Inflation: Wo bleibt der Aufschrei?

Was tun gegen Inflation? Zinserhöhungen sind das einzige Rezept der Zentralbanken. Unser Autor meint: Es wäre sinnvoller, das Kartellrecht zu schärfen und selektive Preisdeckel einzuführen.

Ein verkleideter Darsteller in Form einer Ein-Euro-Münze.
Ein verkleideter Darsteller in Form einer Ein-Euro-Münze.dpa/Frank Rumpenhorst

Deutschland steht unter Preisschock bei Sprit, Energie und Lebensmitteln. Die Story im Wirtschaftsteil vieler Zeitungen ist einfach: Wenn zu viel Geld „gedruckt“ wird, entsteht Inflation. Demnach „jagt“ zu viel Geld zu wenig Waren. Den Unternehmen wird signalisiert, dass es mehr Nachfrage auf dem Markt gibt. Sie erhöhen die Preise. Aber stimmt diese Geschichte?

Erstens drucken Zentralbanken nicht einfach Geld. Nur ein geringer Teil unseres Geldes sind Scheine und Münzen. Das meiste Geld sind Zahlen auf Computern, die per Knopfdruck von Banken geschaffen werden. Wenn wir ein Haus kaufen und die Bank uns einen Kredit einräumt, entsteht Geld. Die Europäische Zentralbank (EZB) kann über den Zins, zu dem sich Banken bei ihr Geld leihen, Kredite verteuern. Es wird dann weniger auf Pump gekauft oder investiert. Die Geldmenge wird daher nicht unmittelbar von Zentralbanken kontrolliert. Wenn Unternehmen positive Zukunftserwartungen haben, können sie selbst bei hohen Zinsen Kredite nachfragen. Umgekehrt können Unternehmen bei schlechten Erwartungen trotz niedriger Zinsen nicht investieren. Dann kann nur noch der Staat Geld ausgeben, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Der Aufschrei blieb aus

Zweitens: Es kommt auch darauf an, wohin Geld fließt. Frisches Geld kann auch zusätzliche Produktion finanzieren. Dann jagt nicht mehr Geld zu wenig Waren, sondern mehr Geld jagt mehr Windräder oder Iphones. Dann muss es auch nicht zur Inflation kommen. Oder das Geld fließt nicht in die Produktion, sondern auf den Finanzmarkt. Wenn etwa die Vermögenskonzentration zunimmt oder die Rentensysteme privatisiert werden, fließt mehr Geld auf den Finanzmarkt.

Ein Milliardär wird sich nicht öfters die Haare schneiden lassen, sondern lieber Immobilien, Kunstwerke oder Fußball-Clubs kaufen. Solche Vermögensgüter lassen sich aber nicht wie in der Industrie am Fließband produzieren. Das Angebot ist knapp. Dies kann zur Vermögenspreisinflation führen. Aktienkurse, Krypto-Token oder Häuserpreise gingen viele Jahre durch die Decke. Letzteres führte auch zu steigenden Mieten und sinkenden Reallöhnen, aber die allgemeine Teuerung war moderat. Diese Inflation machte einige Leute unfassbar reich, der Aufschrei blieb aus.

Die Geldmenge kann wachsen und es kommt dennoch nicht zur Inflation

Drittens: Zentralbanken haben nach der Finanzkrise auch Anleihen von Staaten und Unternehmen gekauft. Wenn sie Banken solche Anleihen abkaufen, erhöhen sich Guthaben der Banken auf ihren Konten bei der EZB. Dieses Geld verleihen Banken aber nicht und heizen damit womöglich die Inflation an. Dieses Geld dient der Abwicklung von Zahlungen zwischen Banken auf ihren Konten bei der EZB. Die Kurse von Staatsanleihen werden durch Anleihekäufe gestützt. Dies senkt die Renditen auf Staatsanleihen. Denn Staaten bieten Investoren für einen Kredit einen festen Zins.

