„Kaum jemand stellt diese eine Frage“: Gasmarktexperte über die Gasumlage
Wird aus der Gasumlage ein unkalkulierbarer Geldfresser? Auf einer Veranstaltung des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) wurden unbequeme Wahrheiten über die Gaspreise bekannt.

Leichte Nervosität schwirrt in der Luft des Goldberger Saals des VBKI in Berlin. Die Top-Entscheider der Berliner Energiebranche haben sich versammelt, um die akuteste aller Fragen zu diskutieren: Wie kommen wir über den Winter?
Es ist nicht nur die Angst, dass Deutschland im Winter das Gas ausgeht, wenn Kremlchef Wladimir Putin den Gashahn komplett zudreht. Deutschland sei ein reiches Land und könne teures LNG kaufen, sagt der Vorstandsvorsitzende des Gasversorgers Gasag, Georg Friedrichs. Vertreter der Wirtschaft, Berliner Haushalte – alle Gaskunden – fragen sich jedoch vor allem, ob sie sich die Wucherpreise überhaupt noch leisten können.
Denn es wird sehr teuer. Noch am 10. Juni kostete eine Megawattstunde Erdgas an der Börse in den Niederlanden etwa 83 Euro. Momentan sind es schon 258 Euro pro Megawattstunde. Und das Flüssiggas (LNG), ob aus Norwegen oder aus den USA, hat eine eigene Entwicklung jenseits der Börse: Wer tiefer in die Tasche greifen kann, der kriegt es geliefert.
Dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) jetzt angesichts der relativ gut gefüllten Speicher (83 Prozent) in Deutschland eine Erholung der Gasmärkte und sinkende Gaspreise erwartet, scheint etwas realitätsfern. Wenigstens kann er noch Selbstkritik: Niemand habe gewusst, sagte er kürzlich, dass dieser Gasmarkt so verflochten und so undurchsichtig sei.
„Mein Eindruck von diesen verrückten Gasmärkten ist …“
Die Frage der Berliner Zeitung an die Podiumsteilnehmer, also: Werden die Gaspreise in Deutschland in der Tat sinken? Der Geschäftsführer der deutschen Energieagentur Dena, Andreas Kuhlmann, sagt, er könne keine Einschätzung dazu geben. „Wenn die Speicher gefüllt sind und das Gas dort nicht mehr hingezogen wird, dann ist es zwar ein Preissenkungssignal. Aber mein Eindruck von diesen verrückten Gasmärkten ist, dass morgen schon die nächste Entscheidung kommt, die konterkariert. Es ist sehr schwierig, das zu prognostizieren. Aber es wird schon etwas besser, denn es kann nicht immer nur teurer werden.“
Die Chefin für Transformationsprozesse in der Energie bei Vattenfall, Heike Tauber, schließt eine Auswirkung des sinkenden Gasverbrauchs in Deutschland, der laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) im Juni 2022 im Vergleich zum Vorjahr bereits um 23 Prozent gesunken ist, auf die Preise nicht aus. Aber es komme ja noch die Wintersaison, und der Gasverbrauch werde steigen. Deswegen müsse man weiterhin Energie sparen, wo es nur gehe, so Tauber.
Auch der Geschäftsführer und Mitgründer des LNG-Infrastrukturdienstleisters Liquind, Gabor Beyer, ist überzeugt: „Niemand kann seriös sagen, wie sich der Gaspreis weiter entwickelt.“ Es seien zu viele Faktoren. Zum LNG könne er aber sagen: Im August 2021 kostete ein Kilogramm LNG 1,30 Euro, im August dieses Jahres 3,30 Euro, und für September werden schon 5,20 Euro verlangt.
„Die Gasumlage liegt heute schon bei 100 – nicht bei 34 Milliarden Euro“
Es wisse auch keiner, sagt Beyer weiter, wie die deutsche Energiewirtschaft gerade unter dem Liquiditätsengpass leide. Das heißt: Für die Absicherung jedes Deals im Import muss aufgrund der gestiegenen Preise mehr Geld hinterlegt werden als früher. Und dieses Geld fehle den Gasimporteuren.
Was ist aber so spannend an der Gasumlage, mit der „Rettungsminister“ Habeck bedürftige und nicht bedürftige Unternehmen ab 1. Oktober unterstützen will? Die geplanten Einnahmen in Höhe von 34 Milliarden, basierend auf 2,4 Cent pro Kilowattstunde, seien Ende Juli, Anfang August berechnet worden, und zwar auf der Basis: Wie wären die Einkaufspreise gewesen, wenn im August geliefert worden wäre?
„Stand heute ist aber die Kassenlage für das vierte Quartal. Und man muss fairerweise sagen, dass diese Gasumlage alle drei Monate neu berechnet wird auf Basis der tatsächlichen Börsenpreise relativ zu den erwarteten Einkaufspreisen. Stand heute beträgt die Gasumlage für das vierte Quartal also schon 100 Milliarden Euro, nicht 34 Milliarden. Also während wir uns noch darüber aufregen, ob die richtigen Unternehmen dieses Geld kriegen, heißt die eigentliche Frage: Wie viel Geld wird es eigentlich? Kaum jemand stellt diese Frage“, bemängelt der Gasmarktexperte. Dieses Geld werden die Verbraucher ausgeben müssen.