Ukraine: Oligarchen wechseln zur Opposition

Als Vitali Klitschko kürzlich in München auf der Sicherheitskonferenz seinen großen Auftritt als ukrainischer Oppositionsführer hatte, hielt sich ein Mann mittleren Alters in seiner Nähe auf, blieb aber stets im Hintergrund. Die offizielle Teilnehmerliste des Treffens verzeichnet den Namen Petro Poroschenko nicht. Aber der 48-jährige Milliardär ist im ukrainischen Machtkampf wohl einflussreicher als Klitschko und die anderen Redner auf dem Kiewer Maidan. Der Süßwarenfabrikant, dessen Vermögen auf 1,6 Milliarden Dollar geschätzt wird, ist bislang der einzige Oligarch, der sich offen auf die Seite der Opposition geschlagen hat. Er könnte der nächste Regierungschef werden, vermuten einige in Kiew.

Politische Karrieren finanziert

Poroschenko sitzt als unabhängiger Abgeordneter im Parlament. Er besitzt unter anderem die Schokoladenfabrik Roschen, eine der größten in Europa. Das Unternehmen erwirtschaftet 40 Prozent seines Umsatzes in Russland. Als Russland wegen der bevorstehenden EU-Assoziierung der Ukraine im letzten Sommer einen Handelsboykott verhängte und unter fadenscheinigen Vorwänden die Grenzen für ukrainische Waren schloss, war Roschen einer der ersten Betroffenen. Die Produktion brach ein, Tausende Beschäftigte bekamen keinen Lohn. Das mag Poroschenkos Distanz zum pro-russischen Kurs des Präsidenten Viktor Janukowitsch erklären. Doch er selbst nahm in einem Spiegel-Interview kürzlich auch ein anderes Motiv in Anspruch: „Die europäische Integration bedeutet für uns nicht in erster Linie Geld, sondern Werte.“ Gemeint hat er mit „Werten“ sicher auch die Rechtssicherheit für seinen Besitz.

Die anderen Oligarchen hielten zu Beginn der Straßenproteste fest zu Janukowitsch, was wenig erstaunlich ist. Sie hatten dessen politische Karriere finanziert und ihn zum Präsidenten gemacht, Janukowitsch und die Oligarchen sind Geschäftspartner. Zudem drohten die ökonomischen Nachteile einer engen Anbindung an die EU kurzfristig mögliche spätere Vorteile zu überwiegen. Ob Rinat Achmetow (rund 20 Milliarden Dollar Vermögen, Kohle und Stahl), Viktor Pintschuk (vier Milliarden Dollar, Stahlröhren und Metallurgie) oder Dmitri Firtasch (zwei Milliarden Dollar, Chemie) – alle sind auf ein gutes Verhältnis zu Russland angewiesen, weil die Erzeugnisse ihrer Firmen im Westen oftmals nicht konkurrenzfähig sind.

Oder sie sind, wie Firtasch, reich geworden, weil sie über die Firma RosUkrEnergo den Gastransport zwischen Russland und Westeuropa kontrollieren. An seiner Person aber wird das Dilemma der ukrainischen Oligarchen besonders erkennbar. Firtasch hat das Gas für seine Chemieunternehmen immer deutlich unter dem Preis bekommen, den der ukrainische Staat zahlen musste. Er darf es sich mit Moskau nicht verderben, aber gleichzeitig will er sein Terrain nicht mit dem russischen Staatskonzern Gazprom teilen oder es gar an ihn verlieren.

Inzwischen ist der Industrielle, der mindestens 40 Abgeordnete im Parlament kontrollieren soll, deutlich auf Distanz zu Janukowitsch gegangen. Vielleicht auch deshalb, weil sich hartnäckig das böse Gerücht hält, der Präsident habe als Sicherheit für die russischen Kredite das ukrainische Gasröhrennetz verpfändet. Es geht die Rede, dass Firtasch schon seit längerem die politische Kampagne Klitschkos finanziert, doch der ehemalige Boxer bestreitet das.

Auch Achmetow deutet einen Seitenwechsel an. Die Zeitung Ekonomitschna Prawda hält das allerdings für Theater, um die Demonstranten von der Straße zu bekommen und das Land wieder in ruhigere Fahrwasser zu bringen. Die ökonomischen Prognosen für die Ukraine 2014 sind ohnehin schlecht. Je länger die Proteste dauern, desto größer werden die Belastungen. Unmittelbar nach dem Scheitern der EU-Assoziierung im vergangenen November soll Achmetow den Präsidenten noch gedrängt haben, konsequent zu handeln und Juri Boiko, den Cheflobyisten Russlands in der Ukraine, zum Regierungschef machen. Diese Option ließ Janukowitsch aus, was ihm Achmetow offenbar als Führungsschwäche auslegt.

Den Oligarchen, so vermutet die genannte Kiewer Wirtschaftszeitung, gehe es bei ihrer mehr oder weniger offenen Unterstützung der Opposition vor allem darum, ihr Risiko zu minimieren. So hat es Viktor Pintschuk schon immer gehalten, der sich offiziell vor einigen Jahren aus der Politik zurückgezogen hat und sich neben seinen Geschäften angeblich nur noch philantropischen Projekten widmet. Tatsächlich aber sollen auf seiner Schmiergeldliste Politiker fast aller im Parlament vertretenen Parteien stehen.