. Auch die Kollegen berichten, dass von ihnen unerwartet hohe Summen verlangt werden, mit Berechnungen, die weder hinten noch vorne hinhauen. In einem Fall ist der Abschlag sogar so drastisch gesunken, dass man es nicht glaubt.

Vattenfall-Kunde aus Neukölln muss statt 2500 rund 4000 Euro im Jahr zahlen

„Hier wird unter Vorspiegelung falscher Tatsachen versucht, den staatlichen Gaspreisdeckel auszunutzen und daraus in großem Stil übermäßige Gewinne zu generieren“, schreibt uns neulich ein empörter Gaskunde aus Berlin-Köpenick. Der Mann mit einem geschätzten Jahresverbrauch von 20.000 kWh hat am 16. Februar ein Schreiben von seinem Gasversorger Vattenfall bekommen, in dem ihm mitgeteilt wird, dass der Verbrauchspreis für seinen Gasvertrag ab dem 1. April von 11,77 auf 19,04 Cent/kWh steigen wird. Der Grundpreis bleibt unverändert bei 12,50 Euro im Monat.

Das bedeutet für ihn: Jetzt müsste er ohne Gaspreisbremse statt knapp 2500 rund 4000 Euro im Jahr allein für Gas zahlen. Das Merkwürdige daran: Geht man auf die Website von Vattenfall, bekommt man für die gleichen Vertragskonditionen ein Preisangebot von ca. 2600 Euro im Jahr, also 1400 Euro weniger als das, was er nach der angekündigten Preiserhöhung zahlen müsste. Im Jahr 2021 hatte der Mann nach eigenen Angaben noch nur 1000 Euro für Gas bezahlt.

Ein Vattenfall-Brief an einen Kunden in Berlin für den Tarif „Natur12 Gas“.
Ein Vattenfall-Brief an einen Kunden in Berlin für den Tarif „Natur12 Gas“.

Die Preiserhöhung wird im Schreiben weiter damit erklärt, dass die Preise am Gasmarkt „drastisch gestiegen und weiterhin sehr hoch“ seien. Die Formulierung lässt die Kunden allerdings misstrauisch zurück. Die Preise an der Gasbörse waren zwar im letzten Jahr sehr hoch, aktuell liegen sie aber mit rund 46 Euro pro Megawattstunde auf dem Niveau vor dem Ukraine-Krieg. Auch die Berichte der Bundesnetzagentur bestätigen den sinkenden Gaspreis.

Mit der Gaspreisbremse wird der Verbrauchspreis in diesem Fall zwar für 80 Prozent des Verbrauchs auf 12 Cent/kWh gedeckelt, also wären die Zusatzkosten für den Kunden vorerst nicht so hoch. Doch das bedeutet zugleich, dass der Staat wegen des neuen Preises eine größere Differenz übernehmen muss. Vattenfall hätte einen Mehrgewinn von ca. 1400 Euro „einfach nur so“, beklagt der Neuköllner.

Die ungleiche Behandlung seiner Kunden streitet Vattenfall nicht ab. „Diese Preiserhöhung betrifft jedoch mit ca. 20.000 Vertragsinhabern nur eine kleine Anzahl von Kunden und nicht alle Gas-Bestandskunden“, antwortet der Vattenfall-Sprecher Christian Jekat auf Anfrage der Berliner Zeitung. Die Preise für Bestandskunden werden rollierend in Tranchen angepasst, und zwar abhängig von der Vertragslaufzeit. Für einige Kunden sei noch zu einem sehr hohen Beschaffungspreis eingedeckt worden, so der Sprecher.

Mit anderen Worten: Pech gehabt! Deswegen biete Vattenfall seinen Kunden einen Tarifcheck an, betont Christian Jekat. Nach Möglichkeit könnten die Kunden in einen günstigen Neukundentarif wechseln. Der Vattenfall-Sprecher weist die Missbrauchsvorwürfe jedoch zurück: „Dass wir die Preisbremsen ganz sicher nicht missbrauchen, zeigt sich auch beim Strom. Die Grundversorgung in Berlin und Hamburg ist eine der günstigsten in ganz Deutschland und liegt bei 41 Cent, während unsere kommunalen Wettbewerber bis zu 40 Prozent mehr verlangen“, so Christian Jekat.

