Spandauer Traditionskonzern Osram: Die Folgen der Energiewende

Feuer und Sand. Beim Lampenhersteller Osram im Nordwesten der Stadt ist das noch immer der Anfang von allem. Sand wird zu Glas, aus Glas wird Licht. Den alten Backsteinbau, der schräg hinter dem Tor 1 des Werksgeländes an der Nonnendammallee steht, gibt es schon seit 90 Jahren, seitdem wird dort Quarzsand zu Glas geschmolzen. An sieben Tagen die Woche und an 365 Tagen im Jahr.

Die Spandauer Quarzschmelze zählt zu den letzten Zeugen der alten Berliner Industrie. Während auf der anderen Straßenseite eine Industriebrache vom Dienstleistungsgewerbe gekapert wurde, um dort ein Einkaufscenter samt Baumarkt, Muckibude und Sofa-Discounter zu schaffen, läuft bei Osram noch immer der traditionelle Hüttenbetrieb. Der Sand rinnt, die Zeit läuft. Eine Sanduhr der analogen Ära.

Dass die Öfen in dem denkmalgeschützten Gemäuer an dessen 100. Geburtstag in zehn Jahren noch unter Feuer stehen werden, ist unwahrscheinlich. Der Urberliner und nun in München ansässige Osram-Konzern ist dabei, sich neu zu erfinden. Das Geschäft mit Glühlampen und Leuchtstoffröhren wurde bereits abgestoßen.

Osram befindet sich auf der Schwelle von der analogen zur digitalen Welt und will ein Hochtechnologiekonzern werden. Lichtchips und Sensoren sollen künftig die Arbeit der weltweit 26.000 Beschäftigten sichern. Glas, aus dem Lampenkolben geblasen werden, wird da immer weniger gebraucht. In besten Zeiten wurden in den neun Öfen des Osram’schen Glaswerks in Spandau 2000 Tonnen Glas im Jahr produziert. Jetzt sind es nur noch halb so viele, und bald werden es vielleicht gerade 300 Tonnen im Jahr sein.

Aber noch wird das hochreine und hitzefeste Quarzglas benötigt. Nur ein paar Schritte vom Glaswerk entfernt läuft in einem Flachbau die Produktion auf Hochtouren. Um von einem Fertigungsabschnitt in den nächsten zu gelangen, muss man Schleusen durchqueren. In einigen wird verlangt, sich Plastiktüten über die Schuhe zu stülpen, in anderen sind sogar Kopfhauben und Mundschutz vorgeschrieben.

Osram ist Weltmarktführer im Bereich Automobilbeleuchtung

Die Zeit, in der hier „60 Watt klar“ das Hauptprodukt war und das Sortiment vor allem nach der Größe der Lampenfassung in E14 und E27 aufgeteilt werden konnte, ist längst vorbei. In drei Schichten wird aus Glas Licht gemacht. Es sind einerseits Speziallampen etwa für Chiphersteller wie Intel, die hier in eher kleinen Stückzahlen im Manufakturbetrieb entstehen, und andererseits Xenon-Lampenstifte für Autoscheinwerfer, die von Automaten täglich zigtausendfach ausspuckt werden.

Osram ist Weltmarktführer im Bereich Automobilbeleuchtung. Aber das gilt nicht mehr allzu viel, wenn sich Produkte, Märkte und Geschäftsmodelle in immer kürzeren Intervallen verändern.

„Vor allem garantiert es nichts“, sagt Thomas Wetzel, 53, ein sportlicher Typ. Er hat mal viel Fußball gespielt, und er war Triathlet, ist also ebenso Teamplayer wie Einzelkämpfer. Er sitzt in seinem Büro direkt neben der Produktion. Betriebsratsvorsitzender steht draußen auf einem kleinen Schild neben der Tür.

An den Bürowänden hängen Plakate der IG Metall und ein Foto vom ehemaligen Osram-Verwaltungsgebäude am Ernst-Reuter-Platz. Es ist von 1963. Als die Kollegen Wetzel vor zwei Jahren zu ihrem ersten Vertreter wählten, war er schon seit fast einem Vierteljahrhundert im Betriebsrat. In der Nonnendammallee arbeitet Wetzel noch länger. Eigentlich schon immer.

Im Dynamowerk von Siemens, das nun von der Schließung bedroht ist, hat er Betriebsschlosser gelernt. Dann ging er zum Lampenhersteller Osram, der damals noch Teil des Siemens-Konzerns war. Dort, 28 Hausnummern weiter stadtauswärts, erlebte Wetzel die Glanzzeiten, in denen der Betrieb zum modernsten Hochdrucklampenwerk der Welt wurde.

