Neuer Trend in Berlin? Warum Geschäfte kein Bargeld mehr akzeptieren

In der Bargeldmetropole Berlin finden sich immer mehr Geschäfte, die Bargeld als Zahlungsmittel verbannen. Was ist die Motivation dahinter?

Ein Bäcker, der seit der Pandemie nur noch Kartenzahlung akzeptiert.
Ein Bäcker, der seit der Pandemie nur noch Kartenzahlung akzeptiert.Michael Gstettenbauer/Imago

Wer die Fast-Food-Kette Vincent Vegan in Berlin besucht, zum Beispiel in den Schönhauser Allee Arcaden, sucht vergeblich nach Fleisch. Die saftigen Pattys in den Burgern bestehen unter anderem aus Soja- und Weizeneiweiß, Weizenhalmfasern und Tomatenmark. Doch noch eine Sache fehlt in der Filiale vollkommen: Bargeld. Wer hier essen will, braucht eine Debit- oder Kreditkarte oder ein NFC-fähiges Smartphone.

Zum ersten Mal während der Corona-Pandemie hat Vincent Vegan auf bargeldlose Zahlungen umgestellt. Tim Wentzien, Operations-Manager, nennt die Hygiene als einen der Hauptgründe. Im Jahr 2020 kam mit der Pandemie das Bedürfnis nach kontaktlosen Zahlungen. Auch nach Corona müssten sich Angestellte, die mit Lebensmitteln hantieren, nach jedem Zahlungsvorgang mit Bargeld die Hände waschen oder Einweghandschuhe benutzen, die Müll verursachen.

Die Karte macht es einfacher

Auch vereinfachen digitale Zahlungen den administrativen Bereich und beugen Diebstahl sowie Buchführungsfehler vor. „Wenn ich vier Mitarbeiter in einem Laden habe, und am Ende der Schicht fehlt Geld in der Kasse, was soll ich tun? Wer ist dann schuld?“, fragt Tim Wentzien. Bei digitalen Zahlungen erledige sich dieses Problem. Es gibt aber auch Nachteile, zum Beispiel die Gebühren, die bei jeder Nutzung des Kartenterminals anfallen. „Das muss man immer abwägen“, sagt Wentzien. „Wir möchten das gerne so beibehalten.“

Die meisten Kunden hätten dafür Verständnis, erzählt der Mann weiter, doch natürlich gäbe es immer welche, die sich beschweren, beispielsweise mit dem Argument, dass digitale Zahlungen die Überwachung erleichtern würden. Letztendlich aber, so Wentzien, erzeuge jeder Mensch mit einem Smartphone ohnehin jede Menge Daten. Natürlich könne eine EC-Karte auch mal streiken, jedoch ließe sich seiner Erfahrung nach immer eine Lösung finden, beispielsweise indem jemand anders bezahlt und sich das Bargeld geben lässt. Er habe auch schon mal in einer Filiale für einen Gast die Rechnung beglichen, dessen Karte nicht funktionierte. „Man muss auch flexibel sein.“

„Menschen, die nicht über eine Karte verfügen, werden ausgeschlossen“

Auch beim Restaurant Stadtsalat in der Friedrichstraße setzt man auf Digitalisierung. Wer die bunten Bowls und Desserts vor Ort essen oder mitnehmen will, braucht eine Karte oder ein Smartphone. Eine Bezahlung mit Bargeld? Unmöglich. Auf Nachfrage gibt Geschäftsführer Tom Smets an, dass „elektronische Zahlungen schneller und effizienter als Bargeldtransaktionen abgewickelt werden können, da kein Wechselgeld ausgegeben oder aufbewahrt werden muss.“ Auch sei das Risiko von Diebstahl geringer und den Komfort für den Kunden höher. Schlussendlich profitiere auch die Umwelt, da kein physisches Geld produziert und transportiert werden muss.

Gleichzeitig spricht er auch potenziell negative Aspekte an. „Menschen, die nicht über eine Karte verfügen oder sich nicht mit der Technologie auskennen, werden ausgeschlossen“, räumt er ein. Allerdings werden bargeldlose Zahlungen immer einfacher, sodass auch Randgruppen immer mehr Möglichkeiten haben, daran teilzunehmen.

Ein weiterer Schwachpunkt sei die Abhängigkeit von Strom und Internet. Jedoch, so Tom Smets, sei jeder Arbeitsschritt in den Restaurants bereits so weit digitalisiert, dass größere technische Störungen den Betrieb ohnehin nahezu vollständig lahmlegen würden. Die Lösung besteht seiner Meinung nach darin, für technisch hinreichend redundante Systeme zu sorgen, um das Ausfallrisiko so weit wie möglich zu minimieren.

