Norwegen: „Eine Explosion in der Europipe I wäre ein riesiges Problem“

Nach den Anschlägen gegen die Nord-Stream-Pipelines verstärkt Norwegen die Überwachung in der Nordsee: An der Pipeline Europipe I hängt nämlich ganz Europa.  

Eine Pipeline der Europipe-Firma Gassco von Norwegen nach Europa vor Emden (Animation)
Eine Pipeline der Europipe-Firma Gassco von Norwegen nach Europa vor Emden (Animation)Grafik: Gassco

Nach den Anschlägen gegen die Nord-Stream-Pipelines hat Norwegen die Überwachung seiner Gasinfrastruktur verstärkt. Norwegen hat vor allem die für den Gastransport nach Europa essenzielle Pipeline Europipe I im Blick. Sie verläuft von der Plattform Draupner E in der Nordsee bis zu einem Empfangsterminal in Dornum an der deutschen Küste. Sie ist 620 Kilometer lang. Auch die BalticPipe ist für die norwegischen Lieferungen wichtig. 

Der norwegische Botschafter in Deutschland, Torgeir Larsen, sagte der Berliner Zeitung, die Sicherheit der Infrastrukturanlagen sei „eines der ganz großen Themen“ in Norwegen. Larsen: „Wenn jemand Europa lahmlegen will, dann ist die Gasinfrastruktur in der Nordsee sicher ein Ziel. Man kann natürlich keine Garantien abgeben, dass wir alle möglichen Dinge verhindern werden. Aber wir haben unsere Überwachung verstärkt, um das Risiko so gering wie möglich zu halten.“

Die Schäden, die ein Anschlag auf die Europipe I anrichten würden, wären erheblich. „Nord Stream 1 und 2 waren tote Rohre. Eine Explosion in der Europipe I wäre ein riesiges Problem. Diese Pipeline ist gefüllt und versorgt ganz Europa“, so Larsen. Norwegen hat als Konsequenz aus den Nord-Stream-Anschlägen seine Gasinfrastruktur mit Unterwasserdrohnen überprüft. Es wurden offenbar keine verdächtigen Aktivitäten registriert. Botschafter Larsen: „Wir haben 9000 Kilometer an Gasleitungen. Wir haben alles untersucht. Um die Sicherheit zu gewährleisten, arbeiten die privaten Unternehmen, die staatlichen Stellen, die Polizei und auch die Marine zusammen. Für den norwegischen Sockel können wir sagen, dass dieser gut von der Polizei und der Marine überwacht wird.“

Die Überwachung soll künftig noch stärker unter militärischen Aspekten erfolgen: „Alle Beteiligten – Militär, Private, Polizei – arbeiten bei der Sicherung der Infrastruktur zusammen und kooperieren mit den europäischen Partnerländern, denn Nord- und Ostsee sind keine nationalen Binnengewässer. Norwegen und Deutschland haben die Initiative ergriffen, um diese Allianz in der Nato zu verankern.“ Die norwegische Regierung sieht eine wachsende Bedrohung aus Russland: „Unsere zivilen und militärischen Geheimdienste haben im vergangenen Jahr deutlich mehr russische Nachrichtenaktivitäten in Norwegen beobachtet“, so Botschafter Larsen.

Zu den Recherchen von Seymout Hersh zu den Anschlägen gegen Nord Stream möchte der Botschafter keine über die Kommentare der norwegischen Regierung hinausgehenden Aussagen tätigen. Er verweist auf „Fehler in den Recherchen Hershs, wie sie mehrere Faktenchecks aufgedeckt hätten“, und nennt „Filter Nyheter“ als Quelle. Der private Blog ist allerdings nur mit Registrierung zugänglich.

Norwegen ist nach dem Ausfall der russischen Gasimporte als Folge der russischen Invasion in der Ukraine als Gaslieferant in die Bresche gesprungen. Torgeir Larsen: „Der russische Angriffskrieg war ein unvorhersehbares Ereignis, und da mussten wir reagieren und den Gasexport erhöhen.“ Gas sei eine „Übergangstechnologie und immer noch wichtig“. Ohne russisches Gas habe Europa ein Problem.

