Israel und Araber sprechen miteinander: Plötzlich verändert sich die Welt

Im Nahen Osten gedeiht im Stillen eine Initiative zu Frieden und Verständigung. Sie zeigt, wie sehr sich die geopolitischen Koordinaten verschoben haben. Ein Kommentar.

Ein Passant geht an einem Gemälde des Künstlers Or Bar-El vorbei, das einen arabischen Mann und einen jüdischen Mann beim Kaffeetrinken zeigt.
Ein Passant geht an einem Gemälde des Künstlers Or Bar-El vorbei, das einen arabischen Mann und einen jüdischen Mann beim Kaffeetrinken zeigt.AFP

Vordergründig könnte man die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern als weitere Volte in einer niemals endenden Spirale der Gewalt sehen, gefolgt von sich rituell wiederholenden Schuldzuweisungen. Doch es ist heute nicht mehr ausreichend, geopolitische Entwicklungen aus der rein westlichen Sicht zu beurteilen, einer Sicht, der als Vision stets der Status quo als Idealzustand erscheint. Viele Länder und Nationen wollen Veränderungen – wirtschaftlich, machtpolitisch und territorial.

Dabei zeigt sich, dass autoritäre Regime Vorteile im aggressiven Auftreten haben. Eine Expansion nach außen korreliert fast immer mit mehr Repression nach innen. Liberale Demokratien haben es dagegen sehr schwer, weil sie auf das Prinzip des inneren Ausgleichs und des Abwägens bei Entscheidungsprozessen setzen. Sie sollten sich auch schwertun, Feindbilder zu implementieren. Als Rechtsstaaten sollen sie die prinzipiellen Normen – auch im Völkerrecht – achten und daher bei jeder Art der Gewaltanwendung zaudern. Wenn das Recht nur noch dazu dient, unrechtmäßige Aktionen zurechtzubiegen, ist es Willkür und mithin undemokratisch. Allerdings ist alles, was sich für den Krieg als nachteilig erweist, für den Frieden unerlässlich: Ohne inneren Ausgleich und Rechtsstaat kann Wohlstand nicht bewahrt werden.

Israel befindet sich diesbezüglich in einer äußerst schwierigen Lage. Das Land ist die einzige Demokratie im Nahen Osten und befindet sich dennoch latent im Krieg mit wechselnden Feinden. Eine Aussöhnung oder gar ein friedliches Zusammenleben mit den Palästinensern scheint kaum noch vorstellbar. Vor 20 Jahren, in einer kurzen Phase der wechselseitigen Besinnung, gab es das Motto „Land für Frieden“, als es fast zu einem historischen Durchbruch gekommen wäre. Heute ist, wie kürzlich der Guardian festgestellt hat, sogar der Glaube an die Zweistaatenlösung weitgehend verloren gegangen – und zwar auf allen Seiten.

Die Demokratie in Israel scheint ebenfalls unter Druck zu geraten, die Regierung von Benjamin Netanjahu stellt die Gewaltenteilung infrage, will die Justiz an die Kandare nehmen – eine verhängnisvolle Idee. Allerdings sind Hunderttausende auf die Straße gegangen, um gegen das Ansinnen zu protestieren. Dieser Massenprotest ist ein Zeichen, dass die Demokratie bei allen Defiziten in Israel immer noch vital ist. Kritischer zu sehen sind schleichende Prozesse wie die Übernahme der Medien durch Oligarchen, die rücksichtlose Ausbeutung des Landes durch Korruption, die zunehmende Überwachung oder die gnadenlose Diffamierung von Andersdenkenden, in diesem Fall der Linken. Hier ist Israel allerdings kein Sonderfall: Diese Tendenzen sehen wir in vielen Staaten.

Doch abseits der Fehlentwicklungen hat sich Israel in den vergangenen Jahren auf einen neuen Weg begeben – und zwar gemeinsam mit einigen seiner früheren Erzfeinde. So trafen sich kürzlich zum Negev-Forum in Abu Dhabi Delegationen aus sechs Staaten, die dem sogenannten Abraham-Abkommen angehören: die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Ägypten, Marokko, die USA und Israel.

Nach Aussage von Arye Shalicar, einem Regierungsmitarbeiter aus Jerusalem, geht es bei der Initiative nicht nur um den Austausch von Informationen oder eine militärische Zusammenarbeit. Auch in den Bereichen Landwirtschaft, Energie, Gesundheitswesen sowie in den Bereichen Bildung und friedliche Koexistenz soll zusammengearbeitet werden. Das übergeordnete Ziel sei „die Stabilisierung des Nahen Ostens und ein nachhaltiger Frieden“, so Shalicar.

Die Teilnehmer hoffen, dass neben Jordanien sogar Saudi-Arabien zu dem Kreis stoßen könnten. Dies wäre ein echter Durchbruch, nicht nur wegen der Rivalität der Saudis mit Israel. Erst kürzlich hatte Chinas Staatspräsident Xi Jinping Riad besucht, die Saudis tendieren eindeutig in Richtung einer multipolaren Welt mit Peking als einem von mehreren Zentren. China ist außerdem eng mit dem Iran verbunden. Russland wiederum ist über Syrien ein Player in der Region, dessen Rolle schon deshalb von allen anerkannt wird, weil Russland mit seiner militärischen Intervention den Syrien-Krieg beendet hat. Über Umwege kämen so die Großmächte aus Washington, Moskau und Peking miteinander ins Gespräch.

Sollte die neue Initiative tatsächlich das Wohlergehen aller Völker im Sinn haben und nicht nur eine Krieg-Allianz gegen den Iran schmieden, könnte von ihrem Geist der Verständigung auch ein Impuls für die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ausgehen. Dies würde der Region nach Jahrzehnten des Leidens endlich, endlich Frieden bringen.