Streik bei Lufthansa: Stille an Gate 9 bis 11
Hyohyeon Baek und ihre Mutter stehen ziemlich hilflos am Ticketschalter der Lufthansa im Flughafen Tegel. Es ist Montagfrüh um halb sieben. Und der jungen Berliner Studentin ist auch schon klar, dass es mit dem Rückflug der Mutter via Frankfurt am Main nach Seoul vorerst nichts wird. Aber es ist niemand da, der ihr sagt, was sie tun soll. Es sind vor allem ausländische Touristen, die der bundesweite Warnstreik bei der Lufthansa unvorbereitet trifft. Der überwiegende Teil der Passagiere war vorgewarnt, hat nach Angaben der Airline storniert, umgebucht oder ist auf die Bahn umgestiegen.
So wie in Tegel sah es an fast allen deutschen Flughäfen aus. Der Ausstand sei das richtige Signal, sagt Christine Behle vom Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi auf einer Kundgebung am Hamburger Flughafen. Viele Lufthanseaten seien zwar enorm loyal zu ihrem Unternehmen, aber inzwischen sei die Verärgerung extrem groß, erläutert ein Verdi-Sprecherin der Berliner Zeitung. Deshalb sei schon vor dem Wochenende abzusehen gewesen, dass die Mobilisierung sehr hoch sei. Es herrsche große Angst vor einem Radikalumbau des Konzerns.
Kaum Betrieb an den Schaltern
Deswegen herrscht an den Check-in-Schaltern 9, 10 und 11 in Tegel, wo normalerweise die innerdeutsche Flüge der Lufthansa abgefertigt werden, kaum Betrieb. Eine ungewohnte Atmosphäre auf dem dauerüberfüllten Flughafen Tegel. „Hier ist alles sehr entspannt“, sagt ein Mitarbeiter fast freudig. Verärgerte Fluggäste habe er auch noch nicht beruhigen müssen.
In Tegel und auch in Schönefeld werden die meisten Bodendienstleistungen seit Langem von der Firma Globeground abgewickelt. Deswegen ist Berlin von dem Ausstand weitaus weniger betroffen, als die meisten anderen deutschen Airports. Bundesweit hatte die Lufthansa fast alle Flüge gestrichen. Von insgesamt 1720 geplanten Verbindungen sollten nur 32 starten. „Wenn überhaupt“, sagt Pressesprecher Wolfgang Weber. „Aber Tegel ist der einzige Flughafen, wo mit 28 Flügen überhaupt noch nennenswerter Flugverkehr stattfindet.“ 32 Starts und 40 Landungen sind in Berlin gestrichen worden – auch über den hier bis 14.30 Uhr befristeten Ausstand hinaus. Denn in anderen deutschen Airports wird bis in die Nacht gestreikt.
Vor der Haupthalle versammeln sich schon am frühen Morgen die von Verdi zum Streik aufgerufenen Berliner Lufthanseaten. Insgesamt 180 haben sich nach Gewerkschaftsangaben beteiligt. Mit zwei Bussen sind rund 70 Technik-Beschäftigte aus Schönefeld angereist. Auch Mitarbeiterinnen des Lufthansa Revenue Services sind dabei. Die Büros, in denen sie die Flugscheinabrechnung abwickeln, sind in Altglienicke. Noch.
Standort Berlin wird aufgelöst
Im kommenden Jahr wird der Standort Berlin mit rund 60 Beschäftigten aufgelöst. „Auch deswegen sind wir hier“, sagt eine von ihnen. „Hier ist eine riesige Umstrukturierung im Gange. Neue Gesellschaften werden gegründet mit niedrigeren Tarifen. Viel Arbeit geht ins Ausland.“
„Bei Lufthansa-Technik in Tegel und Schönefeld sollen sogar 650 Stellen weg“, ruft Max Bitzer, Gewerkschaftssekretär der Fachgruppe Luftfahrt, ins Mikrofon. Der Lufthansa-Vorstand um Christoph Franz habe seine Einkünfte im vergangenen Jahr um zwölf Prozent erhöht. Aber die Mitarbeiter wolle er mit 1,2 Prozent abspeisen und das Weihnachtsgeld kürzen. Und dann übt Bitzer mit den Streikenden den Sprechchor ein, mit dem sie gegen halb zehn durch die Haupthalle ziehen: „Wir sind hier, wir sind laut, weil uns Franz die Löhne klaut.“
Die mit ihren Rollkoffern durch die Halle hastenden Passagiere in Tegel sind sichtlich überrascht von der Demo. Einige Jugendliche recken lachend die Faust in die Höhe. Die meisten schauen mit irritiertem Gesicht hinterher. Auch Hyohyeon Baek und ihre Mutter. Immerhin haben sie eine Flughafenmitarbeiterin gefunden, die für sie herausfinden will, wie die Mutter nach Korea kommt.
"Völlig überzogen"
LH-Personalvorstand Stefan Lauer erklärt den Ausstand indes für „völlig überzogen“. Durch den bundesweiten Streik entstehe der Lufthansa ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe, heißt es.
Die Verdi-Sprecherin kontert: „Die Lufthansa hat es selbst in der Hand.“ Zuerst müsse das unakzeptable Angebot für die 33 000 Beschäftigten des Bodenpersonals vom Tisch. Verdi fordert 5,2 Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Absicherung ihrer Jobs sei vielen Lufthanseaten aber wichtiger als mehr Geld, heißt es. Die Beschäftigten befürchteten, dass der Konzern künftig verstärkt mit Leiharbeit operieren wird. Die nächste Verhandlungsrunde ist für den 29. und 30. April geplant. Vieles spricht dafür, dass es wieder keine Einigung gibt. Anfang Juni würde wieder verhandelt. Gut möglich, dass zwischendrin noch einmal gestreikt wird.