Unisex-Tarife bei Krankenversicherung: Tücken der Gleichstellung

Ist es gerecht, wenn Frauen für ihre Krankenversicherung mehr Geld bezahlen müssen als Männer und Männer für ihre Lebensversicherung mehr als Frauen? Um diese Frage – und damit um die Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter – ging es den Richtern am Europäischen Gerichtshof, als sie im März vorigen Jahres eine europarechtliche Regelung kippten, die geschlechtsspezifische Versicherungstarife zulässt. Nun kommen am 21. Dezember die neuen Tarife auf den Markt. Und allmählich wird erkennbar: Billiger werden sie nicht.

Für Männer war die private Krankenversicherung bislang günstiger als für Frauen, weil sie weniger Leistungen in Anspruch nehmen – etwa, weil Männer nicht schwanger werden. Ein einheitlicher Versicherungstarif wird nun aber nicht aus dem Durchschnitt der beiden Tarife errechnet. Stattdessen werden die neuen Tarife eher in der Nähe oder sogar auf dem Niveau der bisherigen, teureren Frauentarife liegen. Finanziell profitiert damit keines der beiden Geschlechter von der richterlichen Gleichstellungsentscheidung.

Mehrere Komponenten, so Hans Olav Herøy, Vorstandsmitglied der HUK-Coburg Versicherungsgruppe, spielten für die neue Beitragskalkulation eine Rolle. Zunächst einmal liegt ein Unisextarif aus rein mathematischen Gründen über dem günstigeren Männertarif und unterhalb des bisherigen Frauentarifs.

Für bereits privat krankenversicherte Frauen würde es sich also lohnen, in einen Unisex-Tarif zu wechseln, während das für Männer nicht interessant ist. Sie können einfach ihre alten Versicherungsverträge behalten.

Niedrige Zinsen verteuern Policen

Die mögliche Entwicklung bereitete den Versicherern Kopfzerbrechen: Frauen würden weniger zahlen als bisher und Männer in den günstigen Tarifen bleiben. Das Ergebnis wären hohe Leistungsausgaben und insgesamt steigende Prämien. Dagegen sichern sich die Versicherer ab. „Es gibt einen Aufschlag, der diese prognostizierten Wechselbewegungen ausgleichen soll“, so Herøy. Dadurch wird der Unisex-Tarif teurer, was ihn zugleich weniger attraktiv für Wechslerinnen macht. In den Tarifen werden sich auch die vom Verband der privaten Krankenversicherung vorgeschlagenen neuen Mindestleistungen für Versicherungstarife bemerkbar machen sowie die weitere Verteuerung medizinischer Leistungen.

Ein deutlicher Kostentreiber für die neuen Tarife wird auch die derzeit schwache Ertragslage an den Finanzmärkten. „Der PKV geht es da wie der Lebensversicherung“, sagt Marc Surminski, Chefredakteur der Zeitschrift für Versicherungswesen. „Sie hat wunderbar funktioniert, weil die Kapitalmarktzinsen immer sicher erwirtschaftet werden konnten, sodass das funktioniert.“ Nun seien diese Erträge in Gefahr.

Derzeit erzielen die meisten Versicherer noch eine Verzinsung von mehr als 3,5 Prozent. Doch bei der Neuanlage tun sie sich schwer. Die meisten werden einer Empfehlung der Deutschen Aktuarvereinigung folgen und ihren Rechnungszins absenken. Kritiker vermuten, dass es für die Unternehmen eine willkommene Gelegenheit ist, die Rechnungszinssenkung im Rahmen der Umstellung auf die Unisex-Tarife zu vollziehen.

Nicht überstürzt wechseln

Die meisten Versicherer werden ihren Rechnungszins, mit dem sie kalkulieren, von 3,5 auf 2,75 Prozent senken. Das wird die Unisex-Tarife im Vergleich zu bestehenden Tarifen um sechs bis acht Prozent verteuern. Von einzelnen Firmen ist zu hören, dass sie sogar einen Rechnungszins von 2,5 Prozent erwägen.

Auf der anderen Seite wird es wohl Gesellschaften geben, die noch warten werden mit der Absenkung des Rechnungszinses. Sie könnten sich damit für eine Übergangszeit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, weil sie günstiger wären als die Konkurrenz. Allerdings bestünde bei diesen Tarifen das Risiko, dass die Prämien später überdurchschnittlich steigen.

Die private Krankenversicherung wird also teurer. Begeistert sind die Versicherer davon nicht. „Unisex ist schon ein Prozess, den eine komplette Branche nicht freiwillig und auch nicht frohen Herzens unternimmt. Und mit den Ergebnissen sind wir am Ende – denke ich mal – auch nicht glücklich“, sagt Michael Baulig, Vorstandsmitglied der Universa-Krankenversicherung. „Wir kriegen insgesamt am Ende des Prozesses eine teurere private Krankenversicherung im Neugeschäft – woran wir kein Interesse haben können.“

„Wenn wir alle drei Tage vor Weihnachten aufwachen, liegen da ganz viele neue Tarife“, sagt Bernd Goletz von der Continentale Krankenversicherung. „Das heißt, Transparenz für diese Branche wird sich dann erstmal wieder herstellen müssen.“ Makler und Versicherungsvertreter müssen sich in den neuen Markt einarbeiten und Tarifvergleichsrechner aktualisiert werden. Wer nach dem 21. Dezember in die private Krankenversicherung wechseln will, sollte das deshalb besser mit einem gewissen Abstand tun und sich zuvor umfassend informieren.

Bis zum 20. Dezember besteht noch die Möglichkeit, die alten, geschlechtsspezifischen und für Männer günstigeren Tarife abzuschließen. „Werbewirksam inszenierter ,Schlussverkauf-Aktionismus’ für Alt-Tarife von Seiten der Vertriebe und Versicherungsgesellschaften“, beobachtet der unabhängige Informationsdienstleister KVPro. Er warnt wechselwillige Menschen aber, überstürzt eine private Krankenversicherung abzuschließen.