Auf dem norwegischen Sockel aktive Unternehmen hätten im Vorjahr zehn Prozent mehr Gas nach Europa exportiert. „Der Anteil, der zusätzlich nach Deutschland geliefert wurde, entspricht schätzungsweise 40 bis 50 Prozent der deutschen Speicherkapazität“, sagt Larsen. Norwegische Unternehmen wollten auch „weiter hohe Volumina liefern“, so Larsen. Man gehe pragmatisch vor: „Wir befinden uns in einer Übergangsphase hin zu den erneuerbaren Energien, aber wir müssen flexibel auf Ereignisse reagieren.“

Trotzdem sieht Larsen keine Alternativen zum Umstieg auf erneuerbare Energien. Er sieht sein Land gut gerüstet für die Transformation: „Wir Norweger sind in der glücklichen Lage, sagen zu können: Wir haben Öl, Gas und Wetter.“ Die norwegische Ölindustrie soll den Wandel vorantreiben. Botschafter Larsen: „Die Transformation sieht so aus: Ingenieure, die vor einigen Jahren eine Plattform gebaut haben, bauen jetzt Offshore-Windräder. Die Industrie verändert sich nicht schlagartig, sondern alles geht ineinander über. Nehmen Sie Stavanger: Das war vor zehn Jahren ein reines Öl- und Gaszentrum. Das hat sich verändert, heute sind dort auch wichtige Unternehmen der Branche Erneuerbare Energie angesiedelt.“

Die Energie bleibe ein wichtiger Teil der staatlichen Einnahmen Norwegens. Man befinde sich „mitten in der Transformation und damit dem Umbau des Energiesektors“. In allen Bereichen gebe es eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland: „Als wir vor 100 Jahren mit dem Ausbau der Wasserkraft begonnen haben, haben deutsche Ingenieure eine entscheidende Rolle gespielt. Auch bei Öl und Gas kommt bei uns sehr viel an deutscher Technologie zum Einsatz“, so Larsen. Bei den erneuerbaren Energien setze man bei Wind, Wasserstoff und Batterien ebenfalls auf die Kooperation mit Deutschland. 

Bei Wasserstoff gebe es allerdings „noch viel Unsicherheit, weil wir bisher keinen Markt haben, auf dem große Volumen von Wasserstoff gehandelt werden“. Damit gebe es auch keinen vom Markt ermittelten Preis. Die Windkraft will Norwegen deutlich ausbauen, „weil wir in der Nordsee sehr viel Wind haben“. Die größte Debatte, die in Norwegen im Moment läuft, sei „der Streit um die Windräder“. Larsen: „Natürlich müssen wir auch auf den Naturschutz Rücksicht nehmen. Aber am Ende werden wir nicht umhinkommen, die Windräder massiv auszubauen.“

Anders als Deutschland habe Norwegen eine Stromkrise. Larsen: „Wir machen fast alles mit Strom. Gas verwenden wir so gut wie nicht. Ölheizungen sind bei uns schon lange verboten, geheizt wird mit Strom. Nun haben wir aber das Problem, dass der Strompreis an den Gaspreis gekoppelt ist – früher war Strom sehr billig, jetzt ist er viel teurer. Das hängt mit den Gaspreisen zusammen, aber auch mit der Trockenheit im vergangenen Jahr. Deshalb sind die Wasserspeicher nicht so gut gefüllt, Wasserkraft aber ist eine wichtige Energiequelle und wir müssen mehr Strom produzieren.“ Norwegen könne wegen seiner Industrie nicht auf Strom verzichten. Der Markt „hilft der Transformation, weil sich die Nachfrage geändert hat. Wir werden durch den öffentlichen Druck zur Transformation gezwungen.“ Anders als andere Länder habe Norwegen hervorragende Ladestrukturen: „Sie können in Norwegen mit einem Elektroauto überall hinfahren, ohne die sogenannte Ladeangst haben zu müssen“, sagt Larsen. Norwegen beginne zwar langsam, die Elektroautos stärker zu besteuern. Aber es sei in Norwegen „auf jeden Fall billiger, ein E-Auto zu kaufen als einen vergleichbaren Verbrenner“.

Die norwegische Gesellschaft baut stark auf den Solidaritätsgedanken. So gibt es einen Pensionsfonds, der die Altersvorsorge für künftige Generationen regelt. Die Verwendung der Mittel des Pensionsfonds ist streng geregelt. Die sogenannte Handlungsregel besagt, dass die Regierung jährlich nur bis zu drei Prozent des Fondsvolumens – die angenommene Rendite – entnehmen und dem Haushalt zuführen kann. Eine Insel der Seligen ist das Land dennoch nicht, denn der Pensionsfonds ist von der Entwicklung der globalen Aktienmärkte abhängig. Botschafter Larsen: „Der Fonds hat im Jahr 2022 einen Verlust von 155 Milliarden Euro (Wechselkurs Ende 2022) gemacht, das entspricht 14 Prozent.“