Seiner Erfahrung nach zeigen sich die meisten Kunden von Stadtsalat mit dieser Lösung zufrieden. „Würde die Mehrheit unserer Kunden Bargeldzahlungen wünschen, würden wir eine Wiederaufnahme prüfen. Doch unsere Daten und das Kundenfeedback von allen Standorten signalisieren uns eine durchweg hohe und weiter steigende Akzeptanz von bargeldloser Bezahlung.“

Auch in den Sonnenstudios von Sunpoint, das allein in Berlin über 20 Filialen betreibt, lautet künftig die Devise: bitte kein Bargeld. Auf Anfrage erklärt die Geschäftsführung, dass das Modell bereits seit einem halben Jahr mit einem flächendeckendend positiven Ergebnis getestet wurde. Aus diesem Grund sei es nicht geplant, zu Bargeldzahlungen zurückzukehren. „Zu den Gründen, warum wir unser Zahlungsmodell umstellen, zählt beispielsweise der Schutz unserer Mitarbeiter vor zunehmender Gewalt, bewaffneten Raubüberfällen und Einbrüchen“, so die Begründung.

Die älteren Deutschen hängen an Scheinen und Münzen

Betriebe wie Vincent Vegan, Stadtsalat und Sunpoint sprechen allerdings eine junge, urbane und digitalaffine Kundschaft an. So zahlen laut einer Umfrage des Zahlungsdienstleisters Nets Group 47 Prozent der Konsumenten in der Altersgruppe 18–29 am liebsten mit Karte. Bargeld landet mit 36 Prozent auf Platz zwei. Als Hauptgründe für die Liebe zu EC-Karten geben die Befragten an, dass sie kein Bargeld mit sich herumführen müssten und dass Zahlungen schneller gingen.

Doch was ist mit den Älteren? Im Gegensatz zu europäischen Ländern wie Dänemark oder dem Vereinigten Königreich, in denen Bargeld fast aus dem Alltag verschwunden ist, hängen die Deutschen noch an Scheinen und Münzen. So beglichen sie 2021 laut einer Studie der Deutschen Bundesbank 58 Prozent aller Zahlungsvorgänge weiterhin in bar. Damit haben Bargeldzahlungen seit 2017, als sie noch 74 Prozent aller Transaktionen ausmachten, abgenommen. Dennoch bleibt Cash das beliebteste Zahlungsmittel der Deutschen.

„Bargeld ist gelebte Freiheit“

Phillip Haverkamp, Geschäftsführer des Handelverbands Berlin-Brandenburg, sieht seinerseits derzeit keinen Trend zu ausschließlich bargeldlosen Zahlungen. Zwar haben digitale Zahlungen seit der Corona-Pandemie an Beliebtheit gewonnen. Auch sei das eine freie Entscheidung und völlig legitim, wenn ein Händler beschließt, nur digitale Zahlungsmittel zu akzeptieren. Es gäbe aber insgesamt keine Anzeichen dafür, dass die Mehrheit der Geschäfte künftig Bargeld abschaffen möchte.

„Bargeld ist gelebte Freiheit“, sagt Phillip Haverkamp. „Als sichereres und diskriminierungsfreies Zahlungsmittel ermöglicht es Zahlungen auch bei Ausfällen der Infrastruktur und erlaubt jedem, am Zahlungsverkehr teilzunehmen.“ Auch biete es Schutz vor staatlichen Eingriffen und vor sozialer Kontrolle. Zwar sei dieser Aspekt in Deutschland nicht relevant, in Ländern mit autoritären Regimen dafür umso wichtiger.

Der Handelsverband setze sich dafür ein, dass auch künftig jeder Händler bestimmen kann, wie seine Kunden zahlen. „Eine politische Steuerung diesbezüglich lehnen wir ab“, sagt der Geschäftsführer. 

Die Politik scheint ohnehin keine Absicht zu haben, Bargeld abzuschaffen. Zwar arbeitet die Europäische Zentralbank an der Einführung des digitalen Euros. Anders als das Buchgeld, das auf Giro- und Sparkonten liegt und einen Vertrag mit einer Bank voraussetzt, könnten Bürger diese digitale Währung in digitalen Portemonnaies aufbewahren, ohne dass ein Kreditinstitut als Mittelsmann fungieren muss. Damit würde der digitale Euro theoretisch die Vorteile von Bargeld übernehmen und beispielsweise auch für Menschen zugänglich sein, die über kein Bankkonto verfügen.

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