Und er war dabei, als die beginnende Energiewende im Lichtgeschäft ein Marktbeben auslöste, das das Licht-wird-immer-gebraucht-Unternehmen durchschüttelte. Die Osram-Lampe flackerte. Hatten bei der damaligen Siemens-Tochter vor zehn Jahren knapp zweieinhalbtausend Menschen Arbeit, so sind davon nicht einmal mehr 800 geblieben.

Seit 2008 habe es immer nur Entlassungen gegeben, sagt Thomas Wetzel. Meist waren es ohnmächtige Reaktionen. Stellen wurden gestrichen, dann hat man gewartet, was passiert – bis zur nächsten Entlassungswelle. „Es ging eindeutig in Richtung Schließung“, erinnert sich Wetzel. Eine Zeit, in der der Betriebsrat nur versuchen konnte, den Niedergang erträglicher zu machen. Leise, eigentlich mehr zu sich selbst, sagt Wetzel, dass seine größten Erfolge seine kleinsten Niederlagen waren.

Aber das Beben ist noch nicht vorüber. Denn längst hat das digitale Licht die Autoscheinwerfer erobert. LED wird als das neue Xenon gefeiert, weshalb auch Osrams Hauptprodukt in Spandau dämmert. Vor zweieinhalb Jahren dachte man in Siemensstadt noch, dass in diesem Jahr 14,5 Millionen Xenon-Lampen produziert werden könnten. Tatsächlich werden es nur zehn Millionen Leuchten sein. Das Ende ist absehbar.

Diesmal erwischt es Osram nicht kalt. Der Traditionskonzern hat seine Ohnmacht überwunden. Osram investiert. Vor drei Jahren gab der Vorstand grünes Licht für eine Milliarden-Investition – das ist ein Viertel des aktuellen Gesamtjahresumsatzes – in die Entwicklung und Produktion von Leuchtdioden. Inzwischen ist Osram der viertgrößte LED-Hersteller der Welt.

„Berlin hat wieder eine Zukunft“

Während Siemens noch seinen Weg in die Zukunft sucht, ist man bei der emanzipierten Tochter schon weiter. Lichtchips für Autoscheinwerfer fertigt Osram bereits seit einiger Zeit in Regensburg. In Berlin will der Konzern nun die Wissenschaftsnähe, das Gründertum sowie die Erfahrung der Spandauer in der Großserien- wie auch der Manufaktur-Fertigung nutzen und das Werk zu einem Entwicklungszentrum für Technologien rund um das Thema Autonomes Fahren samt Laser- und Sensorfertigung erweitern. An der Nonnendammallee soll Osrams Denkfabrik für neue automobile Technologien entstehen.

„Berlin hat wieder eine Zukunft“, sagt Wetzel. Wenn alles läuft, wie es sich Werksleitung und Betriebsrat vorstellen, wird parallel die Xenon-Lampen-Produktion noch so lange wie möglich laufen, vor allem für den Ersatzteilbedarf. „Die letzte Xenon-Lampe, die auf der Welt gefertigt wird, soll aus Berlin kommen, weil wir es besser und billiger können werden als andere.“ Wetzel will endlich ohne Niederlage gewinnen und vor allem nicht der Betriebsratschef sein, mit dem das Werk dichtgemacht wird. Es geht weiter, sagt er.

Tatsächlich hat Thomas Wetzel das „Zukunftskonzept Osram“ mit auf den Weg gebracht. Seit vier Jahren sitzt er als Arbeitnehmervertreter mit im Aufsichtsrat des Konzerns. Er ist dabei, wenn dort etwa der Strategie- und Technologieausschuss den Vorstand berät. Eine steile Arbeiterkarriere für den gelernten Betriebsschlosser. Seine Einkünfte für den Aufsichtsratsposten – im vergangenen Jahr waren es 86 000 Euro – spendet er fast komplett der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Wetzel ist für seine Kollegen ihr Mann in München.

Die Umsetzung der Strategie erfolgt in Berlin, und da stehen alle erst am Anfang. Denn zunächst soll die Produktion fit gemacht werden für den Endspurt – und das, was danach kommt. Es geht vor allem um mehr Flexibilität in der Fertigung. Werden Xenon-Lampen bei Osram seit über 20 Jahren gefertigt, so sind die Laufzeiten künftiger Sortimente vielleicht in 20 Monaten zu messen.

Das Fitnessprogramm dafür heißt Industrie 4.0. Ein Pilotprojekt, das seit dem Sommer läuft und mit dem in Spandau die Produktion der Zukunft erprobt wird. Seitdem ist in der Halle an der Nonnendammallee viel von digitalen Tools die Rede. Man spricht nicht mehr von Arbeitsaufträgen, sondern von Tickets, die die Arbeiter per App namens Ticketmanager mit ihren Dienst-Smartphones empfangen. Wieder geht ein Beben durch das Werk. Diesmal ist es gewollt und kontrolliert. Halbwegs zumindest.

