Lange Eiszeit kommt: Deutsche Wirtschaft schreibt Russland ab
Der Ost-Ausschuss sagt, die deutsche Wirtschaft habe sich vollständig aus Russland zurückgezogen – und wird lange Zeit nicht wiederkehren.

Die deutsche Wirtschaft hat sich für lange Zeit aus Russland verabschiedet. So sieht es jedenfalls der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft: Bei der Mehrheit der deutschen Manager sei „das Thema Russland abgeschrieben“. Die „Entflechtung vom russischen Markt kommt schnell voran“, sagt der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses Michael Harms anlässlich der Frühjahrspressekonferenz des Verbandes in Berlin. Bis auf die Pharmaindustrie und Landmaschinen gäbe es kaum noch deutsche Geschäfte mit Russland.
Vor fünf Jahren sah die Welt der deutschen Wirtschaft noch ganz anders aus. Im Oktober 2017 vermeldeten die Wirtschaftsführer noch stolz, es sei „ein starkes Zeichen“, dass sich Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Besuch des Ost-Ausschusses in Sotschi „so viel Zeit genommen habe“, um über Beziehungen „auch in schwierigen Zeiten“ zu sprechen. Obwohl der Krieg um die Ukraine bereits seit drei Jahren tobte, vermittelte der damalige Ost-Ausschuss-Chef Wolfgang Büchele fast so etwas wie Aufbruchstimmung. Er sagte: „Wir verzeichnen eine wachsende Zahl von deutschen Investitionen in Russland mit Werkseröffnungen und Grundsteinlegungen fast im Wochenrhythmus.“
Ein Jahr nach der russischen Invasion in der Ukraine räumte Michael Harms ein, dass sich das Thema Russland faktisch komplett erledigt hat. Er nannte einen Zeithorizont von zehn Jahren der deutschen Abstinenz in Russland. Die veränderte geopolitische Weltlage spiegelt sich auch in den Wirtschaftsbeziehungen wieder: Die Zahlen zeigen, dass Polen nun der wichtigste Handelspartner Deutschlands in Osteuropa sei. Erfreulich sei, dass die Beziehungen mit Polen auf „ausgeglichenen Industriestrukturen“ beruhten, die Digitalisierung spiele ein große Rolle. Nun müsse Brüssel nach Ansicht des Ost-Ausschusses das „große Problem“ der eingefrorenen EU-Gelder lösen.
Große Hoffnung setzt die deutsche Wirtschaft auf den Wiederaufbau der Ukraine. Allerdings besteht hier die Gefahr, dass sich andere Nationen durchsetzen könnten. Harms räumte ein, dass dieses Problem in Wirtschaftskreisen diskutiert wird: „Wir sehen das als mögliches Szenario, das wir vermeiden sollten.“ Man verlange „faire Ausschreibungen“. Harms weiter: „Es kann nicht sein, dass die Aufträge nach politischer Loyalität vergeben werden.“
Für Russland erwartet Harms eine langfristige „Primitivisierung“, das Land werde die „Krise“ schleichend erleben und langfristig schwer geschädigt. Allerdings schränkte Harms ein: „Es wird keinen Zusammenbruch der russischen Wirtschaft geben.“ Er nannte als Gründe für die Resilienz der Russen den „unglaublichen Zufluss“ an Einnahmen aus Energieexporten sowie die „clevere Politik der russischen Zentralbank“, die mit „strikten Kapitalverkehrskontrollen“ den Zusammenbruch der Banken verhindert habe. Außerdem hätten sich 30 bis 40 Prozent des globalen BIP den Sanktionen des Westens nicht angeschlossen. Darüber hinaus verfüge Russland über „kreative und erfahrene Unternehmen“, die es gewohnt seien, auf Krisen zu reagieren. Daher kann Putin nach Einschätzung des Ost-Ausschusses seinen Feldzug gegen die Ukraine weiter finanzieren. Harms sagte, es sei zwar eine sehr bedauerliche Nachricht, doch müsse gesagt werden: „Russland wird das Geld für den Krieg nicht ausgehen.“