Manipulationsskandal bei Volkswagen: So will VW den Totalschaden verhindern
Berlin - Auf der Automesse IAA gaben sich die Volkswagen-Oberen ungewohnt zurückhaltend. Die Präsentationen der Novitäten wurde eher kurz und knapp abgespult. Bei Kernmarke VW spielte das Thema Umwelt kaum eine Rolle. Vorstandschef Martin Winterkorn schaute sich die Shows einigermaßen geduldig an. Doch danach war er schnell verschwunden. Jetzt kennen wird den Grund für das eher verdruckste Verhalten des obersten VW-Managers und seiner Kollegen: Schon Anfang voriger Woche wussten die Führungskräfte des größten Autobauers der Welt offenbar, dass Heftiges droht.
Winterkorn musste zunächst am Sonntag einräumen, dass bei Diesel-Pkw, die in den USA verkauft wurden, bei den Abgaswerten geschummelt wurde – knapp 500.000 Autos sollen betroffen sein. Am Dienstag musste der Konzern zugeben, dass die Manipulationen eine um ein Vielfaches größere Dimension haben: „Auffällig sind Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen“, heißt es in einer Mitteilung.
Und weiter: „Ausschließlich bei diesem Motortyp wurde eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandwerten und realem Fahrbetrieb festgestellt.“ Was da in wohl gewählten Worten verlautbart wird, bedeutet nichts Geringeres als den Super-GAU für den Wolfsburger Konzern.
„Der Schaden, der für die deutsche Industrie jetzt entstanden ist, ist gar nicht mehr zu bemessen“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Automobilwissenschaftler von Uni Duisburg-Essen. Und es gibt für ihn einer Verantwortlichen: Martin Winterkorn. Er sei nicht mehr zu halten. Denn er sei nicht nur der oberste Manager, sondern auch lange Zeit für die Marke VW und Entwicklungsabteilung zuständig gewesen.
Am Mittwoch wird sich das Präsidium des Aufsichtsrats mit dem Abgas-Skandal und der Personalie Winterkorn beschäftigen. In dem Gremium sitzen neben dem amtierenden Aufsichtsratsvorsitzenden Berthold Huber und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) auch Betriebsratschef Bernd Osterloh und Wolfgang Porsche als Vertreter der Eigner-Familien Porsche und Piech. Eigentlich sollte der gesamte Aufsichtsrat am Freitag beschließen, dass der Vertrag von Winterkorn bis Ende 2018 verlängert wird. Doch jetzt wird es für den promovierten Metallkundler extrem eng.
Die viel gestellte Frage lautet: Wie viel wusste der 68-Jährige von den manipulierten Abgasdaten? Für Insider ist das keine Frage. Es ist ein offenes Geheimnis in der Branche, dass seit Jahrzehnten bei den offiziellen Verbrauchs- und Abgaswerten getrickst wird.
VW-Ingenieure haben die Bordcomputer der Diesel-Pkw so programmiert, dass bei Tests auf Rollenprüfständen die Abgaswerte gedrückt werden. Im realen Einsatz auf der Straße fährt der Rechner die Abgasreinigung aber zurück, um die Leistung des Fahrzeugs zu steigern. In die USA ist eine derartige vorsätzliche Manipulation eine Straftat, das Justizministerium ermittelt.
Teuerste Rückrufaktion der Geschichte
Wie kann so etwas passieren? Insider raunen: Kostengründe. Es gibt derzeit verschiedene technische Verfahren zum Säubern der Abgase. Besonders kompliziert ist, die giftigen Stickoxide unschädlich zu machen. Es kursiert die Vermutung, dass möglicherweise wenig effektive Billigvarianten gewählte wurden. Um bei Abgastests aber dennoch durchzukommen, wurde dann die Bordsoftware getunt.
Wie werden’s Weil und Betriebsratschef Bernd Osterloh jetzt halten? Der Ministerpräsident warnte am Montag vor vorschnellen Entscheidungen. Die Vorfälle müssten „schnell und gründlich aufgeklärt werden“. Erst danach könne über mögliche Folgen entschieden werden.
Osterloh sagte, es müsse mit aller Konsequenz und Offenheit aufgeklärt werden. Vielleicht ist Winterkorn mit der Mitteilung vom späten Dienstagvormittag schon genau diesen Forderungen nachgekommen. Mit einer Videobotschaft legte er am Dienstagnachmittag nach: „Ich gebe Ihnen mein Wort, bei all dem werden wir mit der nötigen Transparenz und Offenheit vorgehen“, sagte der VW-Chef.