Gasag-Kundin aus Pankow hat statt 235 plötzlich 1341 Euro Abschlag

Der Berliner Gaslieferant Gasag hat zuvor zwar bestätigt, dass die Abschläge in der Grundversorgung trotz der letzten Preiserhöhung zum 1. Januar nicht steigen werden, weil eben die Gaspreisbremse in Kraft tritt. Doch in anderen Tarifen passiert etwas Unerklärbares.

Im Tarif Gasag Erdgas Fix mit einem auf Basis des Jahres 2021 prognostizierten Jahresverbrauch von 32.317 kWh muss eine Kundin nun „dank“ der Gaspreisbremse im März 265 und im April 806 Euro als Abschlag überweisen. Wie es weitergeht, wird im Schreiben nicht erklärt. Ohne Gaspreisbremse hat die Gasag ihr einen Abschlag von 1341 Euro monatlich berechnet: das Sechsfache von dem, was sie zuvor überwiesen hat, oder 235 Euro monatlich. 

Ein Gasag-Schreiben an eine Kundin in Berlin-Pankow mit dem Tarif „Erdgas Fix“.
Ein Gasag-Schreiben an eine Kundin in Berlin-Pankow mit dem Tarif „Erdgas Fix“.

Wird hier wieder der Staat abgezockt? Wie ist das überhaupt möglich? Der Kundenservice der Gasag ist überlastet, aber auch eine Nachfrage bei der Gasag ergibt nichts Konkretes. In der Grundversorgung lägen die jährlichen Kosten in diesem Fall nur bei 2875 Euro, erklärt eine Gasag-Sprecherin, oder bei 4105 Euro ohne Gaspreisbremse. 2875 Euro geteilt auf elf Monate (so ist die Gasag-Praxis bei Abschlägen) ergeben einen Abschlag von 261, aber keineswegs 806 Euro. Warum aber bei den anderen Tarifen solche Ungerechtigkeiten entstehen, kann die Sprecherin nicht erklären: Man müsse sich jeden Fall individuell anschauen, und das könne nur der Kundenservice tun.

Ob man die neuen Abschläge, vor allem wenn sie plötzlich so hoch sind, tatsächlich zahlen soll oder darf man auf die Endabrechnung warten? „Eine Senkung des Abschlages sollte 80 Prozent des Ausgangswertes nicht unterschreiten“, erklärt die Sprecherin. Eine andere Lösung liest sich zwischen den Zeilen: Den alten Vertrag kündigen und in die Grundversorgung gehen.

Eine Eon-Kundin aus Havelland darf plötzlich statt 241 nur 13 Euro überweisen

Es gibt aber auch andere Fälle. Eine Kundin aus Havelland in Brandenburg wurde in einem Überraschungsbrief von ihrem Gasanbieter Eon informiert, dass sie dank der Gaspreisbremse nun monatlich nicht mehr 240,83, sondern nur noch 13,17 Euro überweisen darf. Und das in einem ziemlich großen Haus mit einem enormen Jahresverbrauch von 46.000 kWh! Ihr Tarif heißt „Eon Optimal Erdgas 2019“.

Ein Eon-Schreiben an eine Kundin in Havelland mit dem Tarif „Eon Optimal Erdgas 2019“.
Ein Eon-Schreiben an eine Kundin in Havelland mit dem Tarif „Eon Optimal Erdgas 2019“.

„Es ist schon ein krasser Unterschied, wenn man knapp 227 Euro monatlich im Portemonnaie hat“, freut sich die Kundin. Ist es wirklich kein Berechnungsfehler?

Um auf den Vorfall, der bestimmt kein Einzelfall ist, einzugehen, will die Pressestelle plötzlich persönliche Daten unserer Gesprächspartnerin, unter anderem die Kundennummer und die Anschrift. Die Preisgabe dieser Daten würde aber die Publikation hier erschweren. Deswegen bleibt uns nur, uns für diese glückliche Kundin zu freuen.

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