Schlecker-Insolvenz: Es hat sich ausgeknausert

Unter dem fast zwanghaften Geiz leiden besonders die Beschäftigten. Im Jahr 1998 wurden Anton Schlecker und seine Frau Christa zu einer Haftstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt, wegen vielfachen Betrugs. Weil sie die Beschäftigten unter Tarif bezahlten, ihnen aber Tariflöhne vortäuschten. Bis in die 90er Jahre hinein gab es keine Telefone in den Filialen, nach dem Motto: Die Verkäuferinnen sollen verkaufen, nicht telefonieren. Wer zwei Minuten zu spät kam, musste eine Abmahnung fürchten. Beschäftigte wurden bespitzelt. Das Management wollte damit angeblich verhindern, dass sie Ware mitgehen ließen. Die Gründung von Betriebsräten bekämpfte Schlecker lange Zeit mit aller Macht – als ginge es darum, eine Enteignung durch die organisierte Belegschaft zu verhindern.

Hinz kommt das Prinzip „Volle Kontrolle“. Niemand soll den Schleckers in die Karten schauen können. Finanzierung mittels Banken gibt es nicht. Die Unternehmensform ist die des „eingetragenen Kaufmanns“ – Schlecker trägt für alles alleine die Verantwortung. In dem Konzern herrschte lange Zeit eine Kultur des Misstrauens und der Angst. Interviews gibt Anton Schlecker kaum; die Kommunikation mit der Öffentlichkeit läuft lange fast ausschließlich über schmucklose Anzeigen, gehalten im typischen Blau, die die Sonderangebote für die Woche verkünden.

Überall Überwachungskameras

Schlecker mauert sich ein. In seiner Heimatstadt Ehingen hat er das ganz physisch umgesetzt. Im Ortsteil Wenzelstein liegt, mit Aussicht über die Stadt, inmitten von bescheidenen 50er-Jahre-Siedlungshäuschen ein Komplex, der auf den ersten Blick wie ein Adelssitz oder ein Sanatorium wirkt. Von der Straße aus sind Wohngebäude mit riesigen Fenstern und ein bizarrer, überdimensionierter Kronleuchter zu erkennen. Alles ist umgeben von einer mit Bruchstein verklinkerten Mauer, gewiss drei Meter hoch. Überall sind Überwachungskameras installiert. „Schlimm, was das Geld aus Menschen macht“, sagt eine Ehingener Taxifahrerin. Der „Herr Schlecker“ halte sich bedeckt. Im Leben in der Stadt sei er nicht präsent. Aber immer, wenn ein „besonders schönes Auto“ durch die Stadt fahre, könne man sicher sein, dass er hinter dem Steuer sitze. Eine Sammlung von Sportwagen soll er haben. Besonders auffallend sei ein weißer Mercedes, extra breit, ganz tief gelegt. Anton Schlecker ist auch für die Ehingener ein Phantom.

Unter der Woche soll der 67-Jährige jeden Morgen mit einem seiner Boliden oben vom Wenzelstein nach unten in die Konzernzentrale in der Talstraße rollen. Auch hier sind kaum Einblicke möglich, das Unternehmen wird hinter verspiegelten Fassaden gemanagt. Der Konzernzentrale vorgelagert ist ein riesiges Einkaufszentrum, in dem Anton Schlecker einst zeigte, was er alles verkaufen kann. Ende voriger Woche wurde der größte Teil der Flächen an Hamburger Investoren veräußert, die meisten Ladenflächen waren ohnehin schon an Konkurrenten verpachtet. Schlecker gehört unter anderem noch eine Tankstelle, der Mitte der Woche teilweise der Sprit ausging. Und ein Möbelhaus. An dem hängt ein großes Plakat, das einen „Teilräumungsverkauf“ anpreist.

In der Ehingener Innenstadt gab es mal fünf Schlecker-Läden. Einer ist noch da, dort tun sich in den Regalen größere Lücken auf. Die Schaufenster des früheren Stammhauses sind mit Packpapier abgeklebt, Nachmieter werden gesucht. Wer Ehingener als Indikator für den Zustand der Drogeriekette nimmt, muss eine fortgeschrittene Erosion attestieren. „Wir fragen uns, ob Herr Schlecker noch weiß, was los ist“, sagt ein Passant. Dem Kontrollzwang könnte der Kontrollverlust gefolgt sein. Dabei ist schon seit 2007 klar, dass sich Grundlegendes ändern muss. Seither sinkt der Umsatz, macht das Unternehmen Verluste.

Mehr Selbstverantwortung für die Mitarbeiter zahlt sich aus

Vor allem Rossmann und dm haben Marktanteile hinzugewonnen. Mit Konzepten, die sich als Gegenentwurf zu Schlecker lesen lassen. Götz Werner ist Anthroposoph. Seit Anfang der 90er baut er die Selbstverantwortung der Beschäftigten in den Filialen aus. Sie entscheiden über das Sortiment. Werner spricht von „dialogischer Führung“, Teamwork werde groß geschrieben. Roßmann setzt sich für die Integration von Migranten ein, nicht nur in der eigenen Firma. Er kooperiert mit Umweltschützern, um mehr Artikel aus regionaler Produktion anbieten zu können.

Und während Schlecker sich hinter seiner Mauer verschanzt, geben sich die Rivalen weltoffen. Roßmann setzt sich für die Verteilung von Verhütungsmitteln in Entwicklungsländern ein. Götz Werners Führungsprinzip ist eine Mischung aus ökonomischer Theorie und Sozial-Evangelium. Er zieht wie ein Wanderprediger durch die Lande und wirbt für ein bedingungsloses Grundeinkommen, das die Menschen vom Zwang der Berufstätigkeit entbinden soll, Arbeiten soll aus freien Stücken erfolgen. Hinter sozialem Engagement und Menschenfreundlichkeit von Werner und Roßmann steckt nicht nur Altruismus. Studien belegen: Hohe Mitarbeiterzufriedenheit bringt guten Service und übersetzt sich so in hohe Kundenzufriedenheit.