Eine solche Manipulation dürfe es nie wieder geben. Es sei aber falsch, „wenn die harte und ehrliche Arbeit von 600.000 Menschen unter Generalverdacht gerate. „Auch deshalb bitten wir, bitte ich, um Ihr Vertrauen auf unserem weiteren Weg“, sagte er an die Adresse von Kunden, Behörden und Öffentlichkeit und machte damit klar, dass er nicht zurücktreten will. Vielleicht soll das eine Art Schadensbegrenzung sein. „Volkswagen arbeitet mit Hochdruck daran, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen“, heißt es.
Das könnte auf die größte und teuerste Rückrufaktion in der Geschichte des Automobils hinauslaufen. Elf Millionen Autos müssen eventuell mit neuer Technik ausgestattet werden, um den Stickoxid-Wert zu reduzieren. Daneben drohen Bußgelder in Milliardenhöhe in den USA und anderswo.
Aber auch Schadenersatzklagen im ganz großen Stil wird es mit großer Wahrscheinlichkeit geben - einerseits von Kunden, aber auch von Aktionären, die wegen verspäteter Informationen über den Skandal vor Gericht ziehen könnten. Die Folge: Die VW-Vorzugsaktie hat am Montag und am Dienstag rund ein Drittel ihres Wertes verloren. Auch weil Winterkorn nun erst einmal einmal 6,5 Milliarden Euro zur Seite hat legen lassen: „zur Abdeckung notwendiger Service-Maßnahmen und weiterer Anstrengungen, um das Vertrauen unserer Kunden zurück zu gewinnen.“
Tricksereien an der Tagesordnung
Für Dudenhöffer ist das bei weitem nicht genug, um Volkswagen wieder auf die Spur zu bringen. „Der Konzern muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden.“ Für ihn ist der Abgasskandal nur ein Symptom. Die Verfilzung von Management, Betriebsrat und Politik müsse aufgebrochen werden. Die Arbeitnehmervertreter haben traditionell eine starke Stellung bei VW. Das Land Niedersachsen hat als Großaktionär sogar eine Sperrminorität.
Dudenhöffer fordert nicht nur einen neuen Vorstandschef, sondern auch einen renommierten externen Fachmann an der Spitze des Aufsichtsrats – vom Schlage des Ex-Linde-Chefs Wolfgang Reitzle. Derweil machten am Dienstagnachmittag Spekulationen die Runde, dass Winterkorn durch Matthias Müller, Chef der VW-Tochter Porsche, ersetzt werde, was in Wolfsburg prompt dementiert wurde.
Vielleicht billigt der Aufsichtsrat Winterkorn mildernde Umstände zu, eben weil die Schummelei in der Branche üblich ist. Erdrückend ist jedenfalls die Indizienlast, dass auch andere Autobauer bei Schadstoff- und Verbrauchswerten tricksen. Umweltverbände und Autoclubs legen in schöner Regelmäßigkeit Studien vor, die zeigen, wie stark Normwerte von Realwerten dank kreativer Bordelektronik abweichen.
Die Nicht-Regierungsorganisation ICCT hat gerade 32 Dieselautos überprüfen lassen. Alle bleiben bei Stickoxiden unter dem Grenzwert der aktuellen Euro-6-Norm, wenn nach dem noch gültigen NEFZ-Verfahren geprüft wird. Legt man aber die härteren WLTC-Standards zugrunde, die von 2017 in der EU gelten sollen, dass reißen viele die Latte. Das gilt auch für drei getestete Fahrzeuge Volkswagen-Marke Audi.
Die massivsten Überschreitungen wurden indes bei Pkw von Hyundai, Renault und Volvo gemessen. Der europäische Verband Transport & Environment benennt auch Opel, BMW, Citroen und Mercedes-Benz als große Abgassünder. Und auch die Bundesregierung macht indirekt klar, dass es bei den Stickoxid-Emissionen der Dieselautos durch die Bank massive Abweichungen von der Norm gibt.
Die realen Emissionen von neuen Euro-6-Diesel-Pkw sei im Schnitt erheblich höher als der einzuhaltende Grenzwert von 80 Milligramm pro Kilometer, der aufgrund von NEFZ-Prüfungen ermittelt wurde. Messungen hätten ergeben, dass der Ausstoß im Schnitt bei 500 Milligramm liege. So steht es in einem Papier, das dieser Zeitung vorliegt und von der Bundesregierung an die EU-Kommission geschickt wurde. Die Abweichungen bei den Diesel-Pkw werden als Hauptgrund dafür genannt, dass deutsche Ballungsgebiete die Vorgaben für die Luftbelastung mit Stickstoffdioxid, das Atemwegserkrankungen auslöst, nicht einhalten können.