Im Sturzflug: Liz Truss übernimmt Schleudersitz

Die britischen Konservativen sind von Boris Johnson zersetzt worden. Jetzt muss Liz Truss ran und sich auf massive Unruhen in Großbritannien vorbereiten. 

05.09.2022, Großbritannien, London: Liz Truss (r), Außenministerin von Großbritannien, sitzt neben Rishi Sunak (l), ehemaliger Finanzminister von Großbritannien, im Queen Elizabeth II Centre. +
05.09.2022, Großbritannien, London: Liz Truss (r), Außenministerin von Großbritannien, sitzt neben Rishi Sunak (l), ehemaliger Finanzminister von Großbritannien, im Queen Elizabeth II Centre. +Pool PA/AP

Schon vor ihrem Wahlsieg als neue Vorsitzende der britischen Konservativen hatte Elizabeth (Liz) Truss einen Misstrauensantrag auf dem Tisch: Zwölf Tory-Abgeordnete kündigten laut dem Evening Standard an, alles unternehmen zu wollen, um Boris Johnson noch vor Weihnachten zurück an die Macht zu bringen. So richtig begeistert ist ohnehin niemand, dass die 47-jährige Ökonomin, die unter anderem in Oxford studiert hat, am Dienstag von Königin Elisabeth II. als neue Premierministerin vereidigt wird. Die EU hat Truss gründlich verprellt, als sie als Außenministerin im Juni die Verhandlungen über das Nordirland-Protokoll abbrach und erklärte, sie wolle das ganze Protokoll vom Tisch wischen. Man könne sich schwerlich gegenüber Russland als Vertreter einer rechtebasierten Ordnung profilieren und gleichzeitig den Rechtsbruch im eigenen Lager praktizieren, so ein EU-Beamter zur Financial Times. Dem russischen Außenminister Sergej Lawrow war Truss am Vorabend des russisches Angriffs auf die Ukraine mit ausgesuchter Unhöflichkeit begegnet – wobei ihr die Geschichte recht gibt: Sie hatte Russland vorgeworfen, einen Krieg gegen die Ukraine anzetteln zu wollen, und Lawrow, der das bestritt, mithin der Lüge überführt. Truss ist für eine harte Gangart gegen Russland. Allerdings sollen den Kampf andere ausfechten, aus ihrer Sicht gerne mit britischen Waffen und Söldnern, aber ohne den Einsatz britischer Truppen.

Ihre Soldaten dürfte Truss, die auch einmal für den Ölkonzern Shell gearbeitet hat, ohnehin eher im Inneren brauchen: Die Briten sind von der Explosion der Energie- und Stromkosten betroffen wie kaum ein anderes Land in Europa. Millionen Menschen aus der Mittelschicht droht in den kommenden Monaten die Obdachlosigkeit. Viele britische Familien sind überschuldet, weil sie während der Niedrigzinsphase Kredite für Wohnraum und die Bildung ihrer Kinder aufgenommen haben. Truss, die der liberalen Schule des österreichischen Ökonomen Friedrich August von Hayek anhängt, tritt ihr Amt in einer denkbar schwierigen Phase an. Großbritannien erwartet wegen der Inflation und der Abstiegssorgen von vielen Briten massive Proteste im Herbst. Für die Verhinderung einer Eskalation der Ereignisse auf der Straße mit staatlichen Hilfen für die Briten könnte es zu spät sein. Die Clique um Johnson hat nach Ansicht vieler das Land nach dem Brexit gegen die Wand gefahren. Nun soll beim Aufprall eben jemand anders am Steuer sitzen.

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