Pleite von "Food Express": So brutal geht es in Berlins Start-up-Szene zu
Noch vor zwei Monaten war Max von Waldenfels Geschäftsführer eines rasant wachsenden Liefer-Start-ups namens Food Express. Mit seinen 90 Mitarbeitern war von Waldenfels gerade erst in größere Büros in Berlin-Mitte gezogen, die Zahl der Fahrer auf 1300 angewachsen.
Inzwischen ist Food Express konkurs. 30 Mitarbeiter wurden bereits entlassen, ebenso rund 300 Fahrern gekündigt. Auch die verbleibenden Mitarbeiter könnten in wenigen Tagen ihren Job verlieren. Denn nur noch bis zum Ende des Monats hat Food Express Zeit, einen neuen Investor zu finden. Dann wird das Unternehmen von dem Konkursverwalter in seine Einzelteile zerlegt.
Ausgerechnet der einst engste strategischer Partner und wichtigster Investor von Food Express hat das Start-up in diese Lage befördert: das Berliner Lieferdienstimperium Delivery Hero. Der Internetkonzern, zu dem auch die Plattform Lieferheld und Pizza.de gehören, ist vom wichtigsten Verbünden zum schärfsten Konkurrenten von Food Express geworden. Während Delivery Hero in Food Express investierte, baute das Lieferimperium zielstrebig einen eigenen Dienst auf, der dem Modell von Food Express exakt entspricht. Es ist eine Geschichte, die zeigt, wie brutal es in Berlins Start-up-Szene zugeht.
Sie beginnt im Mai 2013: Max von Waldenfels gründete mit Benjamin Pochhammer den Dienst MyLorry. Ihr Ziel: Auf Knopfdruck lassen sich Fahrer zum Transport bestellen. Bald stellen sie fest, dass besonders eine Kundengruppe einen enormen Bedarf hat – Restaurants. Aus MyLorry wird Food Express. Das Start-up konzentriert sich darauf, die Auslieferung von Essensbestellungen zu übernehmen. Denn Plattformen wie Lieferheld oder Lieferando vermitteln nur die Bestellungen – die Restaurants müssen sich selbst um die Auslieferung kümmern. Food Express kann ihnen die Lieferungen günstiger anbieten – denn es kann die Fahrer besser auslasten als einzelne Restaurants.
Es ist ein Modell, das für das Lieferdienstimperium Delivery Hero höchst interessant ist. Der Lieferdienst, in den Rocket Internet Anfang des Jahres über eine halbe Milliarde Euro investierte, steigt im Februar bei Food Express ein und übernimmt zunächst rund 16 Prozent der Anteile an Food Express. Kurz darauf erhöht er die Anteile noch mal auf 27,7 Prozent.
Einblick in wichtige Dokumente
Mehr noch: Wenige Monate später zeigt Delivery Hero Interesse daran, Food Express ganz zu übernehmen. Im August 2015 beginnen die Verhandlungen, begleitet werden sie von dem, was man Due Diligence nennt: eine intensive Risikoüberprüfung: Die Investoren durchleuchten das Start-up intensiv, um zu überprüfen, ob es wirklich das wert ist, was es auf den ersten Blick zu sein scheint. Daten von Kunden, Bestellentwicklungen, Verträge – die Delivery Hero-Manager bekommen wie bei solchen Verfahren üblich Einsicht in alle wichtigen Dokumente.
Sie schicken auch ein Team von Delivery-Hero-Entwicklern zu dem Start-up, das sich mehrere Tage lang die Technologie hinter der Auslieferungssoftware genau erklären lässt. „Welche Funktionen es gibt, wie die Architektur ist, wie wir zu dem Aufbau gekommen sind, alles“, sagt Max von Waldenfels.
Der Food-Express-Gründer ist davon überzeugt, kurz vor einem erfolgreichen Verkauf zu stehen, als Delivery-Hero-Chef Niklas Östberg ihn Ende Oktober bittet, sich auf einen Kaffee zu treffen. Doch in dem Café eröffnet ihm ein Delivery-Hero-Manager, dass der Aufsichtsrat entschieden habe, dass es nicht nur keine Übernahme gebe. Delivery Hero werde auch nicht weiter in Food Express investieren. Die nächste Tranche, fällig in weniger als zwei Wochen, werde nicht überwiesen werden. Das Treffen dauert kein zehn Minuten, erinnert sich Max von Waldenfels. Als er das Café verlässt, weiß er, dass Food Express vor dem Konkurs steht.