Wenn diese den gleichen Betrag für eine Anleihe bekommen, für die sie zukünftig aber mehr Geld auf den Tisch legen müssen, senkt dies die effektive Verzinsung. Gut für Finanzminister – denn Kredite für den Staat werden billiger. Die Ausgaben des Staates sind immer auch die Einnahmen von Unternehmen und Haushalten. Wenn aber zu wenig in unser Schienennetz, die Energieversorgung oder den öffentlichen Wohnungsbau investiert wird, oder wie nach der Eurokrise in Südeuropa Staatsausgaben gar gekürzt werden, wird auch der private Sektor den Gürtel enger schnallen. Dann kann die Geldmenge ständig wachsen, aber es kommt trotzdem nicht zur Inflation.

Kann man Inflation mit Zinserhöhungen bekämpfen?

Woher kommt die Inflation dann? In den 1970er-Jahren kam es wegen zu starker Abhängigkeit vom billigen Öl des Nahen Ostens zum Öl-Preisschock. Wenn Gewerkschaften darauf mit hohen Lohnforderungen reagieren, um die Kaufkraft zu schützen, werden Unternehmen bei hoher Marktmacht höhere Löhne auf die Preise überwälzen. Über viele Jahre hinkten die Löhne in Deutschland aber der Zunahme der Produktivität hinterher und die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften wurde durch Arbeitsmarktreformen wie die Agenda 2010 unter Kanzler Schröder geschwächt. Eine Lohn-Preis-Spirale ist nicht in Sicht.

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BLZ/Paulus Ponizak
Zum Autor
Fabio De Masi war Mitglied des Deutschen Bundestages sowie des Europäischen Parlaments und machte sich dort bei der Aufklärung von Finanzskandalen – etwa um den Zahlungsdienstleister Wirecard einen Namen. Er ist Kolumnist bei der Berliner Zeitung.

Die aktuelle Inflation ist keine Lohn- oder Nachfrageinflation, sondern eine Profit- bzw. Angebotsinflation: Sie hat mit Problemen in den Wertschöpfungs- und Lieferketten durch den Corona-Shutdown sowie Engpässen auf Energiemärkten durch den Ukraine-Krieg zu tun. Zusätzlich sahnen etwa Mineralöl-Konzerne auf besonders vermachteten Energiemärkten mit Extra-Profiten ab. Es lässt sich angesichts der russischen Rekordeinnahmen durch gestiegene Energiepreise nicht nur bezweifeln, ob etwa Gas- oder Öl-Boykotte besonders klug sind, weil sie uns selbst erheblich schaden. Es ist auch nicht zu erwarten, dass man eine Inflation, die auf zu wenige Investitionen in unsere Energieinfrastruktur zurückgeht, durch Zinserhöhungen bekämpft.

Operation gelungen, Patient tot

Denn was passiert, wenn Zentralbanken die Zinsen erhöhen? Wenn die Zinsen sehr stark erhöht werden, wird sicher so manche Blase – etwa auf dem Immobilienmarkt – platzen. Aber auch Unternehmen werden weniger investieren. Es kommt zur Rezession und zu Entlassungen. Operation gelungen, Patient tot. Dies ist wie einen Bankräuber festzusetzen, indem man ein ganzes Land bombardiert.

Es wäre sinnvoller, das Kartellrecht zu schärfen und selektive Preisdeckel einzuführen. Frankreich praktiziert dies bereits beim Gas, und die G7 haben sich nun auf ein Einkaufskartell geeinigt, um den Ölpreis zu drücken. Zusätzlich sollten Übergewinne von Mineralölkonzernen durch eine Übergewinnsteuer abgeschöpft werden, die ich bereits 2021 im Bundestag angesichts von Corona-Profiteuren wie Amazon und Co. eingebracht habe. Zinserhöhungen sind offensichtlich das einzige Rezept, das Zentralbanken einfällt, wenn sich Regierungen – wie die Ampelkoalition – nicht trauen, die Macht der Kriegsgewinner zu brechen.

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