Machtlos gegen die Inflation: EZB in Not wegen hoher Schulden

Die Bekämpfung der Inflation ist nicht mehr die erste Priorität der EZB. Italien muss zunächst gerettet werden.

28.10.2019, Frankfurt/Main: Der scheidende EZB-Präsident Mario Draghi (l.) steht auf einem Festakt anlässlich des Wechsels an der Spitze der EZB neben seiner designierten Nachfolgerin Christine Lagarde.
28.10.2019, Frankfurt/Main: Der scheidende EZB-Präsident Mario Draghi (l.) steht auf einem Festakt anlässlich des Wechsels an der Spitze der EZB neben seiner designierten Nachfolgerin Christine Lagarde.dpa/Boris Roessler

Die EZB hat für Mittwoch überraschend eine Krisensitzung abgehalten. Konkreter Anlass: An den Anleihemärkten war eine veritable Panik ausgebrochen, die Renditen für zehnjährige italienische Staatsanleihen waren am Dienstag auf 4,2 Prozent gestiegen. Nach Bekanntgabe der Krisensitzung sank die Rendite auf 3,98 Prozent. Der Spread, also der Unterschied zwischen den Finanzierungskosten von Schulden deutscher Bundesanleihen und denen Italiens, hatte sich ebenfalls deutlich ausgeweitet.

Das Ergebnis der Sitzung zeigt, dass sich die EZB in einem Zielkonflikt befindet: Sie müsste eigentlich ihren vollen Fokus auf die Bekämpfung der Inflation legen und die Zinsen erhöhen. Doch in den vergangenen Jahren ist die EZB immer mehr zum versteckten Staatsfinanzierer geworden. Diese Rolle will sie auch künftig wahrnehmen. Sie will nämlich Maßnahmen ergreifen, um die besonders von Spekulationsattacken oder Investorenbedenken gefährdeten Staaten und ihre Anleihen zu stützen – eine Aufgabe, die eigentlich außerhalb ihres Mandats liegt. Der neue Ansatz ist jedoch offenbar nötig, weil der Druck auf italienische Staatspapiere in den vergangenen Wochen zu stark wurde. Bloomberg sieht die Reaktion der EZB daher als Reaktion auf einen Ausverkauf der italienischen Staatsanleihen.

In einem Statement der Bank nach dem Meeting heißt es, der EZB-Rat fühle sich „verpflichtet, gegen wiederauflebende Fragmentierungsrisiken der Eurozone vorzugehen“. Die Pandemie habe „dauerhafte Schwachstellen in der Wirtschaft des Euroraums hinterlassen“, die dazu beitrügen, „dass sich die Normalisierung unserer Geldpolitik ungleichmäßig auf alle Länder überträgt“. Auf der Grundlage dieser Bewertung habe der EZB-Rat beschlossen, „bei der Reinvestition fälliger Rücknahmen in das PEPP-Portfolio flexibel vorzugehen, um das Funktionieren des geldpolitischen Transmissionsmechanismus aufrechtzuerhalten“. Dies sei die „Voraussetzung dafür, dass die EZB ihr Ziel des Preisstabilitätsmandats erreichen kann“. Darüber hinaus beschloss der EZB-Rat, „die zuständigen Ausschüsse des Eurosystems zusammen mit den Dienststellen der EZB zu beauftragen, die Fertigstellung des Entwurfs eines neuen Antifragmentierungsinstruments zur Prüfung durch den EZB-Rat zu beschleunigen“.

Demnach will die EZB nun weiter italienische Staatspapiere aufkaufen, obwohl sie erst vor wenigen Tagen angekündigt hatte, dieses umstrittene und vom Bundesverfassungsgericht nur unter einem Ausstiegsvorbehalt akzeptierte Programm sanft beenden zu wollen. Der technische Trick besteht darin, dass die EZB sagen wird, sie zieht die Reinvestitionen von Papieren vor, die in Kürze auslaufen. Ob das PEPP-Portfolio dann wirklich reduziert wird ist unklar: Wenn schon die eigentlich moderate Ausstiegsstrategie Italien dermaßen unter Druck setzt, ist nicht zu erwarten, dass die EZB in einer sich eintrübenden Weltwirtschaft Italien fallen lässt. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund bevorstehender Wahlen in Italien zu sehen, nach denen Mario Draghi aller Voraussicht nach nicht mehr als Ministerpräsident eingesetzt werden dürfte. Es ist unklar, ob die EZB den Ankauf von italienischen Papieren auch fortsetzt, wenn in Italien eine rechtsextreme Koalition an die Macht kommt. Andererseits wäre es ein Novum, wenn die Geldpolitik von rein politischen Faktoren bestimmt würde.

Mit ihrem Beschluss, von dem noch nicht klar ist, ob Deutschland zugestimmt hat, könnte die EZB mit ihrem Kampf gegen die Inflation ins Hintertreffen geraten: Die Inflationserwartungen und damit in Folge auch die tatsächliche Inflation dürften steigen, weil die EZB nicht gleichzeitig die Programme zurückfahren und ausweiten kann. Vor allem enthält die Mitteilung die Ankündigung, dass die EZB künftig bestimmten Staaten indirekt niedrige Zinsen erlauben will als anderen. Das „Antifragmentierungsinstrument“ ist ein Transmissionsmechanismus, der von Frankreich und Italien lanciert wird:  Seit einiger Zeit wird darüber diskutiert, dass die Zinssätze in den Eurostaaten unterschiedlich ausfallen könnten, was allerdings die Idee eines gemeinsamen Währungsraums grundsätzlich infrage stellen würde.

Ein Sprecher des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) sagte der Berliner Zeitung: „Europas Währungshüter signalisieren, wie ernst sie Spreadausweitungen nehmen und dass sie dagegen handeln werden. Dabei müssen sie Augenmaß bewahren, um eine zu breite Intervention der EZB in Marktprozesse zu vermeiden.“

Die Geldpolitik müsse reagieren, weil zu hohe Zinsen für den Schuldendienst einzelner Staaten den Kampf der EZB gegen die Inflation beeinträchtigen würden, hatte die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel am Dienstag an der Panthéon-Sorbonne University in Paris laut Redetext gesagt. Schnabel führte in ihrer Rede aus, dass es große Unterschiede in der Inflation im Euroraum gebe: So liege die Inflation in Estland bei 20 Prozent, in Malta und Frankreich dagegen nur bei sechs Prozent. In ihrer Rede erläutert Schnabel, dass das jüngste gemeinsame Schuldenprogramm der EU, NextGenEU, durchaus als Einstieg in eine echte Fiskalunion gesehen werden könne, in der die Haftungsrisiken geteilt werden. Aktuelle Krisen wie die Pandemie oder der russische Angriffskrieg in der Ukraine könnten nur überwunden werden, wenn die Währungsunion dauerhaft institutionell gestärkt werde.

„Es besteht kein Zweifel daran, dass wir nötigenfalls neue Instrumente entwickeln und einsetzen werden, um die geldpolitische Transmission und somit unser primäres Mandat der Preisstabilität zu sichern“, sagte Schnabel.

In den USA lässt die Notenbank Federal Reserve (Fed) dagegen keinen Zweifel, dass sie es mit dem Kampf gegen die Inflation ernst meint: Die Fed beschloss am Mittwoch den größten Zinsschritt seit fast 30 Jahren und erhöhte ihren Leitzins stark um 0,75 Prozentpunkte. Damit liegt er nun in der Spanne von 1,5 bis 1,75 Prozent, wie die Notenbank mitteilte