Das Start-up hatte mit Delivery Hero im Rücken nämlich auf eine Strategie des schnellen Wachstums gesetzt, bei der Verluste in Kauf genommen werden. Im Start-up-Bereich ist das üblich: Wird viel in Marketing und den Aufbau von Vertriebsabteilungen investiert, kann ein Start-up schneller wachsen, als wenn der Aufbau nur aus den laufenden Einnahmen finanziert wird. So können Marktanteile rascher erobert werden.
Start-ups, die sich nur aus den laufenden Einnahmen finanzieren, haben in stark umkämpften Märkten keine Chance. Sie wachsen viel zu langsam. Egal ob Amazon, Zalando oder Delivery Hero – keines dieser Unternehmen wäre ohne massiven Kapitaleinsatz so schnell zum mächtigen Konzern geworden. Der Nachteil: Start-ups sind absolut angewiesen auf ihre Investoren, um den Betrieb am Laufen zu halten. Wenn zugesagte Mittel nicht überweisen werden, muss das Start-up oftmals umgehend Konkurs anmelden, da es die Gehälter nicht zahlen kann. Mit 1300 angestellten Fahrern hatte Food Express besonders hohe laufende Personalkosten.
Klausel für den Ausstieg
Eigentlich war die Finanzierung von Delivery Hero zugesagt worden. Doch im Vertrag gibt es eine Klausel, die dem Lieferimperium den Ausstieg ermöglich. Food Express konnte nämlich einen sogenannten Meilenstein nicht erfüllen, eine vertragliche Vorgabe: die Vervierfachung der Bestellungen innerhalb von vier Monaten. Das sei besonders bitter, sagt Max von Waldenfels, weil das vor allem an Delivery Hero selbst lag. Das Lieferimperium habe viel weniger Bestellungen an Food Express weitergeleitet als ursprünglich in Aussicht gestellt. Delivery Hero bestreitet das, ohne sich zu den Details zu äußern.
In einer internen E-Mail zu dem Ausstieg bei Food Express, die der Berliner Zeitung vorliegt, erklärt Delivery-Hero-Chef Niklas Östberg seinen Mitarbeitern die Motivation hinter dem plötzlichen Aus für Food Express. Dort schreibt Östberg, dass man Food Express nicht mehr unterstütze, da man sich nun auf den eigenen Lieferdienst Valk Fleet konzentrieren werde. In den letzten zwölf Monaten sei es gelungen, sehr viel Know-how über das Lieferthemengebiet aufzubauen.
Dass damit gemeint sei, Lieferimperium habe den Zugang zu Food Express systematisch ausgenutzt, um mit dem Wissen die eigene Unternehmung aufzubauen, bestreitet Delivery-Hero-Sprecher Bodo von Braunmühl. „Es wäre absolut lächerlich andeuten zu wollen, dass Delivery Hero in Food Express investiert hat, um Know-how abzuziehen.“ Man habe schon lange vor der Investition in Food Express eine eigene Logistiksparte aufgebaut und sich gegen weitere Investitionen entschieden, da man günstigere Kosten pro Bestellungen bei den eigenen Logistik-Firmen gesehen habe.
Lukas Uhl, Geschäftsführer der Delivery-Hero-Tochter Valk Fleet, sagte: „Als Food Express sein Business gestartet hat, waren wir schon seit mehr als zwei Jahren im Bereich Food-Logistik aktiv. Aus diesem Grund ist Know-how ganz überwiegend von uns an Food-Express geflossen, nicht umgekehrt.“
Inzwischen bereitet Valk Fleet intensiv den Markteintritt in Deutschland vor. Derzeit sucht das Start-up Fahrer und Manager. Praktisch für Delivery Hero: Wenn Max von Waldenfels nicht noch einen Investor findet, könnte Valk Fleet das Geschäft von Food Express in Deutschland kampflos übernehmen.