Gurke für 3,29 Euro? Fünf unbequeme Fragen zur Inflation 2023

Die Strom- und Gaspreisbremse ist in Kraft getreten. Nun brauchen wir endlich eine Preisbremse für Grundnahrungsmittel, fordert unser Kolumnist.

Auch im Supermarkt wurde in den vergangenen Monaten vieles teurer. Bei Obst und Gemüse fiel der Preisanstieg jedoch deutlich moderater aus als bei anderen Produkten.
Auch im Supermarkt wurde in den vergangenen Monaten vieles teurer. Bei Obst und Gemüse fiel der Preisanstieg jedoch deutlich moderater aus als bei anderen Produkten.Sebastian Kahnert/dpa

Frechheit! Kaum was drin im Einkaufswagen, trotzdem muss man an der Kasse ein halbes Vermögen hinblättern. Der Aufreger der Woche: das Stück Gurke für 3,29 Euro – und nicht mal bio! So dokumentiert von einer TikTok-Userin beim Edeka in Hamburg, ihr Video ging viral, es hagelte Tausende empörte Kommentare, darunter Aufrufe zum Gurken-Boykott. Kein Wunder bei 3,29 Euro für eine Stange Wasser in grüner Schale.

Klar, die teuerste Gurke der Welt ist ein Extrembeispiel. Zum Aufreger der Woche wurde sie aber, weil sie unser aller Einkaufsfrust repräsentiert. Und gefrustet sind wir zu Recht: ein Liter Discounter-Milch kostet 1,05 Euro statt 80 Cent wie vor einem Jahr; die Spaghetti-Packung 99 statt 59 Cent; selbst die Barista-Hafermilch kostet 2,29 statt 1,99 Euro. Die neueste Inflationsrate des Statistischen Bundesamtes von nur 6,9 Prozent für das Jahr 2022 scheint auf den ersten Blick wie aus der Realität gefallen zu sein. 

Die Liste ließe sich fortsetzen. Manchmal bleibt der Preis auch gleich, aber der Inhalt wird kleiner. So beim Rama-Streichfett, der „Mogelpackung des Jahres“: aus 500 wurden 400 Gramm, der Preis blieb gleich, macht 25 Prozent versteckte Preiserhöhung. Frechheit!

Immerhin: den Inflationsmessern vom Statistikamt entgehen solche plumpen Mogeleien nicht. Am Mittwoch kamen die neuen Zahlen für die Inflation im Februar. Nahrungsmittel sind 21,8 Prozent teuer als vor einem Jahr – und damit jetzt der teuerste Kostenblock der Inflationsrate, Energie liegt mittlerweile bei 19,1 Prozent.

Was macht die Politik dagegen – und wann hört die Preissteigerung bei Lebensmitteln auf? Die Bundesregierung schuldet uns Antworten auf viele dringende Fragen.

Warum sind Lebensmittel so teuer?

Der russische Angriff auf die Ukraine und die Sanktionen der EU als Reaktion darauf sind ohne Zweifel ein Auslöser der Inflation. Der Krieg hat nämlich Energie teuer gemacht und Lebensmittel brauchen ziemlich viel davon. Sie müssen schließlich geerntet, transportiert, erhitzt, gekühlt, verpackt und im Supermarkt schließlich ansprechend beleuchtet werden. Obendrein sind Rohstoffe wie Weizen, Mais und Raps knapp und teuer geworden. Zum einen wegen des Krieges, zum anderen aber auch wegen Spekulation an Finanzmärkten oder ungünstigem Wetter.

Verdient der Staat mit an den hohen Preisen?

Es ist bitter, aber wahr: Beim Finanzminister klingeln dank der hohen Preise die Kassen. Je nachdem, was in den Einkaufswagen kommt, zahlt man sieben oder 19 Prozent Mehrwertsteuer. Auf Milch, Gurken und Nudeln sieben Prozent, auf Hafermilch 19. Das Problem für uns Verbraucher: Je höher der Preis, desto größer die Steuereinnahme für den Staat. Sieben Prozent auf eine 3-Euro-Gurke sind eben mehr als sieben Prozent auf eine 50-Cent-Gurke. 34 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr hat der Staat 2022 eingenommen, auch wegen der teuren Lebensmittel.

Was macht die Ampel gegen hohe Preise im Supermarkt?

Für Gas und Strom gibt es Preisbremsen, für Sprit gab es den Tankrabatt, und für Lebensmittel? Gibt es nichts. Zumindest keine Bremsen, Rabatte oder direkten Steuersenkungen. Stattdessen gibt es immerhin allgemeine Entlastungen und Hilfen, zum Beispiel die Energiepreispauschale oder die Senkung der Einkommensteuer durch das Inflationsausgleichsgesetz. Dadurch bleibt etwas mehr Geld, um den Einkauf zu bezahlen. Aber das Geld ist eben nicht nur für den Einkauf da, sondern geht auch für alle anderen Preiserhöhungen drauf, im Kino, für Klamotten oder Möbel. Allerdings: Weil die Gas- und Strompreisbremse auch für Supermärkte gelten, dämpfen sie den Preisdruck ein Stück weit.

Nächster Schritt muss sein: Eine Preisbremse für Grundnahrung!

Die Frage stellt sich: Wenn die Politik den teuren Strom- und Gaspreis bremst, warum dann nicht auch bei Lebensmitteln? Gerade jetzt, da sie Inflationstreiber Nummer eins geworden sind! Kopieren lässt sich das Konzept der Gaspreisbremse gleichwohl nicht. Das hat einen praktischen Grund: Gas ist eben einfach Gas und hat einen einheitlichen Preis; Lebensmittel aber nicht, davon gibt es nämlich Abertausende in den Supermarktregalen. Man bräuchte also Abertausende Preisbremsen, das funktioniert natürlich nicht.

Aber machen könnte der Staat schon was, andere Länder machen es vor – zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer. Spanien hat die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel gestrichen, Polen ebenso. Seit 2022 ist das laut EU-Recht möglich. Brot, Mehl, Fleisch, Milch, Käse, Eier, Obst und Gemüse: All das würde per Federstrich günstiger, weil sieben Prozent Steuer wegfielen – Hafermilch allerdings nicht, die zählt in unserem chaotischen Mehrwertsteuersystem nicht zu den Grundnahrungsmitteln.

Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) hat das sogar schon einmal vorgeschlagen, allerdings nur für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Mit Verlaub, Herr Minister: Bei fast 22 Prozent Preissteigerungen sollten grüne Erziehungsmaßnahmen hintenanstehen und alle Grundnahrungsmittel günstiger werden, nicht nur Birnen, Brokkoli und Kichererbsen.

Wann wird der Einkauf wieder günstiger?

Gute Nachricht: Auch wenn die Regierung nicht handelt, dürfte der Wocheneinkauf bald wieder günstiger werden. An der Börse sind Strom und Gas schon wieder günstiger als vor dem Krieg. Bis die günstigeren Preise bei den Versorgern, den Landwirten und den Supermärkten ankommen, dauert es noch etwas. Die haben schließlich alle miteinander Verträge mit längeren Laufzeiten.

In den nächsten Monaten sollen die Preise also langsam fallen. Ein Hoffnungsschimmer: Discounter-Butter kostet dieser Tage schon nur noch 1,60 Euro pro Paket, im Sommer waren es noch bis zu 2,50 Euro. Trotzdem: Eine Steuer auf Grundnahrungsmittel braucht keiner, denn Essen müssen schließlich alle.

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