Draghi tritt ab: „Auch ein Zentralbanker hat ein Herz“

Italien geht in Neuwahlen. Die besten Chancen auf den Sieg haben die Neofaschisten.

Mario Draghi tritt ab.
Mario Draghi tritt ab.AP/Gregorio Borgia

Der von einer schweren Regierungskrise geschwächte italienische Ministerpräsident Mario Draghi tritt nach knapp eineinhalb Jahren im Amt zurück. Draghi habe „seinen Rücktritt und den seiner Regierung“ eingereicht, sagte ein Sprecher des Präsidialamts am Donnerstag in Rom. Staatspräsident Sergio Mattarella habe den Rücktritt „zur Kenntnis genommen“, Draghis Regierung bleibe „geschäftsführend“ im Amt. Mattarella wird nun das Parlament auflösen und dürfte laut italienischen Medienberichten Neuwahlen für September oder Oktober ausrufen. Draghi zeigte sich zum Abschied gerührt vom Applaus, den ihm die Abgeordneten spendeten, und sagte: „Manchmal benutzt auch ein Zentralbanker sein Herz.“

Der Rücktritt Draghis löste Unruhe auf den Finanzmärkten aus. Der Spread – die Differenz zwischen den zehnjährigen Staatsanleihen Italiens und Deutschlands (Bunds) – war bereits am Mittwochabend in Erwartung eines Rücktritts Draghis auf 215 Basispunkte angestiegen. Ein hoher Spread bedeutet, dass der italienische Staat Gläubigern deutlich höhere Zinsen auf neue Staatsanleihen bezahlen muss, was den Haushalt des hoch verschuldeten Landes erheblich belastet. Die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe stieg am Donnerstagmorgen um 22 Basispunkte auf 3,69 Prozent, was den Aufschlag gegenüber den Bunds auf 242 Basispunkte ausweitete. Die Spanne zwischen beiden ist ein Indikator für das Risiko, dass Italien aufgrund seiner enormen Schuldenlast im Euroraum unter Druck geraten könnte. Renditen für Papiere mit zweijähriger Laufzeit, die normalerweise nur auf erhebliche politische Spannungen reagieren, stiegen ebenfalls um 17 Basispunkte auf 1,58 Prozent und lagen damit fast einen vollen Prozentpunkt über ihrem deutschen Pendant.

Die Zahlen sind bemerkenswert, weil italienische Staatsanleihen noch bis vor Kurzem negative Renditen erwirtschafteten – dank des Ankaufprogramms der Europäischen Zentralbank (EZB) unter ihrem damaligen Präsidenten Mario Draghi.

Der Börsenindex in Mailand gab am Donnerstag um zwei Prozentpunkte nach.

Am Mittwochvormittag hatte Draghi vor dem Senat ein letztes Mal versucht, das Vertrauen für seine Regierung zu erhalten. Er hatte die Parlamentarier um einen „neuen, ehrlichen und konkreten Vertrauenspakt“ zu seinen Bedingungen gebeten.

Wenige Stunden später aber versagten Draghi sowohl die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) als auch die konservative Forza Italia des langjährigen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und die rechte Lega von Matteo Salvini die Teilnahme an einer erneuten Vertrauensabstimmung im Senat – und leiteten so das Aus der Regierung ein.

Bei Neuwahlen könnte die neofaschistische Partei Fratelli d’Italia unter Giorgia Meloni als Sieger hervorgehen. Meloni sagte nach dem Draghi-Rücktritt, sie sei bereit, die Führung des Landes zu übernehmen, sie wisse, wie man regiere. „Ich habe meine eigenen Vorstellungen davon, wie diese Nation regiert werden sollte, was getan werden sollte, wie ihre Industriestrategie aussehen sollte“, sagte Meloni laut BBC. Die Fratelli sind gesellschaftspolitisch konservativ, jedoch explizit gegen Russland eingestellt. Die anderen rechten Parteien – die Lega und Berlusconis Forza Italia – hatten in der Vergangenheit teilweise enge persönliche Kontakte mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Fünf Sterne haben sich im Lauf der Regierungsbeteiligung zerstritten und kaum Chancen, bei den Wahlen Erfolge einzufahren. Auch Berlusconis Partei wird von Personalquerelen erschüttert.

Draghi hatte mit der EU-Kommission ein umfangreiches Reformpaket vereinbart, das eigentlich bis zum routinemäßigen Wahltermin im kommenden Frühjahr hätte umgesetzt werden sollen. Das Paket dürfte nun ausgesetzt werden. Ob auch die Zahlungen der EU aus dem Covid-Rettungsfonds ausbleiben, ist unklar: Italien hat bereits erhebliche Beträge aus dem 750-Milliarden-Euro-Paket bekommen, das meiste davon als nicht rückzahlbare Zuwendungen. Bereits etwa 25 Milliarden Euro aus dem insgesamt etwa 250 Milliarden Euro schweren Rettungsprogramm für Italien wurden vorab ausgezahlt.