Studie über Mindestlohn: Milliarden für Geringverdiener

Die positiven Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung eines gesetzlichen Mindestlohns werden einer neuen Studie zufolge unterschätzt. Würde der Bundestag eine Bezahlung von mindestens 8,50 Euro pro Stunde vorschreiben, stiege laut einer Untersuchung des ISP Eduard Pestel Instituts für Systemforschung die Kaufkraft in Deutschland um 19,2 Milliarden Euro. Insgesamt würden mehr als neun Millionen Menschen von dem Mindestlohn profitieren. Auf den Westen der Republik entfielen 13,6 Milliarden der zusätzlichen Kaufkraft, auf den Osten 5,6 Milliarden.

„Der Mindestlohn ist damit ein eigenständiges Konjunkturprogramm, das über eine Stärkung der Binnenkaufkraft das derzeit eher mäßige Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik anschieben kann“, sagte Franz-Josef Möllenberg, Chef der Gewerkschaft Nahrung,Genuss, Gaststätten (NGG). Sie hat gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi die Studie in Auftrag gegeben.

Unsicherheiten nicht komplett ausgeräumt

Für seine Analyse hat das in Hannover beheimatete Pestel-Institut unterschiedliche Datenquellen herangezogen. Dazu gehören das sozioökonomische Panel, Verdiensterhebungen des Statistischen Bundesamtes und der Mikrozensus. Diese verschiedenen Statistiken zu kombinieren, entspreche nicht den strengen wissenschaftlichen Maßstäben, räumte Matthias Günther, Vorstand und Studienleiter des Pestel-Instituts ein. Nur so sei es aber möglich, die Realität in Deutschland korrekt zu erfassen. Beispielsweise setze das sozioökonomische Panel trotz aller Vorzüge die Zahl der Minijobber mit 4,1 Millionen deutlich zu niedrig an. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit weise aber über sieben Millionen Minijobs aus.

Die Studie berücksichtigt nicht, dass Firmen Stellen streichen könnten, wenn sie höhere Löhne zahlen müssen. Umgekehrt klammert sie auch die beschäftigungsfördernde Effekte durch eine stärkere Binnennachfrage aus. Solche Berechnungen sind hochkomplex und mit hohen Unsicherheiten behaftet.

Die Erfahrung vieler Länder mit Mindestlöhnen zeige, dass die Befürchtungen vor einer steigenden Arbeitslosigkeit unbegründet seien, erklärte Möllenberg. Gute Erfahrungen mit dem Instrument hätten etwa Großbritannien, Frankreich und die USA gemacht. Deutschland könne damit zudem einen Beitrag leisten, um die Ungleichgewichte in Europa zu verringern.

Auf das Interesse von Arbeitgebern an fairen Wettbewerbsbedingungen verwies die Verdi-Vizechefin Andrea Kocsis. „Es ist ein Skandal, wenn Dumpinglohn-Firmen sich die Hungerlöhne für ihre Beschäftigten mit den Steuern derjenigen Unternehmer subventionieren lassen, die angemessene Löhne zahlen.“ Sie hat dabei offenbar Beschäftigte im Blick, die so wenig verdienen, dass sie zusätzlich Hartz IV erhalten. Laut Kocsis klagen zunehmend Firmen in besonders betroffenen Sektoren wie der Logistikbranche über die Benachteiligung, der sie ohne einen Mindestlohn ausgesetzt seien.

Das Thema Mindestlohn spielt auch eine Rolle im Bundestagswahlkampf. SPD, Grüne und Linkspartei treten dafür ein und haben im Bundesrat ein Gesetz dazu eingebracht, das aber die schwarz-gelbe Koalition im Bundestag scheitern ließ. Die FDP hat sich zwar geöffnet, lehnt aber weiterhin einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn ab. Die Union schlägt als Alternative Lohnuntergrenzen vor, die nach Branchen und Regionen unterschiedlich ausfallen sollen.