Leitartikel zum Steuerbetrug: Beim HSBC-Skandal geht es auch um Krieg
Neu ist vor allem die Dimension. Das schiere Ausmaß jagt jedem anständigen Steuerzahler einen Schauer über den Rücken. Es geht um Zehntausende von Kunden, die zig Milliarden von wie auch immer erworbenen Dollars in der Schweiz versteckten. Sie vertrauten ihre Millionen der in Genf angesiedelten Schweizer Tochtergesellschaft der Hongkong and Shanghai Banking Corporation (HSBC), der zweitgrößten Bank der Welt mit Hauptsitz in London, an.
Es handelt sich um Schurken wie auch um Leute, die bislang niemand zu diesen zählte. Da gesellen sich zu einem spanischen Rauschgifthändler, dem Cousin des syrischen Diktators und dem früheren Inhaber einer griechischen Bank ein Putin nahestehender Oligarch, die Tochter eines chinesischen Ex-Premiers und der berühmteste Koch Frankreichs.
Beim Skandal, den 140 Journalisten aus 45 Ländern gemeinsam recherchierten, geht es nicht nur um Unsummen an Geld, um Milliarden, die armen und reichen Staaten an Steuereinkünften fehlen, es geht auch um Politik, Krieg und Terror. Es geht um Bankkunden, die mit Blutdiamanten und Waffen handeln, die Kriege finanzieren, in denen Kindersoldaten als Kanonenfutter dienen, und die international agierende Terrororganisationen wie Al Kaida alimentieren. Es geht nicht nur um die Gier von Reichen, die sich auf Kosten der Armen schadlos halten. Es geht letztlich auch um Leben und Tod.
Schokolade und Matterhorn
Da ist also viel Macht und moralische Verkommenheit im Spiel – und alles gedeckt von einer Bank in Genf. Nach eigenen Angaben verwaltet die HSBC Schweiz heute nur noch etwas mehr als halb so viel Vermögen wie vor sieben Jahren. Der größte Teil der abgewanderten Gelder fand in den Niederlassungen Singapur und Hongkong, bei den Schwestern von HSBC Schweiz, eine neue Heimat. Die große Wanderung setzte offenbar ein, als die USB vor dem Druck des US-Fiskus einzuknicken begann. Die größte Schweizer Bank bat den Staat schließlich, ihr zu erlauben, was das Gesetz verbot, nämlich die Kundendaten an die amerikanische Steuerbehörde zu verraten.
Es war ein Warnsignal. Das Bankgeheimnis, das jahrzehntelang zur Schweiz wie die Schokolade und das Matterhorn gehörten, war bald löchrig wie ein Emmentaler Käse. Und es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Eidgenossen den von der OECD geforderten automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen akzeptieren.
Die Schweizer Banken orientieren sich schon lange um und sprechen explizit von einer Weißgeldstrategie, womit sie implizit zugeben, dass sie eben traditionell ein Hort von Schwarzgeldern waren. Viele Kunden der HSBC Schweiz scheinen diese neue Entwicklung in der helvetischen Finanzbranche verschlafen zu haben. Anders lässt sich nicht erklären, dass sich die Genfer Bank vor wenigen Wochen bemüßigt fühlte, in einem vertraulichen Schreiben tausende Kunden davor zu warnen, dass ihre gestohlenen Bankdaten in der Öffentlichkeit auftauchen könnten. Hervé Falciani hatte mit seinem Datenklau bei der HSBC schon 2009 für Schlagzeilen gesorgt. Aber erst jetzt kamen nach akribischer Recherche die Namen illustrer Betrüger an die Öffentlichkeit.
Moralisch verwerflich oder geboten?
2008 wurde bekannt, dass der Liechtensteiner Heinrich Kieber dem Bundesnachrichtendienst DVDs mit Kundendaten mutmaßlicher Steuerbetrüger verkauft hatte. Seither stellt sich die Frage, ob der Staat Diebesgut aufkaufen darf, ob er einem Datenräuber Millionen Euro bezahlen darf, um Milliarden Euro hinterzogener Steuern einzutreiben. Ist, was moralisch verwerflich scheint, vielleicht gerade moralisch geboten? Es ist auch eine Frage der Güterabwägung. Vermutlich wollte auch Falciani aus seinem Diebesgut Kapital schlagen. Es ist ihm wohl missglückt. Da er die Daten trotzdem übergeben hat, steht Frankreich, das nun die Steuersünder gerichtlich belangen will, mit sauberen Händen da, während die Schweiz wieder um den Ruf ihres Bankplatzes bangt.
In Frankreich, wo man scharf auf seine Beute war, genießt Falciani Polizeischutz, in der Schweiz, wo man sich mehr der Bank als der Öffentlichkeit verpflichtet fühlt, wird er mit Haftbefehl gesucht. Dass er ein Dieb ist, steht außer Frage. Doch was ist mit all den Beratern, die den Schurken geholfen haben, ihr Geld dem Fiskus zu entziehen, die, wenn vielleicht nicht im strafrechtlichen Sinn, so doch faktisch Beihilfe zu Betrug geleistet haben, und in vielen Fällen – bewusst oder unbewusst – auch zu Krieg und Terror.
„Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“, fragt Mackie Messer in Brechts „Dreigroschenoper“. Die Antwort ist nicht immer so einfach, wie es scheint.