Kommentar: Ohne Ceta bleibt Europa nur ein Global Playerle

Europa ist stets für Überraschungen gut. Hier geschehen immer wieder sensationelle Dinge. Neulich hat die Kanzlerin Afrika bereist. „Aus Afrika könnten noch Millionen Armutsflüchtlinge nach Europa kommen. Das will Kanzlerin Merkel verhindern und reist deshalb dorthin – doch bislang steht sie damit fast alleine in der EU“, titelte dazu eine führende deutsche Zeitung. Wahnsinn, die bundesdeutsche Politik hat einen neuen Kontinent entdeckt. Nach Jahrzehnten. Spanien, Italien, Großbritannien und Frankreich sind schon etwas länger da. Nutzt aber nix. Das Krisenbewusstsein bestimmt das Sein. Auch das mediale.

Europa kennt das. Man könnte es die Feinstaubproblematik nennen. Für bessere Luftqualität sind alle,  das muss europäisch geregelt werden. Bis die Verordnung in Berlin beim Umweltamt ankommt. Dann heißt es: Brüssel will die City lahmlegen. Es swingt wenig zwischen nationaler und europäischer Ebene.  Europa hat  (nicht nur in Berlin) ein Wahrnehmungsproblem. Und Europa hat (nicht nur in Brüssel) ein Rückkopplungsproblem. Das zeigt der Streit um den Freihandelspakt Ceta – und das zeigen ein paar unangenehmen Wahrheiten.

Nicht-Privilegierte suchen Schutz

Erstens zur Handelspolitik. Wandel durch Handel! Lange ist’s her, dass mit Warenströmen positive Hoffnungen auf  Veränderungen verbunden waren. Von Montanunion bis Binnenmarkt war der Warenverkehr in Europa gleichbedeutend mit einem Wohlstandsversprechen. Wenn dieses Motiv in globalisierten Zeiten versagt, wird es ernst. Es herrscht tiefe Verunsicherung.

Die globalisierte Welt tickt anders. Nicht nur wegen des Freihandels, auch durch die Digitalisierung. Die Verlierer der globalen Warenströme sitzen auch im Norden. Am unteren Ende der Werkbank, aber auch im Dienstleistungssektor. Die Bank beschäftigt IT-Techniker in Indien, die Fluglinie schaltet die Hotline nach Asien, und das Reisebüro ist eigentlich überflüssig, weil Reisportale das billigere Ticket anbieten.

Die Welt ist im Umbruch. Das trifft auch die EU. Binnenmarkt, freier Warenverkehr, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Generation Erasmus – das sind sperrige Worte. Im Kern aber bedeuten sie Freiheiten, die vor allem den Eliten zu nutzen scheinen. Die unten fürchten Veränderungen und suchen Schutz. Europa muss seine Schutzfunktion wieder entdecken.

Verteilungspolitik ist zurück

Die zweite Botschaft aus dem Ceta-Debakel lautet: Die klassische Sozialpolitik ist zurück in Europa, mitunter sogar als klassische Verteilungspolitik. Selbst die konservative britische Regierungschefin Theresa May hat das erkannt, sie spricht nun  von Wohlfahrtsstaaten, wenn auch in konservativ-paternalistischer Prägung. 

Europa braucht Verbündete

Dennoch bleibt – drittens: Europas Wohlstand beruht auf Handel. Und seine Lebensqualität auf Umwelt- und Arbeitsstandards. Wer diese in globalisierten Zeiten sichern will, braucht Verbündete. Kanadas Premier Justin Trudeau wäre einer. Das dringt aber nicht durch in Europa. Es ist wie mit Berlin und Afrika. Manche Dinge werden spät entdeckt.

Wer hat es verbockt?

Es gab – viertens – bei Ceta keine Rückkopplung zwischen nationalen Kammern und EU-Parlament. Die Frage ist nun: Wer hat es verbockt? Die EU-Kommission, lautet die billigste Antwort. Der ehemalige Handelskommissar Karel De Gucht hat  halt die außerparlamentarische Kritik zu lange ignoriert. Basta-Politik ist aber nicht mehr, die Finanzkrise ist auch eine Krise des Vertrauens in die Eliten. De Guchts Nachfolgerin Cecilia Malmström reagierte, sie war zu kräftigen Zugeständnissen bereit. Aus dem privaten Investorschiedsverfahren wurde ein staatlich verfasster Handelsgerichtshof. Ein Novum. Interessierte aber kaum mehr jemanden.

Der außerparlamentarische Raum hat sich früh geregt. Der parlamentarische schwieg lange, vor allem auf nationaler Ebene. Eigentlich sind Handelsverträge Sache des Europaparlaments. Das wurde in der Frage jedoch entmachtet. Nach heftiger Kritik von Globalisierungsgegnern, aber auch aus den Reihen der Regierungschefs legte die EU-Kommission Ceta schließlich doch den nationalen Parlamenten vor. Macht mit regionalen Vertretungen europaweit 42 Kammern. Das schafft Risiken. Und Chaos.

Demokratie ist kompliziert, ein Gemeinwesen nach außen nur so stark wie die  innere Verfasstheit es zulässt. Wer jetzt über Belgien und die Wallonie lästert, sollte berücksichtigen, dass Belgien Europa im Kleinen ist. Die letzte Erkenntnis lautet: Das Zentrum ist nur so stark, wie die Teile es erlauben. Schwaches Zentrum, schwache Durchschlagskraft. So bleibt aber für die Schutzmacht Europa im 21. Jahrhundert nur die Rolle als Global Playerle.