Hunger droht in Kaliningrad: Arbeiter in BMW-Fabrik bauen jetzt Kartoffeln an
Im ehemaligen Königsberg wird die Produktion von Autos auf Kartoffeln umgestellt. Die Mitarbeiter bekommen dafür Ackerflächen zur Verfügung.

Mitarbeiter eines Montagewerks der Avtotor-Holding im russischen Kaliningrad haben von nun an die Möglichkeit, Kartoffeln anzubauen, statt Autos zu produzieren. In dem Werk wurden bis vor der russischen Invasion in der Ukraine unter anderem deutsche Autos der Marke BMW montiert.
Aufgrund „der schwierigen wirtschaftlichen Lage“ werden den Mitarbeitern ab sofort Ackerflächen zur Verfügung gestellt, wie die Holding auf ihrer Webseite schreibt. Insgesamt 300 Hektar Land umfasst das Areal, wobei pro Mitarbeiter 1000 Quadratmeter zugesichert wurden.
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— AUTOMOBIL PRODUKTION (@apronline) January 17, 2019
Das beschlossen die Unternehmensleitung und Aktionäre von Avtotor. Das Automobilwerk nannte den Schritt eine „zusätzliche soziale Unterstützung“ für die Belegschaft. Durch die politische Lage, in der sich viele Unternehmen in Russland derzeit befinden, ist das Montagewerk in ein „ökonomisches Loch“ gefallen, so die Automobilholding.
Mitarbeiter im bezahlten Urlaub bei der Feldarbeit
Seit dem Krieg in der Ukraine wurde ein erheblicher Teil der 3500 Mitarbeiter im März 2022 in den bezahlten Urlaub geschickt. Ein Mittel, das auch in vielen anderen Unternehmen in Russland seit dem Krieg angewandt wird. Wie das russische Wirtschaftsmedium RBK mitteilte, gab es schon im Vorlauf der Aktion Listen für freie Ackerflächen, auf denen sich Werksangehörige eintragen konnten.
Die Holding selbst berichtet, dass auch eine betriebsinterne Umfrage stattgefunden haben soll, in der die Mehrheit für eine solche Entscheidung stimmte. Erste Grundstücke sollen im Losverfahren bereits vergeben worden sein. Bis Mitte Mai sollen alle Flächen verlost sein, so das Montagewerk auf seiner Seite.
Wladimir Schtscherbakow, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident der Sowjetunion und Haupteigentümer der Unternehmensgruppe, rechtfertigte die unorthodoxe Maßnahme mit der verschlechterten wirtschaftlichen Situation in der Region Kaliningrad. Dabei verwies er in einem Statement auf die dramatischen wirtschaftlichen Umstände der 1990er-Jahre in Russland. Damit erinnerte Schtscherbakow an die für viele Russen traumatischen Erlebnisse der Transformationsjahre.
Auch die aktuelle Krise soll laut dem Vorsitzenden von Avtotor wieder mit diesem Schritt abgefedert werden. Schtscherbakow gehört nach Einschätzungen von Forbes Russia zu den 200 reichsten Menschen Russlands (Platz 171 auf der Forbes-Liste).
Das Trauma der 90er ist in Russland sehr lebendig
Der Entschluss zeigt, wie gravierend die wirtschaftliche und soziale Lage in Russland sich im Zuge der euro-atlantischen Sanktionspolitik verschlechtert. Besonders die russische Exklave Kaliningrad, umgeben von Polen, Litauen und der Ostsee, befindet sich in einer fragilen Situation. Exporte in die Exklave haben in den letzten Monaten rapide abgenommen.
Kaliningrad, auch „russische Insel in der EU“ genannt, war berühmt für seine geografisch bedingt westliche Anbindung in Osteuropa. Durch die exponierte Lage der russischen Exklave, leidet insbesondere die Industrie rund um die Ostseestadt. Das Werk war 1994 das erste in Russland, das mit der Montage von Automarken aus dem Westen begann. Neben BMW wurden unter anderem auch Marken wie Hyundai und Kia dort gefertigt. Nach Angaben von Avtotor überstieg das Gesamtproduktionsvolumen bisher 2,5 Millionen Fahrzeuge.