Korruption in der Ukraine: „Wir verändern uns wirklich“
Der Enthüllungsjournalist Jurij Nikolow sagt: Die Ukraine kämpft entschieden gegen Korruption und qualifiziert sich daher für Hilfe aus dem Westen.

Der ukrainische Journalist Jurij Nikolow ist Mitbegründer und Herausgeber der Website Nashi Groshi (Unser Geld). Die Seite hat sich auf Korruption spezialisiert. In dieser Woche hat Nikolow aufgedeckt, wie das ukrainische Verteidigungsministerium die Preise manipuliert. Wer dabei kassiert, ist unklar. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zahlreiche hochrangige Politiker und Beamte gefeuert. Nikolow reicht das aber nicht. Er hat den auch im Westen bekannten Verteidigungsminister Oleksij Resnikow ins Visier genommen: „Es besteht kein Zweifel, dass er genau wusste, was in seiner Abteilung vor sich ging. Es ist Sache der Strafverfolgungsbehörden, seine Handlungen im Rahmen einer offiziellen Untersuchung zu relativieren“, sagt Nikolow der Berliner Zeitung.
Resnikow sprach nach Bekanntwerden des Skandals von „technischen Fehlern“, die zu falschen Zahlen führten. So sagte er, die Lieferungen von Eiern seien irrtümlich in Kilogramm angegeben statt der Stückzahlen. Nikolow widerspricht: „Herr Resnikow versuchte es nur am Beispiel von Eiern zu erklären. Unterdessen erklärte er nicht den Preis von Kartoffeln mit 5,5 Euro pro Kilogramm, während sie im Laden 2 Euro kosten. Mit anderen Worten, er verlagerte den Fokus auf ein Produkt und einen ,technischen Fehler‘ und versuchte, die Aufmerksamkeit von den überhöhten Preisen anderer Produkte abzulenken.“ Resnikow sollte „ganz einfach die Übertragungs- und Abnahmezertifikate mit den tatsächlichen Preisen der Produkte versehen. Dann würde das Diskussionsthema verschwinden. Aber genau das tut er nicht. Er will zweifelsohne das Ministerium vor der Aufmerksamkeit der Ermittler schützen.“
Nikolow ist überzeugt, dass Resnikow von den überteuerten Verträgen gewusst habe. Über den Verbleib Resnikows im Amt müsse der Präsident entscheiden. Ob Resnikow die Affäre übersteht, ist noch unklar, ebenso wie die Frage, ob die Zahlen dem Journalisten von Insidern zugespielt wurden, die mit dem Verlauf des Kriegs unzufrieden sind und daher Resnikow loswerden wollen. Das Wichtigste sei in jedem Fall, dass der Diebstahl von öffentlichen Geldern in letzter Minute verhindert worden sei, sagt Nikolow. Aus den dubiosen Verträgen sei „kein einziger Cent gestohlen“ worden. Die Enthüllung habe bewirkt, dass die Verträge korrigiert worden seien, bevor die tatsächlichen Zahlungen geleistet wurden.
Seit Kriegsbeginn sind die Ausgaben des Militärs naturgemäß drastisch gestiegen. Vieles, was die Armee in den ersten Monaten brauchte, musste schnell beschafft werden, sagt Nikolow. Gerade auf der Ebene der unteren Beamten könnte es unsittliche Deals gegeben haben. Doch sei das „Gesamtniveau der Korruption nach der Invasion definitiv zurückgegangen. Nikolow sagt, weil es mehr Geld aus dem Westen gäbe, existiere nun auch eine bessere Kontrolle durch die Verbündeten. Diebstahl sei schwieriger geworden. Außerdem habe sich gezeigt, dass die Ukrainer besser seien als ihr Ruf. Das Ausmaß der Korruption sei zwar höher, als es in einem Land im Krieg sein sollte, aber weniger, als er erwartet hatte, sagt Nikolow: „Vor zehn Jahren gab es im Verteidigungsministerium viel mehr Korruption.“
„Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich wirklich verändert und seine Herangehensweise an die Kontrolle seiner Untergebenen geändert“, sagt Nikolow. Weiter sagt er über den Korruptionsskandal: „Die beiden Rücktritte im Verteidigungsministerium waren richtig. Die Leute, die für diesen Vertrag verantwortlich waren, wurden gefeuert. Es wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, das die Taten aller Beteiligten bewerten wird. Das ist das Richtige. Präsident Selenskyj dankte den Ermittlern persönlich und öffentlich für ihre Aufmerksamkeit bei der Beschaffung. Das ist toll. Das amerikanische Außenministerium dankte Selenskyj für die Korruptionsbekämpfung und kündigte umgehend die Bereitstellung neuer Waffen an – Abrams-Panzer. Das ist sehr cool. Das ist das Wichtigste in dieser Geschichte. Dies ist keine Geschichte über Korruption, sondern über den Kampf gegen Korruption.“
Die Beamten seien nun gewarnt, sich bestechen zu lassen. Doch nun sei „die Fortsetzung der Justizreform“ nötig, „die von der Justizmafia sabotiert wird“. Es sei auch notwendig, die Einnahmen und Ausgaben der Beamten „zumindest teilweise wieder zu veröffentlichen“. Die Veröffentlichung findet seit der Invasion nicht mehr statt. Die EU müsse Bedingungen für weitere Zahlungen stellen, denn „leider gibt es in der Ukraine viele Beamte, die echte Veränderungen sabotieren“. Die Regierung der USA übe bereits Druck auf die Regierung in Kiew aus, die Korruption zu bekämpfen.
Er werde weiter gegen die Korruption kämpfen, sagt Nikolow. Dies sei zwar mit einem Risiko verbunden, aber das Risiko sei nicht „signifikant“: „Die Leute haben meine Entscheidung, diese Geschichte zu veröffentlichen, mit überwältigender Mehrheit unterstützt. Wir sind stärker daraus hervorgegangen, als wir vorher waren.“
Ist die Ukraine besser als Russland, und hat sich so für weitere Unterstützung aus dem Westen qualifiziert? Jurij Nikolow: „Das haben wir gerade gezeigt. Und wir haben Abrams aus den USA und Leoparden aus Deutschland erhalten. Wir verändern uns wirklich.“