Habecks Mega-Subvention für Industrie: Vier Mythen über den Industriestrompreis
Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck will den Strompreis für die Industrie deckeln. Klappt das auch? Unser Autor widerlegt vier verbreitete Mythen.

Die Luft wird dünner im Wirtschaftsministerium. Robert Habecks Beliebtheitswerte fallen, die Opposition fordert gar seinen Rücktritt.
Ein Grund ist die Graichen-Affäre, bei der Habecks Staatssekretär Patrick Graichen seinem Trauzeugen in den Chefposten bei der Deutschen Energie-Agentur (dena) verholfen hat. Vetternwirtschaft, lautet der Vorwurf.
Ein anderer Grund ist das Chaos-Gesetz zum Heizungstausch, das die Menschen verunsichert. Bis heute hat die Ampel sich weder final einigen können, welche Heizungen ab dem Jahreswechsel noch beim Neueinbau erlaubt sind, noch wie hoch die Förderung für den Wechsel auf Wärmepumpe und Co. sein soll.
Habecks neue Subvention: Ein Industriestrompreis
Wie ein angeknockter Boxer geht Habeck jetzt in die Offensive. Der Wirtschaftsminister will der Abwanderung von Industriefirmen einen Riegel vorschieben. Mittlerweile beklagen viele Chefs und Verbände, dass Produktion in Deutschland zu teuer ist, und drohen, Betrieb oder Investitionen dorthin zu verlagern, wo Strom günstig ist. Etwa in die USA oder nach China. In Deutschland ist der Strompreis aktuell rund fünfmal so hoch wie in den USA und viermal so hoch wie in China. Und sogar mehr als doppelt so hoch wie in Frankreich.
Dafür hat Habecks Ministerium eine neue Subvention entworfen: eine Strompreisbremse für die energieintensive Industrie. Für Stahlwerke, Glasereien und Chemieproduzenten soll der Preis für eine Kilowattstunde Strom auf sechs Cent gedeckelt werden. Ähnlich wie bei der Strompreisbremse für Haushalte soll das aber nur für 80 Prozent des Verbrauchs gelten, damit ein Anreiz zum Energiesparen erhalten bleibt. Zum Vergleich: Für die Haushalte und kleine Unternehmen wird der Strom aktuell auf 40 Cent pro kWh für 80 Prozent des Verbrauchs gedeckelt, für energieintensive Unternehmen und Industriekunden auf dreizehn Cent für 70 Prozent des Verbrauchs.
Entscheidend für die Höhe der Subvention ist zudem nicht der tatsächliche Einkaufspreis der Unternehmen, sondern der Börsenpreis. In Deutschland sind an der Strombörse neben Energieunternehmen und Stromhändlern auch Industriekonzerne mit hohem Strombedarf aktiv. Liegt dieser über sechs Cent je Kilowattstunde, erstattet der Staat diesen Unternehmen oder ihren Lieferanten die Differenz. Gelten soll die Subvention bis 2030. Damit Firmen die bekommen, müssen sie sich im Gegenzug verpflichten, Standorte in Deutschland zu erhalten und bis 2045 klimaneutral zu werden.
Die FDP ist dagegen, die Industriegewerkschaften dafür, Kanzler Scholz zumindest skeptisch – obwohl er im Wahlkampf selbst einen Industriestrompreis von vier Cent pro kWh forderte. Spricht aber etwas dagegen? Um den Vorschlag ranken sich vier häufige Mythen, die leicht zu widerlegen sind.
Mythos eins: Man kann Industrie nicht auf Dauer subventionieren
Olaf Scholz spielte etwa darauf an, dass man die Industrie nicht dauerhaft subventionieren könne. Weder ist das aber gewollt, noch wäre das ungewöhnlich. Subventionen und Steuervergünstigungen sind längst gängige Praxis. Ob für Diesel, Flugbenzin, Großabnehmer von Strom, E-Autos oder Restaurants. Der Bund hat laut Subventionsbericht 2022 rund 47 Milliarden Euro für Subventionen ausgegeben, fast die Hälfte ging an Firmen. Manche Subventionen existieren schon seit Jahrzehnten, zum Beispiel für Diesel.