Wenn die Maschinen Namen tragen

Tatsächlich fremdelt der vernetzte Produktionsarbeiter zuweilen mit der neuen Arbeitsorganisation. War beispielsweise ein Arbeiter bislang allein für seine Maschine verantwortlich, für deren Funktion, die Qualität und das Material, so bedient er neuerdings mehrere Maschinen, während andere die Wartung und die Materialanlieferung übernehmen.

Das ist schwierig, wenn es Kollegen gibt, die ihrer Maschine einen Namen gegeben haben. „Da geht es nicht einfach um Arbeit, sondern um eine Beziehung“, sagt Wetzel. „Die hören, wie es ihrer Biene geht.“ Wenn man das nicht berücksichtige, komme man keinen Schritt weiter. Industrie 4.0 sei kein Monster, aber die Digitalisierung werde eben auch nicht nur von Softwareentwicklern gemacht. „Ohne die Leute geht das nicht.“

Kai Greger ist einer von denen, denen es nicht schnell genug gehen kann. Als der Instandhaltungsmechaniker aus der Xenon-Fertigung von dem Plan für Berlin erfuhr, war er erleichtert. Endlich raus aus dem Durchhaltemodus. „Erstmals seit Jahren wollen wir wieder was. Wir machen nicht nur weiter, sondern was Neues.“

Greger, 34 Jahre alt, Schichtarbeiter, sorgt als Einrichter mit dafür, dass die Maschinen so laufen, wie sie sollen. Als Azubi hat er bei Osram angefangen, seitdem einige Entlassungswellen mitgemacht und sich dennoch seinen Grundoptimismus bewahrt. Greger ist verheiratet, hat drei Kinder, muss einen Hauskredit abzahlen.

Bevor er sich mit seiner Familie vor vier Jahren entschied, das Haus zu bauen, hatte er beim Betriebsrat nachgefragt, was sie ihm raten würden. Sie hatten ihm damals abgeraten. Zu unsicher sei die Zukunft von Osram. Greger hat trotzdem gebaut, und es nie bereut. „Wenn du ständig nur an das Ende denkst, wirst du kirre im Kopf und stehst dir irgendwann selbst im Weg“, sagt er.

Und so denkt er auch nicht an das Ende der Xenon-Fertigung. Die Auftragslage sei gut. Wenigstens ein Jahr lang könnten sie noch drei Schichten fahren. Und dann? „Mal sehen.“

„Hauptsache, wir sind dabei“

Aber auch Kai Greger treibt um, dass das Industrie-4.0-Projekt nicht so läuft, wie es laufen könnte. Vieles geschieht ihm zu langsam, zu bürokratisch. „Wir kriegen unsere Aufträge aufs Handy und haben doch mehr Schreibkram als vorher“, sagt der Einrichter. Auch werde zu wenig mit den Beteiligten geredet. Dass Osram bleibt, davon ist Greger überzeugt. Früher hätten sie Haushalte ausgestattet, demnächst werden es Autos sein. „Egal, ob wir an Volkswagen oder an Google liefern. Hauptsache, wir sind dabei.“

Keine hundert Meter von Gregers Arbeitsplatz entfernt hat die Zukunft bereits begonnen. In einem streng abgeriegelten Bereich entstehen unter Reinheitsbedingungen, die mit denen einer Chipfabrik vergleichbar sind, Laser-LED-Module für Autoscheinwerfer. Es sind fingerhutkleine Leuchten, die Osram gemeinsam mit BMW entwickelt hat und bis zu 600 Meter weit strahlen können. Rover ist der erste Kunde.

Erst im Sommer wurde die Laser-Produktion gestartet. Jetzt fährt man sie langsam hoch. Knapp zwei Dutzend Kollegen arbeiten in diesem Bereich. Dass sie zur Stammbelegschaft gehören, niemand neu eingestellt wurde, belegt für den Betriebsratschef Wetzel das Potenzial des Berliner Werks. „Wir sind bereit“, sagt er. Jetzt müsse auch das Unternehmen bereit sein und in Qualifizierung investieren.

Wetzel weiß, dass er aus einem ungelernten Maschinenbediener keinen Informatiker machen kann, aber er will so viele Mitarbeiter wie möglich mitnehmen und sich dafür an der Nonnendammallee nicht nur mit der Prototypen-Fertigung zufriedengeben. Dann könnten im Werk auch wieder mehr als 800 Leute arbeiten, sagt Wetzel und denkt an Neueinstellungen. Endlich, sagt er. „Das tut gut.“