Als sich im Zug des Draghi-Rücktritts erste Turbulenzen zeigten, aktivierte Christine Lagarde das neue Rettungsprogramm der EZB und kaufte italienische Staatsanleihen auf. Eine neue Euro-Krise wegen Italien wird es allerdings eher nicht geben. Die Gründe sind vor allem für Deutschland schmerzhaft: Die italienische Wirtschaft macht den Ökonomen aktuell weniger Sorge als der Zustand der einstigen Wirtschaftsgroßmacht, vor allem, was die Energiefrage angeht. Italien hat mehrere Flüssiggasterminals (LNG) und kann außerdem über die Transmed-Pipeline durch das Mittelmeer Gas aus Algerien beziehen.
Anders als Deutschland hat Italien rechtzeitig eine LNG-Strategie mit Katar entwickelt. Laut S&P Global hat der italienische Energiekonzern ENI im Juni einen Anteil aus dem 28 Milliarden Dollar schweren North Field East Projekt der Kataris erworben und ist damit zweitgrößter Gesellschafter nach dem französischen Unternehmen TotalEnergies. Laut AFP soll das Projekt im Jahr 2026 seine Lieferungen aufnehmen. Deutschland spielt bei dem Projekt keine Rolle - wohl auch, weil der Staat solche Investments nicht direkt abschließen kann, sondern dies über ein Unternehmen machen müsste. Doch laut Focus hat keiner der großen deutschen Energie-Konzerne wie EnBW, RWE, Vattenfall, E.On und Lex Uniper einen Vertrag mit Katar über LNG abgeschlossen.
Abkommen mit weiteren Staaten geschlossen
Italien hat zusätzlich weitere Abkommen mit Israel, Aserbaidschan, Angola und der Republik Kongo abgeschlossen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der kürzlich eigens nach Katar gereist war und danach verkündete, dass Deutschland künftig statt von Russland aus dem Golf-Staat beliefert werde, hat laut Bild-Zeitung bekanntgegeben, dass die Reise erfolglos war: Die Kataris hätten sich entschieden, kein gutes Angebot zu machen, soll Habeck auf seiner Sommertour in Bayreuth gesagt haben. „Und die Unternehmen, mit denen ich damals da war, haben sich im Moment woanders Gas besorgt.“
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Deutschland hat sich darüber hinaus entschieden, die fertige Pipeline Nord Stream 2 nicht in Betrieb zu nehmen. Die Energiepolitik bietet vorerst vorerst vor allem Steuerhöhungen in Form einer Gasumlage, moralische Appelle, Ankündigungen und Energiespar-Fantasien.
Auch Italien verzichtet auf Atomkraft
Interessant auch: Italien ist in einer besseren Lage als Deutschland, obwohl auch in Italien die Kernenergie nach einer Volksbefragung nicht mehr eingesetzt wird. Italien hat außerdem angekündigt, mehr Kohle für Wärme - und Stromerzeugung einsetzen zu wollen.
Allgemein wird daher erwartet, dass Deutschland in eine Rezession schlittern könnte. Italien profitiert davon, dass es die Euro-Strukturen für seine nationalen Interessen nutzt und zugleich auf eine übermäßige Polarisierung in der Innenpolitik verzichtet. Dass Italien allerdings, wie von Draghi angekündigt, bis 2024 vollständig vom russischen Gas unabhängig sein werde, ist eher eine PR-Nummer - die sich Draghi leisten kann, weil er dafür nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden wird.