Berlin - Namhafte Hersteller von Naturkosmetika und Bio-Lebensmitteln sehen die Versorgung mit unbelasteten Rohstoffen aus deutschen Anbaugebieten gefährdet. Anlass ist der ungewollte Übertrag giftiger Pflanzenschutzmittel aus der konventionellen Landwirtschaft, die über große Entfernungen hinweg ökologische Anbauflächen verunreinigen können. In einem Schreiben an Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) fordern Bio-Anbieter wie Weleda, Sonnentor und Herbaria Sofortmaßnahmen gegen den unerwünschten Ferntransport der Unkrautvernichtungsmittel Pendimethalin und Prosulfocarb. „Für uns Biounternehmer sind Pestizidbelastungen durch Ferntransport unannehmbare Auswirkungen, die unserer Existenz gefährden“, heißt es in dem Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt.
In bestimmten Kulturen, zum Beispiel Grünkohl, Dill, Petersilie und Körner-Fenchel , komme es „regelmäßig zu hohen Belastungen mit den beiden Wirkstoffen, die über dem Grenzwert der Diätverordnung für Babynahrung liegen“. Dadurch seien die Erzeugnisse für Biobauern, die sich vertraglich zum Unterschreiten der Grenzwerte verpflichtet hätten, nicht mehr vermarktungsfähig. Der wirtschaftliche Schaden liege bei bis zu 100 000 Euro pro Betrieb. Als Sofortmaßnahme müsse der Bund zumindest den Einsatz von Pendimethalin und Prosulfocarb auf großen Flächenkulturen wie etwa Getreide verbieten, fordern die neun Unterzeichner des Briefes.
Einer von ihnen ist Biobauer Stefan Palme. Sein Hof Wilmersdorf, inmitten des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin nördlich von Berlin gelegen, ist von Belastungen durch die genannten Herbizide betroffen, obwohl im Radius von zehn Kilometern kein einziger Landwirtschaftsbetrieb die Stoffe einsetzt. Die Unkrautgifte werden buchstäblich vom Winde verweht, und zwar in bedenklicher Konzentration und über große Entfernungen hinweg, wie das von Palme alarmierte Landesamt für Umwelt Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg (LUGV) bei Messungen 2014 feststellte: Das vom LUGV beauftragte Forschungslabor TIEM wies die Herbizide an sämtlichen LUGV-Messstellen auf Palmes Hof sowie auch in Privatgärten der Umgebung nach. Dabei überstiegen die Mengen die Grundbelastung teils um das Tausendfache.
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Im Oktober reagierte die Agrarministerkonferenz der Länder: Man sei besorgt, dass Pendimethalin und Prosulfocarb „aufgrund ihrer hohen Flüchtigkeit durch Thermik und Wind über weite Strecken verfrachtet werden und in Kulturen, die nicht mit den Wirkstoffen behandelt werden, zu erhöhten Rückständen“ führten.
Verursacher nicht zu ermitteln
Palme nützte all das freilich nichts. Er musste seine Fenchelernte abschreiben. Der Verursacher war, wie stets in solchen Fällen, wegen der Kilometer weiten Verwehungen nicht zu ermitteln. „Wir bleiben auf dem Schaden sitzen, den andere verursachen“, schimpft der Landwirt. Unterstützung erhält Palme von Erwin Winkler, Geschäftsführer des Kräuterherstellers Herbaria. Es könne nicht angehen, dass „deutsche Biobauern den Anbau bestimmter Kulturen einstellen müssen, weil die Behörden bei der Zulassung von Pestiziden versagen“.
Genau dies tun sie bisher nach Ansicht der Ökobranche allerdings, und zwar auf Bundes- wie auf EU-Ebene. Die EU reagierte zwar, aber nicht wie erhofft. Vielmehr wurden im vergangenen Sommer kurzerhand die die Grenzwerte für Pendimethalin-Rückstände heraufgesetzt: in Knollensellerie um das Doppelte, in Karotten, Meerrettich, Petersilie-Wurzeln, Haferwurz und Pastinaken um gut das Dreifache und in Kohlrüben sogar um das Achtfache.
Auch das BVL versagt bisher wirksame Maßnahmen zur Abhilfe: Ungeachtet der Grenzwert-Überschreitung für Babynahrung seien die Erzeugnisse für den menschlichen Verzehr „weiterhin erlaubt“, zumal „nach derzeitigem Kenntnisstand keine unannehmbaren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit“ vorlägen, die einen Widerruf der Zulassung rechtfertigen könnten, schrieb das BVL an Ökobauer Palmes Rechtsanwalt.
Im Erzeugerverband Bioland stößt diese Haltung auf tiefes Unverständnis. „Das BVL ignoriert das geltende Recht der Diätverordnung und damit den besonders strengen Pestizidgrenzwert, der zum Schutz von Babys eingeführt wurde“, kritisiert Bioland-Präsident Jan Plagge. Die Zulassungsbehörden hätten laut Gesetz sicher zu stellen, dass sich die Wirkung von Pestiziden auf die behandelten Kulturflächen beschränkt“.