Ohnehin ist der Industriestrompreis bis 2030 begrenzt, von dauerhaft gar keine Rede. Und mit jedem Jahr wird die Subvention unwichtiger. Denn je schneller der Ausbau günstiger grüner Energie vorankommt, desto mehr günstigen Strom gibt es in Deutschland und desto weniger muss subventioniert werden. Die Subvention ist also eine Brücke von der teuren Gegenwart, in der der Ukraine-Krieg die Strompreise in astronomische Höhen getrieben hat, in die günstigere Zukunft – vorausgesetzt: Der Ausbau von Stromnetzen und Windkraftanlagen kommt zügig voran!
Mythos zwei: Wenn die Industrie weniger bezahlt, bezahlen Verbraucher mehr
Zahlen die Verbraucher mehr, wenn die Industrie vom hohen Strompreis verschont bleibt? Finanzminister Christian Lindner behauptet das gerne. Und zugegeben: Ja, das wäre bitter, wenn Verbraucher mehr zahlen müssten, damit die Industrie weniger zahlt. Erst recht, weil die Strompreise für Haushalte mit 40 Cent pro kWh ohnehin schon dreimal teurer sind als für die Industrie. Aber das muss gar nicht so sein. Schließlich entsteht den Stromversorgern gar kein Minus, das sie bei anderen Kunden ausgleichen müssten, sie bekommen ja das Geld vom Staat ersetzt. Auch müssten dafür keine Steuern erhöht oder andere Ausgaben gekürzt werden. Der Vorschlag von Robert Habeck sieht nämlich vor, die übrigen Mittel aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds dafür zu nutzen – sprich: die Milliarden, die für den Doppelwumms vorgesehen waren, aber nicht gebraucht wurden.
Mythos drei: Die Mega-Subvention können wir uns nicht leisten
Bis 2030 rechnet Habeck mit bis zu 30 Milliarden Euro an Kosten für die Subventionen, also rund fünf pro Jahr. Wobei im ersten Jahr bei hohen Börsenpreisen deutlich mehr Milliarden fließen als im letzten, wenn Strom wieder günstiger sein soll. Die Umwidmung der Milliarden aus dem Doppelwumms hat den Vorteil, dass das Geld nicht unter den normalen Haushalt und die Schuldenbremse fällt. Gestrichen werden muss dafür woanders also nicht.
Einzige Krux: Lindner hält die Umwidmung rechtlich nicht für möglich. Dabei hat die Ampel genau das 2021 schon mal mit Corona-Geldern für den Klimafonds gemacht. Außerdem gehört die bisherige Strompreisbremse schon heute zum Doppelwumms. Man müsste eigentlich also nur die Preisbremse für die Industrie unter anderen Bedingungen verlängern, das lässt sich rechtlich viel einfacher begründen als die besagten Corona-Gelder für Klimainvestitionen.
Und übrigens sind die 30 Milliarden eine Milchmädchenrechnung. Wandert Industrie ohne Industriestrompreis ab, gehen Jobs, Wohlstand und Steuereinnahmen verloren. Den Strompreis nicht zu subventionieren, hat also auch große Kosten, das sollte bedacht sein.
Mythos vier: Ein hoher Strompreis beschleunigt die Transformation
Der Markt regelt, glauben Wirtschaftsliberale. Deshalb zerstöre eine solche Subvention die Lenkungswirkung hoher Preise. Wenn Strom teuer ist, reize das nämlich zusätzliche Stromproduktion ebenso an wie einen sparsamen Verbrauch, so das Argument von Christian Lindner. Das Problem: Wenn der Preis so hoch ist, dass Stahlwerke abwandern, dann gibt es keine Transformation, sondern nur eine Deindustrialisierung. Das wäre Rückschritt statt Fortschritt.
Und 2022 war dafür das beste Beispiel. Ja, Deutschland hat zwar viel Energie eingespart, aber gleichzeitig ist die Produktion in der energieintensiven Industrie wegen des Preisschocks um fast 20 Prozent gefallen. Keiner streitet ab, dass Preise eine Lenkungswirkung haben; aber die Politik darf nicht zulassen, dass die Preise wichtige Industrie ins billigere Ausland lenken.
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